„Er war noch nicht so weit für die Schule!“ – wie Eltern sich wegen eines Stichtages ein Jahr mehr Kindheit für ihren Sohn erkämpfen mussten…


„Liebe Eltern und alle, die sich für unsere Kinder verantwortlich fühlen, das Wichtigste für unsere Kinder ist, dass sie ausreichend Zeit bekommen, um in allen Bereichen zu reifen, damit sie auf das Leben bestmöglichst vorbereitet sind. Dazu gehört auch der bestmögliche Start in die Schule.“

– mit diesen Zeilen möchte euch Jule und die Elterninitiative „Stoppt die Früheinschulung in Baden-Württemberg!“ erreichen.

Sie wollen eine Rückverlegung des Stichtages zur Schulfähigkeit und haben dafür eine Petition gestartet – dazu brauchen sie eure Unterstützung.

Denn auch wenn sie erst am 30. September ihren sechsten Geburtstag feiern, gilt für Kinder in Baden-Württemberg: Nach Ende der Sommerferien müssen sie eingeschult werden – obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch zarte fünf Jahre jung sind!

Damit ihr besser versteht, was da auf dem Spiel ist, haben wir von Natalie und Marko ein Bericht bekommen, wie schwer es für ihre kleine Familie war, mit diesem Stichtag klarzukommen:

Ein 3 monatiger Hürdenlauf für ein Jahr mehr Kindseindürfen

Es ging um den Schulbesuch im Schuljahr 2019/2020. Die am 24.01.2018 durchgeführte Schuleingangsuntersuchung war für uns ein erster Orientierungspunkt für die Schulfähigkeit unseres Sohnes, der Ende August seinen 5. Geburtstag haben würde.

In ein paar Kategorien wurde Förderbedarf festgestellt. Letztendlich sei doch alles im normalen Bereich, sagte man uns.

Diesen Förderbedarf haben wir als Ausgangspunkt genommen, das Kind im häuslichen Umfeld zu beobachten und zu fördern. Jedoch war die Frage der Schulfähigkeit auf Grund seines jungen Alters noch nicht abschätzbar.

Ein deutlicheres Bild ergab sich für uns, als er im September 2018, die Vorschule im Kindergarten begann. Wie wir von den Erzieherinnen erfuhren, erschien das Kind öfters nicht ernsthaft interessiert an den Inhalten, die in der Vorschule durchgeführt wurden. Auch uns sagte er, er würde sich lieber in der Gruppe beim Spielen aufhalten als im „Großentreff“ zu sein, da ihm die Sachen die da gemacht werden zu schwer waren.  Er sagte uns, er hatte kein Interesse daran.

Grundsätzlich hatten wir vorher nie den Eindruck, dass unser Sohn desinteressiert war. Wir als Eltern haben uns viele Gedanken über die Ursachen dieser Situation gemacht und waren auch stets im Austausch mit den Erzieherinnen darüber. Deshalb war die Schlussfolgerung unsererseits, die wir daraus gezogen haben, dass ihm bisher das nötige Interesse bzw. die Leistungsmotivation für die vorschulischen Inhalte fehlt.

Schließlich war er auch das jüngste Kind in der Gruppe…

Bestätigt wurde dieser Eindruck dann auch im jährlichen Entwicklungsgespräch mit seiner Bezugserzieherin. Sie hatte etliche Bedenken hinsichtlich der Schulfähigkeit. Ich sagte ihr daraufhin, dass wir als Eltern uns auch schon mit dem Gedanken einer Rückstellung befasst haben und sie stimmte zu, dass sie es auch für sinnvoll halten würde.

Darüber hinaus machte sie uns auch auf die Grundschulförderklasse an unserer Grundschule aufmerksam – als Alternative zu einem weiteren Jahr im Kindergarten. Mit dieser Option hatten wir uns als Eltern auch schon befasst und sind zum Resultat gekommen, dass wir das Jahr im Kindergarten bevorzugen würden – da es schwerpunktmäßig nicht um kognitive Defizite ging, sondern um Fragen der Leitungsmotivation und des selbständigen und verantwortungsvollen Handelns des Kindes geht.

Einfacher ausgedrückt:

Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass unser Sohn in einer Innenstadtgrundschule mit Rund 600 Schülern geht…

…geschweige denn die Pause und den Schulweg sicher bewältigt, wenn er im Kindergarten nicht mal allein in den Garten mag – im Gegensatz zu den anderen Vorschülern.

Wir verblieben mit der Vereinbarung, dass die Bezugserzieherin die Frage der Zurückstellung in einer der nächsten Teamsitzungen ansprechen wollte. Ca. 4 Wochen später spitzte sich die Situation in der Vorschulgruppe immer mehr zu.

Mein Sohn sprach zuhause immer wieder an, dass er nicht mehr in die Vorschule gehen wollte und auch die Erzieherinnen meldeten mir zurück, dass er die Gruppe aufhalten würde. An den Kindern in der Gruppe konnte es nicht liegen, da die Gruppe der Vorschulkinder seine besten Freunde im Kindergarten sind. Und am Kindergarten insgesamt auch nicht – bis zum heutigen Tag fühlt er sich grundsätzlich dort sehr wohl, hat Spaß und zeigt Interesse am normalen Alltag.

Als mein Sohn immer wieder auf mich zukam, bat ich in einem schnellen Gespräch die Erzieherin, das Kind aus der Vorschule zu nehmen. Sie erwiderte mir kurz angebunden, dass das nicht so einfach sei. Dann fügte sie noch hinzu, dass sie ihren Sohn auch zurückstellen lassen wollte aber das nicht funktioniert hat.

Eine Woche später, also fünf Wochen nach dem Entwicklungsgespräch sprach mich die Bezugserzieherin meines Sohnes an ob ich kurz Zeit hätte. Sie nahm mich mit in den Nebenraum und sagte mir, dass der Kindergarten eine Zurückstellung nicht befürwortet mit folgender Begründung:

In der Vorschulgruppe des nächsten Jahres würden nur Mädchen sein: Da passe er nicht rein!

Die Erzieherinnen würden ihn in der 1. Klasse sehen – oder in der Grundschulförderklasse. Darüber reagierte ich recht verwundert und fragte die Bezugserziehrein, warum sie jetzt anderer Meinung sei als im Entwicklungsgespräch. Ihre Antwort war, dass das Team sie jetzt von der anderen Meinung überzeugt hat und außerdem war sie in der Teamsitzung in der das Thema gesprochen wurde gar nicht anwesend.

Verdutzt, verwundert und enttäuscht lief ich an diesem Morgen aus dem Kindergarten.

Als ich mit meinem Mann sprach und der genauso entsetzt reagierte wie ich und wir beschlossen mit der Leitung zu reden. Da der Kindergarten nur sehr eingeschränkt Termine zur Verfügung hatte, dauerte es nochmal einen Monat bis wir dran kamen. In dieser Zeit waren wir sehr verunsichert darüber, wie wir mit unserem Sohn umgehen sollten bezüglich der Schulfrage. Man merkte ihm auch an, dass ihn diese Unklarheit belastete obwohl wir versucht haben ihn so weit wie möglich aus der Sache rauszuhalten.

Zum Gesprächstermin mit der Kita-Leitung und der Gruppenleitung kam es dann Mitte Februar.

Eigentlich sollte auch die Bezugserzieherin unseres Sohnes daran teilnehmen, aber dann war sie kurzerhand verhindert. In der Zwischenzeit hatten wir unseren Sohn auch noch sehr genau beobachtet und dokumentiert, was für uns dagegen spricht ihn in die Schule zu schicken.

Er hatte uns zwischenzeitlich auch selbst gesagt er wolle sehr gern noch im Kindergarten bleiben obwohl ihm seine großen Freunde, die in die Schule gehen, fehlen würden.

Letztendlich hatten wir ein langes und konstruktives Gespräch mit der Kita-Leitung. Die Kita-Leitung legte uns nochmals die Grundschulförderklasse ans Herz. Letztendlich zeigte sich, dass wir bereits besser über die Struktur und die Inhalte der Grundschulförderklasse Bescheid wussten, da wir uns bereits sehr viele Informationen von Eltern die Kinder in dieser Klasse hatten, eingeholt haben. Wir hatten auch schon bei der Schule nach einem Beratungstermin gefragt aber dort teilte man uns mit dass es leider erstmal nicht möglich ist uns beraten zu lassen und wir können erst am Tag der Schulanmeldung über Zurückstellung und Somit auch über Grundschulförderklasse sprechen.

Letztendlich schloss die Kita-Leitung es nach unserem Gespräch nicht mehr aus, das Kind noch ein Jahr im Kindergarten zu behalten.

Sie sagte uns, dass sie persönlich denkt, dass die Entscheidung nicht über die Eltern hinweg getroffen werden sollte es aber letzten Endes die Entscheidung der Rektorin sei. Durch die Kontakte der Kita-Leitung haben wir dann doch schon vor der Schulanmeldung Kontakt zur Lehrerin der Grundschulförderklasse aufnehmen können und hatten auch einen kurzen Gesprächstermin mit ihr. Sie schilderte uns, dass ein Großteil ihrer Arbeit auf sonderpädagogischen Bereichen liegen würde, da die meisten Kinder aus schwierigen Verhältnissen kommen.

Nach dem Besuch und ein paar Tagen Bedenkzeit sind wir nochmal auf die Kita-Leitung zugegangen und haben ihr mitgeteilt, dass wir die Grundschulförderklasse ausschließen und weiter für eine Zurückstellung im Kindergarten sind. Sie hat uns daraufhin versichert. dass sie das der Schule so weiter gibt und den Kindergartenplatz erstmal frei hält.

Nach dem langen hin und her ist uns da das erste Mal ein Stein vom Herzen gefallen.

Nun mussten wir nur noch die Schulanmeldung am 19.03 abwarten, da wir ja laut Info der Schule erst dann unseren Rückstellungsantrag stellen konnten.

Mit einem ausführlich formulierten Rückstellungsantrag im Gepäck sind wir wie es uns gesagt wurde, zur Schulanmeldung erscheinen. Mein Mann hatte sich extra für diesen Termin freigenommen.

Die Lehrerin, die für uns zuständig war, war ratlos als wir kamen und guckte uns nur komisch an, weil sie nicht wusste warum wir zu ihr sollten. Sie schickte uns ins Rektorat. Dort standen wir dann in einer Schlange mit anderen Eltern ca. 60 min an, um uns bei der Rektorin vorzustellen.

Als wir dann im Rektorat waren sagte uns die Rektorin, das sie nichts von uns wusste und vorab keine Info bekommen hat…
… deshalb könne Sie zu unserem Antrag erstmal nichts sagen.

Sie legte und wieder die GS-Förderklasse ans Herz bis wir ihr erklärten, wie sehr wir uns schon damit beschäftigt hatten und warum wir es nicht wollten. Außerdem müssten wir ein schuleigenes Rückstellungsformular ausfüllen, das im Moment aber gerade vergriffen sei. So gingen wir an diesem Tag wieder frustriert nach Hause.

Ich machte mich in den nächsten Tagen gleich daran nochmal einen Termin bei der Kita-Leitung zu bekommen, um abzuklären, ob die Kita Informationen an die Schule gegeben hat oder nicht. Die Kita Leitung zeigte mir ein E-mail das bestätigte, dass die Info bereits vor dem Termin der Schulanmeldung rausgegangen war. Bis ich die Rektorin der Schule erreichen konnte, dauerte es dann nochmal eine halbe Woche. Inzwischen hat mir auch die Schulsekretärin bestätigt, dass alle Infos vom Kindergarten bereits vor der Schulanmeldung vorlagen und sie auch an die Rektorin weitergeleitet worden sind.

Als ich dann die Rektorin selbst am Telefon hatte und sie damit konfrontierte, ging sie auf das gar nicht ein und sagte mir nur, ich müsse nochmal vorbeikommen und das schuleigene Rückstellungsformular ausfüllen. Dies tat ich dann auch zwei Tage später. Hierbei bestätigte mir die Reaktion dann auch mündlich, dass die Rückstellung in Ordnung ginge. In diesem Augenblick ist uns erneut ein Stein vom Herzen gefallen, weil ich mittlerweile nicht mehr damit gerechnet hatte, dass ich eine klare Auskunft zu der Frage bekomme.

Inzwischen haben wir die Genehmigung der Rückstellung auch schriftlich!

Insgesamt lässt sich sagen, je es herrscht bereits jetzt in BW eine große Flexibilität was die Zurückstellung vom Schulbesuch angeht. Zumindest hat es in unserem Fall geklappt. Jedoch hat uns unsere Erfahrung und der Austausch darüber gezeigt, dass es kaum ohne die größeren und kleineren Hürden abläuft. Für uns hat dieser Rückstellungskampf 3 Monate eine enorme Familiäre Belastung dargestellt.

Zum einen, weil einem häufig signalisiert wird, man versucht quasi als „Helikoptereltern“ für sein Kind einen besonderen, irgendwie sogar abartigen Weg durchzuboxen. Zum anderen, weil die Ungewissheit, die gefühlte Machtlosigkeit sowie das ständige hin und her für die Kinder sowie deren Eltern emotional extrem belastend sind.

Die gesamte Zeit und vor allem der Nachmittag der Schulanmeldung war für uns und unseren Sohn sehr unangenehm, weil jeder der uns entgegen kam sagt: „Ah du kommst auch dieses Jahr in die Schule Kind, gell?“. Und wir jedes Mal erklären mussten: „Ähh nein, wir hoffen, äh wir denken, äh wir versuchen… ihn noch ein Jahr zurückstellen zu lassen.“

Totales Unverständnis über die rechtliche Situation ist bei uns aufgekommen, als wir bemerkt haben wie teilweise total unprofessionell, sprunghaft und taktisch mit dem Thema umgegangen worden ist.

Warum muss ich erst so hartnäckig sein und einen Termin bei der Kitaleitung einfordern, dass sich der Kindergarten ernsthaft und fundiert mit der Fragestellung der Rückstellung auseinandersetzt? Warum gibt es von Seiten der Schule keine Beratungsmöglichkeit vor dem Termin der Schulanmeldung im März? Warum muss ich mit einem Rückstellungsantrag zur normalen Schulanmeldung, wenn mich die Zuständige Lehrkraft dort verdutzt anschaut und die Rektorin vor lauter Elternflut nicht einmal 5 min Zeit hat. Warum wurden Infos vom Kindergarten an die Rektorin übermittelt und sie weiß dann aber nichts davon?

Ich verstehe einfach nicht warum man es den Eltern nicht zutraut, im Zweifelsfall das letzte Wort in zu haben.

Auch rechtlich. Meiner Meinung nach würden das viele Erzieher und Lehrer sogar befürworten. Es gibt kam Situationen, in denen die Eltern eine willkürliche Entscheidung in dieser Frage treffen oder irgendwelche Hintergedanken hegen. Ob das so auch für alle Grundschulrektoren gilt erscheint für mich äußerst fraglich?

Ein Bericht von Natalie und Marko

Wer davon bewegt wurde, bitte hier die Petition unterschreiben!

… und bitte teilen, teilen, teilen!

Liebe Grüße,

Béa

 

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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2 Kommentare

Sandra Fleige
Antworten 14. August 2019

Vielen Dank für diesen Bericht! Wir sind nicht alleine-bei uns lief es haargenau so, in jedem Punkt, incl. der familiären Belastung! Und das witzigste: mittlerweile ist die Petition erfolgreich und nächstes Schuljahr wäre der gesamte Hürdenlauf obsolet. Aber wir müssen uns weiterhin rechtfertigen, warum wir Helikoptereltern "unserem Sohn nichts zutrauen", nur weil wir nicht wollen, dass er sein Leben lang der Jüngste in der Klasse ist ( Geburtstag ganz kurz vor dem Stichtag 30.9.) Aber jetzt freuen wir uns alle auf ein weiteres Kindergartenjahr und einen Schulstart mit Lust und Freude!

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