Mit Handicap auf Klassenfahrt – liebe Lehrer, traut euch mal Inklusion


Letzte Woche war mein Sohn zum ersten Mal auf Klassenfahrt. Gleich 4 Tage lang habe ich ihn jemand anderem anvertraut. Idealerweise bedeutet das natürlich, dass man den Betreuern vertraut und ihnen den Umgang mit den Kindern zutraut. Das tue ich. Schließlich bin ich ein alter Hase in solchen Sachen. Und trotzdem war es dieses Mal ein bisschen anders.

Klassenfahrt und  Inklusion: Dieses Mal sind die dritten Klassen einer Förderschule auf Reisen gegangen.

Alle Kinder dort haben ihr Päckchen zu tragen und Junior mit seinem Diabetes ist dort nichts Besonderes. Alle Kinder müssen individuell medizinisch betreut und versorgt werden. Manche sehr intensiv. Aber ansonsten sind sie alle ganz normale Kinder. Gut, die Klassen sind entsprechend klein und der Betreuungsschlüssel hoch.

Trotzdem ist so eine Klassenfahrt etwas ganz anderes, als unsere Kinder jeden Nachmittag wieder nach Hause zu entlassen.

Am Montagmorgen habe ich Junior mit Koffer und Rucksack in seinen Schulbus gesetzt. Weg war er. Schon auf dem Weg zurück ins Haus überlegte ich, ob das gut gehen soll und die Betreuer mein Chaoskind wohl überleben werden.

Der erste Tag ohne Junior fühlte sich ein bisschen komisch an. Ohne meinen Sohn im Haus ist es hier wirklich leise. Seine Schwestern sind im Gegensatz zu ihm absolut pflegeleicht.

Aber kaum daran gewöhnt, konnte ich die drei Abende ohne meinen Sohn wirklich genießen.

Ja, das ist so. Und das sage ich ganz ohne schlechtes Gewissen:

Hat man ein Kind zu Hause, das – warum auch immer – unendlich viel mehr Aufmerksamkeit einfordert als andere Kinder, dann darf man ein paar Tage ohne sein Kind auch für sich nutzen und ein wenig abschalten.

Vier Tage lang hörte ich nichts von meinem Sohn.

Erst am Donnerstagnachmittag sah ich ihn wieder, als wir Eltern unsere Kinder von der Klassenfahrt wieder abholten. Die Begrüßung fiel dürftig aus. Junior hing auf der Seilbahn und rauschte mit einem „Hallo Mama“ an mir vorbei. Das war’s. Er wollte die letzte Stunde auf dem Gelände des Jugendwaldheims offensichtlich noch einmal richtig ausnutzen. Wir Eltern und Betreuer fanden uns währenddessen zu Kaffee und Kuchen zusammen.

Die Klassenleiterin erzählte fröhlich von den vielen kleinen Geschichten, die sie in den vergangenen Tagen mit unseren Kindern erlebt hatte.

Damit gab sie uns das sichere Gefühl, dass unsere Kinder auf jeden Fall gut bei ihr und den anderen Betreuern aufgehoben waren. Sie ließ aber auch nicht unerwähnt, dass sie jetzt erstmal Urlaub vertragen könnte, was ich wirklich gut verstehen kann!

Wer meinen Sohn noch nicht rund um die Uhr betreut hat, der wird mit der einen oder anderen ungeahnten Herausforderung konfrontiert:

Mit seinen Launen, die zum Abend hin immer anstrengender werden. Mit seinen Einschlafstörungen, die die Lehrer zwar von meinen Erzählungen kannten, aber nur schwer glauben konnten. Und mit einer piepsenden Pumpe und Blutzuckermessungen mitten in der Nacht.

„Wie schaffen sie das nur?“, fragte sie mich mit anerkennendem Kopfschütteln. Manchmal weiß ich das selbst nicht so genau.

Es war wirklich anstrengend für die Betreuer. Dass sie mich kein einziges Mal angerufen haben, um zu sagen: „Es geht nicht mehr, wir brauchen ihre Hilfe“, rechne ich ihnen ganz hoch an. Sie haben es wirklich gut hinbekommen. Sie haben die 4 Tage mit unseren gehandicapten Kindern allein gemeistert und uns Eltern unsere kinderfreien Tage gegönnt.

Was ich nach dieser Klassenfahrt aber eigentlich und unbedingt sagen will:

Auch an Regelschulen gibt es Kinder mit Behinderungen. Und es werden in Zukunft noch mehr werden. Immer wieder bekomme ich mit, dass es behinderten Kindern schwer gemacht wird, so richtig dazuzugehören. Nicht unbedingt von den Mitschülern, sondern von den Pädagogen.

Dabei braucht Inklusion keine sonderpädagogische Zusatzausbildung. Offen und unbefangen mit unseren Kindern umgehen zu können, beginnt im Kopf!

Liebe Grüße

Eure Doro

P.S. Habt ihr als Eltern oder gar Lehrer Erfahrungen mit Klassenfahrt und Inklusion? Lasst uns das wissen. Entweder in den Kommentaren oder, falls ihr anonym bleiben wollt, schickt uns am besten eine PN über den Messenger: https://m.me/tollabea  

Übrigens, dann fragt euch das Ding, ob ihr News von uns erhalten wollt…
Ein „Ja, geht klar, würde uns freuen!

Doro
About me

Vom Stadtkind zur Landmama. Heimwerkerin und Basteltante, Bücherratte und Bilderdenkerin. Gnadenloser Optimist. Nachteule und Langschläfer. Immer neue Flausen im Kopf. Single-Mom in einem 4-Kinder-Haus und Vollzeit im Beruf. Büroflüchtling, wann immer ich kann. Verliebt in den Himmel und die Magie von Büchern ... Und irgendwann schreibe ich selbst ein Buch.

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4 Kommentare

Kerstin
Antworten 28. Juni 2018

Hallo Doro! Dein Artikel gefällt mir! :-) Ich arbeite an einer inklusiv arbeitenden Grundschule mit Kindern mit Behinderungen und Kindern ohne Behinderungen! Bei uns lernen und leben einfach alle Kinder während des Schultages miteinander! Und alle Kinder sind eben einfach ganz normale Kinder, wie auch immer sie sind! Bei uns ist jeder genau so richtig, wie er oder sie ist! Ähnlich hört sich deine Beschreibung über die Klasse bzw Schule deines Sohnes an! :-)
Wir fahren auch in jedem Jahr für eine Schulwoche auf Schulfahrt. Die Eltern sind immer ganz gespannt, ob alles klappt, ob es den Kindern gut geht und sie als Eltern zu Hause entspannen und ruhen können. Beim Abholen gibt es immer ein großes Hallo, die Kinder würden aber meist noch etwas länger im „Urlaub“ bleiben! Wir als Lehrkräfte genießen die Schulfahrt aber auch immer sehr! Es ist eine intensive, spannende, anstrengende und wirklich sehr, sehr lustige Zeit miteinander!

Liebe Grüße! Kerstin

Joachim Hussing
Antworten 29. Juni 2020

Vielen Dank für diesen Blog-Beitrag über Klassenfahrten. Mein Sohn hat ein Handicap, und ich möchte sicherstellen, dass er in Zukunft an Klassenfahrten teilnehmen kann. Die Informationen in diesem Blogbeitrag sind sehr hilfreich, und ich werde in Zukunft darauf verweisen, wenn mein Sohn in die Schule geht.

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