Frischluftschule für alle – Warum nicht raus aus dem Klassenzimmer?


Angesichts der Lüftungskonzepte an Schulen dürfte der Begriff „Frischluftschule“ nun neu interpretiert werden! Natürlich vorausgesetzt, der Wecker klingelt alle 20 Minuten. Clever, einfach den Spieß umdrehen und die frische Luft ins Klassenzimmer holen. Dabei geht es doch eigentlich darum, das Drinnen nach draußen zu bringen.

Bevor ich weiter schreibe, möchte ich eine Einladung aussprechen! Eine Einladung, die „Ja-Abers“ mal für einen Moment zur Seite schieben, den „Eh-unrealistisch-Stempel“ und die „Geht-doch-eh-nicht’s“ auch. Eine Einladung zum frische Luft schnappen, anders denken, neu sehen, inspirieren lassen… Und ja, zugegebenermaßen kommt das von einem totalen Küken in der Welt des Lernens und Lehrens!

Ich habe Ende 2020 im Rahmen meines Lehramtstudiums ein Schulpraktikum in einer Gesamtschule absolviert. War jetzt modisch nicht sehr abwechslungsreich, denn ich hatte eigentlich immer die gleiche Daunenjacke an. Offene Fenster, kalte Luft, klar, dass sich die Schülerinnen und Schüler da in ihre Winterjacken eingemummelt haben. Mütze auf dem Kopf, dicker Schal, Kapuze über die Augen, und dann noch die Maske…

Manche habe ich mehr an ihrer Kleidung als an ihrem Gesicht identifiziert. Und ich hatte irgendwie das Gefühl, dass diese Vermummung auch teilweise zu einer Isolierung und Abschottung innerhalb des Klassenzimmer beigetragen hat.

Deshalb die Idee: Können wir nicht gleich rausgehen und da bleiben?

Draußenschule! Frischluftschule!

Klingt erstmal nach Wandertag. Oder nach Alternativkonzept, dass sich nur private Schulen leisten können. Schulen auf dem Land vielleicht, aber nicht in der Stadt! Reformpädagogen die dann mit den Kindern Blätter sammeln und Wolken malen. Nein danke.

Andererseits: Kaum ein politisches Satiremedium hat sich im letzten Jahr nicht über das Lüftungskonzept der Bundesregierung ausgelassen – es klingt nun mal einfach nicht nach professionellem Krisenmanagement. Und für all das was momentan unter den Begriff des Homeschoolings gefasst wird, braucht man ja auch schon sehr viel Fantasie!

Ja, auch ich habe so einige Vorurteile gegenüber dem Konzept Frischluftschule.

Gerade in diesem Jahr sind wir ständig konfrontiert mit Regeln und Vorschriften, und mit dem was alles nicht geht und was wir nicht dürfen. Aber ich finde eben auch:

Ungewöhnliche Umstände verlangen nach ungewöhnlichen Mitteln.

Wenn das RKI sagt, dass die Ansteckungsgefahr draußen um ein Vielfaches niedriger ist als drinnen und diese Mischung aus Homeschooling, Hybrid- und Präsenzunterricht eben leider auch nicht überall reibungslos läuft – dann ist es doch eigentlich eine logische Schlussfolgerung sich mit der Freiluftschule zu beschäftigen.

Andere machen Frischluftschule auch! Ich habe recherchiert!

Dreimal dürft ihr raten, Norwegen und auch Dänemark sind uns da mal wieder längst voraus. Da gibt es einige Schulen, die das Outdoor Learning oder Outdoor Education praktizieren. Und auch in Österreich wird mit Naturparkschulen in und durch die Umgebung gelernt.

Interessanterweise hat auch New York City, mit dem größten Schuldistrikt der USA die Schulen zum Draußenunterricht während der Pandemie angehalten. Etwa die Hälfte aller Schulen hat im Herbst dort alternative Konzepte gefunden um auf dem Außengelände der Schule oder in öffentlichen Parks zu unterrichten.

An einem Ulmer Gymnasium wurde auf die Initiative eines Lehrers hin eine Outdoorklasse ins Leben gerufen, welche einmal in der Woche draußen unterrichtet wird. Die Schülerinnen und Schüler kommen mit Sitzkissen und Klemmbrett bewaffnet, die Lehrkraft mit laminierten Zetteln und großen Plakaten. Nicht nur naturnahe Fächer wie Erdkunde und Biologie, sondern auch ganz klassisch Mathe und Deutsch steht auf dem Plan. Der Lehrer der Ulmer Outdoorklasse beschreibt:

„Es gibt Dinge die das Klassenzimmer nicht bieten kann. Im Wald ist es einfach immer still, die Schüler können dort ganz konzentriert arbeiten.“

Natürlich braucht es aber auch durchdachte Konzepte, denn: „Ein guter Drinnen-Lehrer ist noch kein guter Draußen-Lehrer.“

An der TU in München führt ein Forschungsteam seit 2019 ein Projekt in Kooperation mit Outdoorklassen durch: Sie untersuchen, inwiefern der Freiluftunterricht einen Effekt auf die physische und psychische Gesundheit, die Lernmotivation und Lernleistung haben kann.

Sie lehnen sich dabei auf die Erkenntnisse wissenschaftlicher Studien, die positive Veränderung in Bezug auf Stress, soziale Interaktion und Aufmerksamkeit bei frei unterrichteten Kindern feststellen konnten.

Ich würde sagen: Frischluftschule ist nicht DIE Antwort auf Corona.

Aber: Es könnte sich zu einer positiven Nebenwirkung entwickeln… wenn wir wollen! Eine die langfristig förderlich für das Lernen ist, und durch die Pandemie eben katalysiert wird!

Auch unsere Seele braucht mal wieder frische Luft – also meine auf jeden Fall!
Und mein Kopf will mal wieder zwischen die Wolken.
Den Horizont sehen, um dann zu schauen: Was geht vielleicht doch?

Draußen Schule zu machen geht zum Beispiel ganz wunderbar im Einklang mit dem Erwerb der Sachkompetenz.
Der Lernort wird zum Gegenstand des Lernens: Wissen kann erforscht, erweitert, vertieft und nachvollzogen werden. Kinder haben die Möglichkeit, sich direkt mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzten.

Schule draußen widerspricht dem Konzept, dass ein Lernort bestimmte räumliche Grenzen hat.

Und lehrt Zeit und Vergänglichkeit, durch Jahreszeiten und Pflanzenwachstum. Ohne Schulklingel. Lässt sich als Bewegungs-, Spiel- und Lebensraum entdecken. Und kann sich mit sämtlich hübschen Wörter dekorieren, die wir gerne vor den Lernbegriff setzten:

Fächerübergreifend, multisensorisch, schülerzentriert, handlungsorientiert.

Wenn nicht jetzt, wann dann? Braucht ihr auch mal wieder frische Luft im Kopf? Wie könnte von drinnen nach draußen an eurer Schule aussehen?

Liebe Grüße,

eure Larissa

 

Larissa
About me

Studentin, Mentorin, Potenzialentfalterin. Lebt leicht. Liebt alles was mit Entwicklung zu tun hat: Schule, Menschen, Städte... und Blumen! Familienmensch. Hat große Träume für die Bildungslandschaft. Und ein überdurchschnittlich hohes Bedürfnis nach Schnörkeln.

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3 Kommentare

Sabrina
Antworten 16. März 2021

Hallo Larissa, ich finde das ist eine tolle Idee. Meine Tochter ist 6 Jahre alt und in der ersten Klasse. Häufig beschwert sie sich darüber, dass sie keine Lust auf Schule hat und das doch alles eh nicht versteht. Bei Spaziergängen versuche ich die durchgenommenen Lehrinhalte spielerisch an sie heranzutragen. Beispiel: zähle die Autos die an der Straße stehen, jetzt fahren zwei Autos los, wie viele sind es dann noch? Oder: die Farben und Zahlen auf Englisch lernen, beim Spaziergang kein Problem, zu Hause weigert sie sich.
Ich glaube, dass hier genau wie du geschrieben hast, alles mit der Lehrkraft steht oder fällt. Ich bin überzeugt, dass es, wenn sie sich wirklich auf die Draußenschule einlassen, eine tolle Alternative ist. Ich würde zunächst nur mit einem Tag in der Woche anfangen.
Danke für den schönen Denkanstoß, ich hoffe dass auch Lehrkräfte und Schulleiter unter den Lesern sind!!

Yvonne
Antworten 16. März 2021

Liebe Larissa, Du sprichst mir aus der Seele! Wir brauchen mehr Lehramtskräfte wie dich! Meine Kinder waren beide im Waldkindergarten - bei jedem Wetter! Krankheiten hatten wir keine. Beste Grüße, Yvonne

AR
Antworten 16. März 2021

Hi Larissa
Wir planen gerade eine Schule die auf das von dir angesprochene basiert.
Kannst dich gern melden.

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