Abschiede – Machen sie es besser oder schlimmer?


Für den höflichen Ton gehört es sich, Treffen jeder Art mit Abschieden zu beenden. Aber was bezwecken sie eigentlich? Und machen Abschiede eine Trennung wirklich besser oder schlimmer?

Was bedeutet überhaupt „Abschied“?

Eine kurze Recherchesuche nach Quellen hat mich völlig überschlagen, da es sehr viel zum Thema Abschied gibt. Der Duden sagt, dass wir uns von etwas oder jemandem trennen. Ebenso taucht es oft im Kontext des Ablebens auf – des Todes. Wikipedia hat sogar ganze Rubriken, die das Thema Abschied in bestimmte Kategorien einordnen (Abschied im Militär, Abschied als Urkunde usw.)

Ich bin in einer regelrechten Abschiedskultur geboren. Meine Familie und ich verabschieden uns ständig – selbst, wenn wir nur kurz einen Brief einwerfen gehen, gibt es einen kleinen Abschiedskuss. Völlig albern, ich weiß, aber niemand von uns geht einfach so aus dem Haus, ohne sich mit einer kleinen Geste – einem Wink, einer Umarmung oder einem Küsschen davonzustehlen. Und irgendwie ist es in meinem sonstigen Umfeld genauso. Eine Verabschiedung jeder Art gehört zum guten Ton.

Apropos guter Ton …

„Er hat sich nicht verabschiedet – Wie unhöflich!“

Wir alle kennen es. Eine Person macht sich aus dem Staub, ohne Tschüss zu sagen. Das sorgt durchaus für den ein oder anderen schiefen Blick, denn in unserer Gesellschaft gilt es als unhöflich, sich einfach nicht zu verabschieden. In gewisser Weise erwarten wir also einen Abschied und das gilt für nahezu jede Lebenslage.

Sei es nach einem Besuch, nach einem Meeting (auch virtuell), selbst Beerdigungen haben das Ziel, einen Menschen zu verabschieden (auch, wenn das nochmal ein völlig anderer „Abschluss“ ist.

Vielleicht kennt ihr es auch, dass Abschiede vorgezogen werden, wenn es zeitlich nicht passt.

„Ich sag jetzt schonmal Tschüss, weil ihr ja morgen schon wegfahrt.“

Und ja, sogar das Jahr verabschieden wir. Und wenn wir uns dagegen entscheiden, Silvester zu feiern, weil wir es vielleicht albern finden, kann es heißen „Was? Du verabschiedest dich nicht vom letzten Jahr?“

Dem Abschied entkommt man also nicht, und wenn doch, ist es unhöflich, gar empörend. Aber warum verabschieden wir uns überhaupt?

Was bezwecken Abschiede?

Eine sehr tiefgründige Frage, die schnell ins Sozialwissenschaftliche rutschen kann. Mich würde sehr interessieren, wer damals auf die Idee kam, sich vor dem Abgang zu verabschieden. War es ein Höhlenmensch, der seinen Kumpels sagte: „Keine Sorge, ich geh nur Mammuts jagen, bis dann.“? Und wenn ja, was waren seine Hintergedanken? Wollte er sicher gehen, dass sich niemand Sorgen macht? Wollte er sich zur Sicherheit verabschieden, falls das Mammut ihn zertrampelte?

Vermutlich weichen wir deshalb dem Abschied auch aus, oder versuchen es. Sich von jemandem zu verabschieden ist etwas Emotionales. Oft wollen wir uns davor drücken, da der große Abschied einen erschlagen kann. Und dann fließen die Tränen und wir umarmen unser Gegenüber so fest, als wollten wir mit ihm verschmelzen.

Ein Abschluss – das ist es wohl. Ob wir uns nun von einem Zoom Call verabschieden oder von der Person im Sterbebett, was wir wohl brauchen ist ein Abschied.

In einem Post bei der Emotion schreibt Ina Schmidt:

Manchmal sagen wir aber auch: „Ich ruf dich an“. Oder: „Man sieht sich!“ Obwohl wir wissen, dass das höchstwahrscheinlich nicht geschehen wird. Statt sich mit dem Ende zu konfrontieren, bleiben wir vage, drücken uns davor, ehrlich zu sein. Lieber lassen wir uns ein Hintertürchen offen. Das ist bequemer. Ein wirklicher Abschied hingegen hat etwas Endgültiges.

Und ich stimme ihr absolut zu! Nur kommt in mir jetzt eine neue Frage auf:

Machen Abschiede es besser oder schlimmer?

Ich hatte schon Momente, in denen ich mir gewünscht hätte, mich nicht zu verabschieden. Damals, bei meiner krebskranken Verwandten in Marokko, wollte ich mich nicht verabschieden. Ich wollte nicht glauben, dass ich sie nie wiedersehen würde. Also umarmte ich sie nur kurz, als könnte ich damit das Schicksal austricksen, weil ich in meinem albernen Aberglauben so fest daran glaubte, mit einer positiven Haltung das Unausweichliche aufzuhalten.

Spoiler Alert: Ich konnte es nicht. Aber wisst ihr was? Ich bereue es nicht. Ich bereue es nicht, weil unser Abschied schön und „normal“ war. Damals war der Abschied schmerzlos und das machte alles besser für mich.

Eine andere Geschichte, bei der es gar keinen Abschied gab:

Ich hatte einen guten Freund – ebenfalls während meines Urlaubs in Marokko. Den letzten Tag verbrachten wir zusammen, und als ich ging, um zu packen, versprach er, sich später von mir zu verabschieden. Aber er kam nicht. Weil er nicht konnte. Stattdessen rief er an, entschuldigte sich, und sagte, dass er zwar wollte, aber ihm Abschiede immer so schwerfielen. Ich war enttäuscht, weil ich ihn gern nochmal gesehen hätte, aber ich verstand es auch, denn das Treffen wäre einfach nur „traurig“ gewesen.

Ich habe also Momente erlebt, in denen ich es nicht schlimm fand, dass ich dem traurigen Abschied ausweichen konnte, und vielleicht geht es auch gar nicht um den Abschied selbst, sondern die Angst, was danach kommt:

Die Trennung.

Wir trennen uns von einem Menschen, einer Situation, einem Ort. Wir würdigen den letzten gemeinsamen Moment, auch, wenn er traurig sein mag. Aber am Ende haben wir etwas, woran wir uns erinnern können. Etwas, das unser Gehirn speichert und archiviert. Eine Umarmung, ein letzter Kuss, ein letzter Blick.

Und ja, ich verstehe, wenn man dem ausweichen will, weil es zu „traurig“ ist. Aber genauso verstehe ich auch den Wunsch nach einem Abschluss. Vor allem bei denjenigen Menschen, die uns wirklich etwas bedeuten.

So, jetzt habe ich viel geschrieben und weiß überhaupt nicht, ob das überhaupt alles Sinn ergibt. Verzeiht‘, wenn es etwas zu möchtegernphilosophisch geworden ist. Aber ich würde mich total für eure Meinung interessieren!

Wie empfindet ihr Abschiede? Was bedeuten sie für euch? Machen sie die Trennung für euch besser oder schlimmer?

Mehr zum Thema Abschied nehmen, findet ihr in diesem Beitrag, wo ich mir sehr einen Abschied gewünscht hätte!

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Liebe Grüße
Mounia

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Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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1 Kommentare

Holly_Holster
Antworten 11. Oktober 2021

Ich finde deinen Beitrag sehr interessant.

Abschiede sind für mich wichtig, weil man nie weiß, ob man sich wiedersieht. In meiner Familie halten wir es deshalb wie ihr. Wir sagen wohin wir gehen und je nach Situation gibt es eine Umarmung oder einen Kuss. Geht das Mal nicht, fehlt es uns allen.

Der wichtigste Abschied bisher war der von meinem Opa. Wir haben ihn ein letztes Mal besucht als es ihm noch gut genug für Besuch ging. Er war sehr krank, und unsere letzte Umarmung und unsere letzten persönlichen Worte (im Angesicht des anderen) werden mir immer in Erinnerung bleiben und mir helfen, eben weil der Abschied so schön war. Es war uns beiden bewusst, dass wir uns nicht mehr sehen können und das hat den Moment so wertvoll gemacht.

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