Ist die Kritik an Tattoos nichts anderes als Body Shaming?


Heutzutage haben viele Menschen Tattoos. Die Zeit ihrer „Skandalösität“ ist vorbei, und doch rücken sie immer wieder in den Fokus der Missbilligung. Aber schließlich gehören sie auch zum Körper, und ist die Kritik an Tattoos somit nichts anderes als Body Shaming?

Meistens ziehe ich die Inspiration meiner Beiträge aus Gesprächen mit dem Umfeld. So auch in diesem Fall. Neulich hatte ich ein Gespräch mit einem eher älteren Familienmitglied. Die Person ist eigentlich total offen, aber in mancher Hinsicht auch sehr altmodisch.

„Weißt du“, begann die Person, „ich habe heute einen Mann in der U-Bahn gesehen, der von Kopf bis Fuß tätowiert war. Sogar im Gesicht!! Kannst du dir das vorstellen? Das muss ja höllisch wehtun. Aber er hatte eine wunderschöne Freundin im Arm, was ich nicht verstehen konnte. Was finden die Frauen denn bloß an sowas?“

Ich versuchte gar nicht erst, die Person darauf hinzuweisen, wie problematisch ich ihre geäußerten Gedanken fand.

Stattdessen sagte ich: „Na und? Wenn sie glücklich miteinander sind? Lass sie doch ihr Leben leben.“

„Ja, aber ich finde, das sieht irgendwann nicht mehr schön aus!“

„Du musst es ja nicht schön finden. Es ist ja deren Körper und nicht deiner.“

Das fasste die Person als persönliche Beleidigung auf. Bockig beendete sie das Gespräch, weil ich nicht verstanden hätte, worauf sie hinauswollte. Aber das tat ich.

Stigma um Tattoos

Eigentlich dachte ich, dass Tattoos inzwischen von sämtlichen Stigmatisierungen befreit sind, aber vermutlich liegt das an meiner Berlin-Bubble, und der Tatsache, dass ich auch Geschäftsleute kenne, die jenseits ihres Anzugs einen volltätowierten Arm haben. Auch viele der Tollabea Community sind mit Tattoos geschmückt – ein paar Prachtexemplare habe ich einmal in diesem Beitrag zusammengefasst.

Aber Fakt ist, dass Tattoos nach wie vor auch kritisch beäugt werden. Einige verbinden Drogen noch immer mit Kriminellen oder Drogenabhängigen. Wieder andere schütteln den Kopf darüber, dass alle auf den Trendzug springen.

Tattoos sind kein Ding der Moderne

Körperbemalung gab es schon immer, auch permanente. Meine Oma hatte sogar eins – ein Symbol auf dem Finger, vermutlich von der berberischen Kultur geprägt. In Marokko haben viele ältere Frauen aus dem Land permanente Körperbemalung – auch im Gesicht! Die Gründe sind unterschiedlich, aber die Entscheidung ist oft persönlich und vor allem kulturgeprägt. Dort hat nie jemand etwas gesagt, schließlich ist es ein Kulturding! Aber ich wüsste genau, dass meine Oma, wenn sie noch lebte, ziemlich allergisch auf die Tattoos meiner Schwester reagiert hätte – denn das ist ja schließlich was völlig anderes!! 😉

Kritik an Body Positivity?

Ebenfalls häufig gehört habe ich den „Vorwurf“, dass man seinen Körper so lieben soll wie er ist und das System, dass mit unseren körperlichen Unsicherheiten einen Haufen Kohle macht, nicht unterstützen soll. Schönheits-OPs stehen deshalb auch häufig in der Kritik, zumindest in der westlichen Welt.

In dieser Aussage steckt jedoch eine verschleierte Täter-Opfer-Umkehr. Es stimmt zwar, dass sich einige nur deshalb ein Tattoo stechen lassen oder Schönheits-OPs unterziehen, weil sie sich von der Gesellschaft unter Druck gesetzt fühlen, aber sollten wir dann nicht eher das System kritisieren als die „Opfer“, die es nicht schaffen, sich von dem gesellschaftlichen Druck zu befreien?

Aber das sind alles Ausnahmen, denn ich glaube, dass die meisten Menschen das viele Geld ausgeben und den Schmerz in Kauf nehmen, weil sie richtig Bock auf ein Tattoo haben. Die Gründe sind egal. Trotzdem müssen sie sich rechtfertigen.

„Du wirst es später bereuen.“

Noch ein Spruch, den viele sicher kennen. Ich höre ihn oft von Eltern (inklusive meinen), und empfinde ihn jedes Mal als sehr bevormundend. Als wüssten sie es grundsätzlich besser und glaubten das Recht zu haben, über die Körper ihrer Kids zu entscheiden (bei minderjährigen Kindern ist das natürlich was anderes).

Das Thema Reue ist ohnehin eine Sache. Ja, Tattoos sind permanent, und vielleicht bereuen die ein oder anderen ihre Kunstwerke später. Aber vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon? Niemand kann in die Zukunft sehen. Vielleicht bereuen wir die Tattoos, ähnlich, wie wir andere Dinge bereuen, die sich nicht umkehren lassen. Das ist nun mal das Leben.

Kritik an Tattoos = Body Shaming?

Meiner Meinung nach ja! Jede:r hat eine eigene Meinung, aber wer sich negativ über den Körper einer anderen Person auslässt, diskriminiert sie. Und Körperdiskriminierung ist nichts anderes als Body Shaming. Auch bei der Kritik an den Tattoos anderer.

Mein Körper, meine Regeln! <3

Wer sich den Körper mit permanenter Farbe zukleistern will, kann das tun, denn es ist sein Körper. Niemand sonst entscheidet darüber als man selbst. Warum jemand sich dazu entscheidet, kann die unterschiedlichsten Gründe haben, die Außenstehende aber im Grunde nichts angehen. Eigener Körper eigene Regeln.

Wie seht ihr das?

Hier noch die Tattoos der Community:

Die schönsten Tattoos der Tollabea Community

Liebe Grüße
Mounia

Mounia
About me

Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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6 Kommentare

Sebastian
Antworten 18. Juni 2022

Ich hab mittlerweile eine entspannte Haltung dazu. Für mich würden Tattoos nie in Frage kommen und ich mag es bei anderen fast immer lieber, wenn sie keine haben. Wobei es auch Typen (m/w) gibt, bei denen ich es schon sehr "kunstvoll" finde.

Ich gebe zu, dass ich mit Tattoos IRGENDWIE, IRGENDWO, warum auch immer, etwas "primitives" verbinde. Nur wäre dann die halbe Gesellschaft primitiv (was natürlich durchaus sein kann ;)

Ich sag mal so: Bei weitem nicht jeder, der Tattoos hat, ist asi. Aber jeder Asi hat mindestens ein Tattoo 😄

Veronika
Antworten 21. Juni 2022

Ich bin ein wenig irritiert über den Satz "Bockig beendete sie das Gespräch, weil ich nicht verstanden hätte, worauf sie hinauswollte."
Das empfinde ich als wenig wertschätzend, viel mehr sogar als ziemlich hartes Urteil. Im übrigen auch die Beschreibung, die Person sei eigentlich offen, in manchen Dingen aber sehr altmodisch.
Bei all der Tolleranz und den immer wiederkehrenden Hinweisen dieses Blogs auf einen achtsamen Umgang, bringt mich das sehr ins Nachdenken. Mir stellt sich die Frage, ob das wirklich noch Augenhöhe sein kann?
Tatsächlich hat mich das am Weiterlesen gehindert.

    Béa Beste
    Antworten 21. Juni 2022

    Liebe Veronika, hier ist Béa. Aaaalso: mindfulsun ist diejenige, die sich umfassend in GfK eingelesen und weitergebildet hat und auch diese Werte lebt. Bei Mounia und bei mir ist es so: Wir befinden uns im Lernprozess, d.h. das Bewusstwerden von Bewertungsmuster ist manchmal noch nicht so gleich da. Deswegen Danke, dass du uns darauf hinweist... und darüber werden wir eben nachdenken! Liebe Grüße, Béa

    mindfulsun
    Antworten 22. Juni 2022

    Liebe Veronika, ich bin an der gleichen Stelle ins Stocken gekommen. Auch ich empfinde "bockig" als Beurteilung und wenig verbindend.
    Gleichzeitig weiß ich, dass viele Menschen so geprägt sind, anderen etwas zuzuweisen. Und diese Prägung hinter sich zu lassen, dauert. LG mindfulsun

Julia
Antworten 21. Juni 2022

Ich hatte diese Diskussion auch schon mit meiner Grossmutter. Und habe sie dann auf ihre "ausgeleierten" Ohrlöcher hingewiesen. Ja, das war mal anders und sieht irgendwann auch nicht mehr so schön aus (ihre eigene Formulierung, nicht meine!). Aber deswegen gehören sie trotzdem zu ihr und sie hat sie nicht bereut. Was ist an einem Tatoo so anders? Das hat sie dann zum Nachdenken gebracht...
LG, Julia

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