Ist das noch Pubertät oder schon eine Depression?


Eine Mutter, die selbst unter Depressionen leidet, hat es erlebt, dass die Krankheit auch ihren ältesten Sohn erwischt hat. Und da wir neulich sogar konkret den Fall hatten, dass sich eine Jugendliche an uns gewendet hat, weil ihre Mutter sie nicht ernst nimmt, bringen wir nun diesen Gastbeitrag.

Die Frage, die sich oft Eltern stellen bei den launischem Nachwuchs im Teenie-Alter ist – und die ich ihr das auch gestellt habe ist:

Ist das noch Pubertät oder schon eine Depression?

Diese Mutter antwortet: Leider kann ich diese Frage nicht pauschal beantworten. Was ich mit diesem Artikel erreichen will, ist sensibilisieren und das Thema ins Bewusstsein rücken.

Ich selbst bin seit mehr als 25 Jahren an einer chronischen Depression erkrankt.

Bei meinem älteren Sohn wurde die Depression ebenfalls im 16. Lebensjahr diagnostiziert. Selbst ich, als Betroffene, habe die Zeichen bei ihm nicht sofort erkannt.

Die Aufsässigkeit blieb aus.

Wenn die Pubertät mit ins Haus einzieht, merkt man das. Innerlich machte ich mich für die vielen Kämpfe bereit und suchte schon vorsichtshalber im Internet nach Perücken, falls ich mir zu viele Haare ausreißen würde. Doch die Aufsässigkeit blieb aus. Das viele Ausgehen und die Welt entdecken, blieb aus. Laute Musik hören, dass mir die Ohren weg fliegen, blieb aus. Kein Türen knallen, keine Auseinandersetzungen, nichts davon.

Stattdessen wurde mein Sohn ruhiger, trauriger, zog sich immer mehr zurück.

Er war wortkarg und einsilbig, sehr oft müde und lustlos. Sofort nach der Schule schlief er für viele Stunden, morgens bekam ich ihn trotzdem nicht aus dem Bett. Es gab einzelne Phasen der Gereiztheit und Aggression, die waren aber immer sehr kurz und endeten in Weinkrämpfen. Übelkeit und Magenkrämpfe waren an der Tagesordnung, Kleinigkeiten schienen ihn maßlos zu überfordern.

Ich war verunsichert aber nach einer Weile (Wochen) war mir klar:

Das kann nicht nur Pubertät sein! Die Erkenntnis war ein Schock: Mein Kind zeigt Anzeichen einer Depression!

Diese Krankheit wünsche ich nicht meinem ärgsten Feind und schon überhaupt nicht meinem Kind. Natürlich war ich traurig und verzweifelt aber das brachte ja meinem Sohn keine Hilfe. Über die Webseite der Kassenärztlichen Vereinigung habe ich Psychologen gesucht und so lange telefoniert, bis ich jemanden gefunden hatte, der mein Kind sofort sehen konnte.

Ich habe mit meinem Sohn gesprochen, ihm angeboten, dass wir uns Hilfe holen und er war sehr dankbar. Gemeinsam haben wir den ersten Therapie Termin wahrgenommen und auch später habe ich ihn oft begleitet. Mit einer Depression ist es manchmal eben auch nicht so einfach, alleine zu einem solchen Gespräch zu gehen, sich überhaupt dazu aufzuraffen. Die Therapeutin stellte die Diagnose „mittelschwere Depression“ und hat mir vermittelt, wie ich meinem Kind am besten helfen kann. Sie war jederzeit für mich Ansprechpartnerin und jeweils im Abstand von vier Wochen, hatten wir einen festen Termin für ein Elterngespräch.

Wichtig ist vor allem zu erkennen: Es ist eine Krankheit und keine Faulheit!

Ich sollte ihm schon einen strukturierten Tagesablauf bieten, aber nicht enttäuscht sein, wenn er ihn nicht einhalten kann. Das kenne ich aber gut aus eigener Erfahrung. Selbst Zähne putzen, ist mit einer schweren Depression eine Herausforderung. Ein offenes Ohr bieten, keine Gespräche aufdrängen, signalisieren: Ich bin für dich da!

Als Lektüre hatte mir die Therapeutin empfohlen:

„Mit dem schwarzen Hund leben: Wie Angehörige und Freunde depressiven Menschen helfen können, ohne sich dabei selbst zu verlieren.“  – von Matthew und Ainsley Johnstone (affiliate Link, also Werbung)

Dieses Buch ist sehr hilfreich für Angehörige und ich habe es auch an die Freundin meines Sohnes weitergereicht.

Heute ist mein Sohn 18 und hat immer noch depressive Phasen aber die Depression hat er hinter sich gelassen. Wie froh und dankbar ich darüber bin, kann ich nicht in Worte fassen.

Ich kommuniziere offen über meine Depression – auch auf Social Media – und habe dadurch schon vielen Menschen helfen können. Auch Teenager wenden sich an mich, mit der Bitte um Unterstützung.

Was ich leider oft lesen muss:
„Meine Eltern nehmen mich nicht ernst. Ich glaube aber, ich habe eine Depression.“
„Meine Eltern hören mir überhaupt nicht zu, wenn ich darüber sprechen will.“
„Meine Eltern schämen sich für mich und sagen, das wird wieder von alleine vergehen.“
„Bitte hilf mir! Was soll ich jetzt tun?“

Auch das ist ein Grund, warum ich diesen Artikel schreibe. Ich konnte meinem Kind helfen und ich hoffe, dass es alle anderen Eltern auch können. Liebevoll und geduldig zuhören, aufmerksam sein, Hilfe anbieten und suchen.

Gerne bin ich auch bereit, Fragen zu beantworten – über Béa und ihr Tollabea Team. Liebe Grüße,

eine Mutter, die leider zu gut das Thema Depressionen kennt.

und Béa

 

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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