Hochbegabte Kinder: Wo bleiben die im Schulsystem?


Ich darf wieder eine besonderen Gastbeitrag publizieren. Hier erzählt eine Mutter über die Probleme, die hochbegabte Kinder im Schulsystem haben. Sie möchte anonym bleiben, um ihren beiden Kindern nicht zu schaden. Hier schreibt die anonyme Mama:

Das neue Schuljahr hat begonnen und somit auch wieder die Qual – vor allem für meine Tochter.
Denn sie ist hochbegabt und besucht die 4. Klasse einer ganz normalen Grundschule!

Aber auch für unseren Sohn, erst in der zweiten Klasse der gleichen Grundschule, ist es nicht einfach. Ich erzähle euch warum.

Ich danke der tollabea-Redaktion, dass ich hier endlich meinen angestauten Gedanken freien Lauf lassen darf und hoffe, dass ich mit meinem Brief einige andere Eltern erreiche, ihnen Mut machen kann, dass sie nicht allein sind. Und vielleicht habt ihr ja auch noch wichtige Tipps für uns?

Schon früh stellten wir bei unseren beiden Kindern spezielle Interessen fest.

Wir verglichen nicht, aber auch im Kindergarten fielen beide Kinder auf. Nicht durch Aggression, sondern dass sie sich z.B. alle Straßennahmen, sogar Autobahnen und ihre geografische Lage selbst beibrachten, die Minuten einer Stunde vor der Einschulung ausrechneten, einmal benannte Informationen im Kopf behielten und diese irgendwann passend wieder aus ihrer Kopfschublade hervor riefen.

Auf Anraten von Bekannten machten wir schließlich den Test mit beiden beim Kinderpsychologen. Die Ergebnisse ließen uns vom Stuhl rutschen, denn derart Zahlen haben wir nicht erwartet.

Aber was nun?

Jetzt hatten wir es schwarz auf weiß, dass unsere Kinder besonders – besonders intelligent!– sind, aber mit dieser Art der Information geht man nicht so offensiv um. Die Zahlen der Test posaunt man nicht mal so einfach auf dem Spielplatz oder beim Kaffeeklatsch raus und hält man dem Lehrer auch nicht direkt unter die Nase. Denn was soll der von uns denken? Dass wir „helikoptern“ würden? Dass wir unsere Kinder zu sehr pushen würden? Dass er jetzt gar mehr Aufwand mit dem Kind haben würde?

Das sind alles Fragen, die uns im Kopf herum schwirren.

Was ich am aktuellen Schulsystem der staatlichen Grundschulen anprangere, ist die Gleichmachung der Kinder. Kinder, die Lernschwächen haben, werden speziell gefördert, dass sie dem Lehrplan nach oben entsprechen. Aber, was ist mit Kindern, die keinerlei Schwierigkeiten haben, den Stoff der aktuellen Klasse und ggf. der darüber liegenden Klassen zu verstehen? Die fallen einfach durch das Raster der Schule. Die werden angepasst, dass ja kein Mehraufwand für die Lehrer entsteht.

Meine Tochter langweilt sich vor allem in Mathe. Sie hat momentan – zum Glück – noch nicht resigniert. Sie bearbeitet also momentan noch alle Aufgaben stillschweigend mit einer Null-Fehler-Quote. Auch auf wiederholte Anfragen unsererseits erhält sie keine Zusatzaufgaben. Sie darf auch nicht am Unterricht höherer Klassen teilnehmen. Sie MUSS die Aufgaben machen, die der Lehrplan vorgibt – so die Aussagen vom Lehrer.

Also haben wir recherchiert und uns informiert.

Bereits auf der Seite des schulpsychologischen Dienstes wir das Thema „Hochbegabung“ im gleichen Atemzug mit „Lernschwäche“, „Leistungsversagen“, „Entwicklungsverzögerung“, „Verhaltensauffälligkeiten“ genannt.

Genau steht hinter „Besondere Begabung“: „Sie haben das Gefühl, Ihr Kind verfügt über eine besondere Begabung und sollte besonders gefördert werden?“

Ist das wirklich der pure Ernst?
Wir haben nicht das GEFÜHL!
Wir haben Testergebnisse schwarz auf weiß!

Und wir hätten bitte gern eine besondere Förderung für unser Kind im Unterricht. Ja, wenn es sein muss, nennen wir das Ganze auch „Elitenförderung“! Denn unser Kind ist genauso wert, gefördert zu werden, wie Kinder mit einem Defizit!

Wir haben Glück. Ja, wir können wir uns die Zeit für Recherchen und auch außerschulische Aktivitäten für die Kinder leisten. Wir werden nachmittags alles tun, dass sie ihren Fähigkeiten entsprechend gefördert werden und Dingen nachgehen, auf die sie Lust haben. Nein, wir werden sie nicht in Hochbegabten-Programme stecken. Wir werden genau schauen, auf was sie Lust haben, auf was sie wirklich neugiereig sind, und dem nachgehen. Vielleicht ist es dann „nur“ Basteln. Aber so, wie es sie interessiert und begeistert!

Aber was ist mit Familien, die „sau-intelligente“ Kinder haben, sich aber zeitlich und finanziell keine Aktivitäten leisten können, weil die Eltern für den Familienunterhalt malochen müssen und diese Kinder nachmittags im Späthort oder allein zuhause sind?

Liebe Gesellschaft, liebe Politiker: öffnet die Augen auf für diese Kinder und verankert feste Handlungsweisen für Kinder mit „Besonderen Begabungen“.

Versteht ihr, wie wir das meinen? Kennt ihr gute Programm für Kinder mit besonderen Begabungen?

Vielen Dank und liebe Grüße,

Eine ganz normale Mama zwei besonders begabten Kindern

P.S. von Béa: Bitte bleibt besonders respektvoll mit Kommentaren, ihr Lieben! Ich weiß als Schulbetreiberin, dass gerade hochbegabte Kinder gern auch Dinge lesen, die über dieses Thema geschrieben werden… Also stellt euch einfach vor, solche Kinder, die hier gemeint sind, würden mitlesen – und Hochbegabung heißt nicht immer, dass sie emotional gesehen nicht doch Kinder sind. Ja?

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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9 Kommentare

Tobias
Antworten 13. September 2018

Danke für den Artikel! Wir haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Bei unserem Kind wurde einen Inselbegabung in Deutsch festgestellt. Wir haben den Test vor der Schulzeit machen lassen, damit wir etwas in der Hand haben um bei der Schule um Unterstützung zu bitten. Die Lehrer waren nicht dazu in der Lage das Kind zu fördern. Wir haben dies selber in die Hand genommen. Unser Schulsystem ist dazu ausgelegt schwächere Kinder zu fördern aber nicht um starke Kinder zu fordern. Leider!

Nadine
Antworten 15. September 2018

Meine Tochter wurde nicht getestet. Sie ist aber ziemlich intelligent, hat mit 5 Bücher gelesen. Zum Glück haben die Lehrerinnen in der 1. Klasse schnell gemerkt, dass sie den Stoff schon beherrscht und sich langweilt. Nach einem halben Jahr hat sie dann die Klasse übersprungen.
Sonderausgaben hat sie in der 1. auch keine bekommen. Hier gibt es die Hector Akademie die nachmittags unterschiedliche Programme anbietet. Da haben wir sie aber nicht angemeldet, mit Musikunterricht und Sport war genug Programm. Viel Glück für die Kinder!!

Sonja
Antworten 15. September 2018

Oh nein... ich muss als Lehrerin sagen, dass ich den Beitrag sehr oberflächlich finde. Ihr macht genau das, was ihr anprangert. Wer sind denn "die Lehrer"? "Das" Schulsystem? Es gibt doch so viele Lehrer in Deutschland, alle machen die Schüler "gleich"? Welches Schulsystem meint ihr? Es gibt in jedem Bundesland ein eigenes. Wie macht man denn Schüler gleich? Ich verstehe gar nicht, was das sein soll. In meinen Klassen ist die Leistungsschere immer riesengroß. Wir arbeiten sehr oft offen, d.h. schon lange machen nicht alle Schüler nicht exakt das Gleiche zur gleichen Zeit. Und wo ist euer Beitrag? Kämpft ihr mit uns für kleinere Klassen? Warum wurde das Kind nicht früher eingeschult? Wieso fördert ihr es nicht mehr außerhalb der Schule? Welch Wunderwesen sollen Lehrer sein? Immer vollere Klassen, immer mehr Verpflichtungen. Immer mehr verhaltensauffällige Kinder. Kürzungen für lernschwache Kinder. Schwierige Eltern. Vielleicht ist einfach mehr Verständnis, Kooperation und gegenseitige Unterstützung gefragt?!? Und sowieso wieso definiert ihr Schule nach Leistung? Schule ist so viel mehr.

    Julia Schöneberger
    Antworten 16. September 2018

    Liebe Doris,
    Da kann ich mich nur anschließen. Ich habe selbst einen hochbegabten Kurzen, der sich aber mit Träumen über Wasser hält. Ich unterrichte an einem Gymnasium, und ich habe alle 45 Minuten 25-30 neue Kinder vor mir sitzen. Und da sitzen Kinder, die schlicht und ergreifend nicht mitkommen, denen ich aber die Sicherheit und Geborgenheit meiner kleinen Schule gönne. Kinder, die nicht mal sitzen können, die andere beschimpfen und verletzen. Denen ich aber helfen möchte, bis die Therapie/ das Medikament anschlägt. Kinder, die einfach grottig erzogen sind und "Schlampe" für ein Kosewort halten. Und auch mitunter sehr clevere oder sehr leistungswillige Kinder, die sich schnell langweilen. Denen möchte ich natürlich Denkfutter bieten. Das Ganze mit G8 und zwei Hauptfächern und voller Stelle und selbst zwei Kindern. Und dann sitze ich im Lehrerzimmer und weine, weil mal wieder nicht alles geklappt hat, mal wieder jemand zu kurz kam.
    Wir bräuchten durchaus Unterstützung von den Eltern, von unseren Arbeitgebern auch. Keine gegenseitigen Schuldzuweisungen.
    Es tut mir leid, dass hier mal wieder ein Kind unter der Tatsache leidet, dass Bildung in Deutschland nicht wichtig ist. (Kleiner Tipp: Ich liebe Montessori-Schulen.....)
    An alle: Kopf hoch und zusammenhalten!

    Béa Beste
    Antworten 16. September 2018

    Liebe Sonja, der Beitrag ist ein Gastbeitrag und wir erlauben uns, manchmal das, was wir von Leserinnen bekommen, einfach so weiterzugeben. Das ist ihre Realität. Davon gehen wir dann aus. Deine Fragen sind gut, und deine Anmerkungen willkommen. Und deinen Aufruf auch gut! Wir werden aus den vielen Rückmeldungen auch noch einen Beitrag dazu schreiben! Liebe Grüße, Béa

Ulli
Antworten 8. November 2018

Wir haben zwei „spezielle“ Kinder, ein Jüngeres mit einer allgemeinen Hochbegabung und das ältere mit Inselbegabungen, hinzu kommt bei beiden eine leichte ADS. Bei unserem älteren Sohn wurde, trotz mehrfachen Abklärungen, lange keine klare Diagnose gestellt - als wir sie dann endlich bekamen, war sein Schulfrust über das Anders-Sein und die entsprechenden Reaktionen von Lehrern und Mitschülern schon so hoch, dass nur noch ein Wechsel auf eine Privatschule half. Hier kann er mit viel eigenständigem Arbeiten, Lern-Ateliers und Coaching nun endlich in seinem Tempo und Tiefe lernen, ist glücklich und hochmotiviert. Ganz anders unsere jüngere Tochter, bei der wir auch aufgrund des Leidensdruckes ihres Bruders schon in der ersten Klasse nicht locker liessen, bis sie eine klare Diagnose bekam. Sie hat das grosse Glück, hier in der Schweiz sowohl an der „Integrativen Schulischen Förderung“ für ihr ADS als auch an der Begabtenförderung teilzunehmen, die noch dazu beide in der Hand der gleichen, tollen Pädagogin sind. Diese kommt dazu in der Klasse, gibt unserer Tochter Extra-Aufgaben und arbeitet mit ihr, in enger Absprache und Mitarbeit mit den zwei Klassenlehrerinnen. Ein Traum! Unsere Tochter kann bei ihrer Altersgruppe und Freundinnen bleiben, ist ebenfalls sehr glücklich, ausgelastet und motiviert. Es wäre so toll, wenn es in Deutschland flächendeckend ähnliche Unterstützung der Kinder und Lehrer gäbe ...

    Yvonne Petzke
    Antworten 8. November 2018

    Liebe Ulli,
    vielen Dank und Dein Wort in das Gehör der deutschen Schulpolitiker!!
    Wunderbar, dass es diese Möglichkeiten in der Schweiz gibt.
    LG, Yvonne

Gaby
Antworten 21. Mai 2019

In der vierten Klasse der Montessori-Schule machten wir alle einen Test zwecks besserer Prognose für die weitere Schullaufbahn... das (sehr gute) Ergebnis wurde mir den Rest meiner Schulzeit oft vorgehalten, wenn die Noten nicht grandios waren. Ich selbst habe "dieses Wissen" vierzig Jahre geheim gehalten😉. Es hat mich bestärkt meinen Weg zu gehen und das zu tun wofür ich wirklich brenne. So viel Schule wie nötig und so wenig wie möglich war ein gutes Motto – dafür wurde SEHR viel Zeit frei für selbständig gewählte Aktivitäten. Meine Mutter hat mich glücklicherweise mit Augenmaß gewähren lassen. So haben wir es auch mit unseren vier Kindern gehandhabt – immer im Kontakt mit den Lehrern und nicht in einer Ganztagsschule: der Nachmittag war die Zeit für frei gewählte eigene Interessen. Die Stunden in der Schule haben auch nicht geschadet... man lernt und sieht dort so viel mehr als das präsentierte Lernpensum.

Linnea
Antworten 16. Oktober 2019

Unser Sohn ist in der zweiten Klasse und fällt seit ca. drei Jahren durch seine kognitiven Fähigkeiten auf, er spielt mittlerweile sehr gut Schach, rechnet die verrücktesten Dinge aus, ist aber auch für Politik und Co zu haben. Wir haben uns entschieden, erst im späten Verlauf der Grundschule testen zu lassen. Stattdessen haben wir bewusst eine Montessori-Schule ausgewählt, weil hier klassenübergreifendes Lernen und individuelles Lerntempo möglich sind. Bei der Bewerbung haben wir nur gesagt, dass unser Sohn ein großes Interesse für naturwissenschaftliche Themen etc. hat, aber nichts zu unserer Vermutung erzählt, um ihn nicht unter Erwartungsdruck zu setzen. Unsere Hoffnungen an die Schule werden bisher voll erfüllt, Erzieherin und Lehrerin haben nach der Kennenlernzeit seine Fähigkeiten ohne unseren Einfluss erkannt, gehen voll auf die vermutliche Begabung ein, ohne ständig zu pushen, und unser Sohn hat - identisch wie Kinder mit besonderen Lernschwierigkeiten - eine "Förderampel", nach der er gefördert wird und die auch soziale Schwierigkeiten, die evtl. im Zusammenspiel mit anderen Kindern mal auftauchen können, beachtet. Das wäre also sicher in vielen Orten eine gute Variante. Ansonsten gibt es in vielen Bundesländern auch Schwerpunktschulen für Hochbegabung, manchmal in Kooperation mit der Karg-Stiftung.
Ich war als Jugendliche dann selbst auf einem Internat für hochbegabte Kinder und kann auch das sehr empfehlen, es war eine wunderbare Zeit für alle Schüler*innen bei uns, die sehr aufgabenzugewandt waren.
Der Artikel selbst ist mir übrigens auch zu sehr Schwarz-Weiß. Ich habe selbst Lehramt studiert und ja auch unsere Lehrer im Internat in Erinnerung: Hochbegabte Kinder zu fördern, ist durchaus eine große Herausforderung. Die Blockadehaltung des Mathelehrers verrät nichts Gutes, aber ich würde immer wieder versuchen, das Gespräch zu suchen oder eben auch die Konsequenzen mit einem Schulwechsel forcieren. VG

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