Verwaiste Mutter: „Heute wäre ihr 19. Geburtstag gewesen…“ – Gastbeitrag


Für alle Menschen, die ein Kind verloren haben, für alle verwaiste Mütter und Väter, für alle Menschen, die ihre Lieben bei einen so schmerzhaften Verlust begleiten und trösten wollen: Ich habe diesen bewegenden Text bekommen und selbst bei Editieren einige Tränen verdrückt. Es ist traurig und wunderschön zugleich geschrieben.

Eine verwaiste Mutter berichtet:

Liebe Béa,

ich hatte mir vorgenommen, es mir einmal von der Seele zu schreiben und ich möchte nach so langer Zeit auch, dass es vielleicht von jemandem gelesen wird…

Während mein Mann mit unserem Sohn auf dem Boden liegend mit Lego spielt und meine ältere Tochter ganz dem Klischee des Pubertier bei geschlossener Zimmertür Musik hört und zeichnet, sitze ich hier. Mein Herz blutet. Mein Herz blutet einmal jährlich, wobei ich dazu sagen möchte, dass das nicht ganz stimmt. Das sage ich nur, wenn man mich fragt, wie es mir geht, wenn man mich fragt, wie ich durch die Zeit komme. Ich sage oft, die guten Tage werden häufiger, bis sie irgendwann überwiegen und die schlechten kaum noch Gewicht haben. Das stimmt aber nicht.

Ich bin eine verwaiste Mutter, meine erste Tochter wurde nur 11 Wochen alt.
Heute wäre ihr 19ter Geburtstag und bis gerade habe ich heute noch nicht geweint.

Ich war tapfer, bin zur Arbeit gegangen, habe dann nach zwei Stunden aber gemerkt, dass ich niemanden ertragen kann und durfte gehen. Ich arbeite an einer Grundschule, wie könnte ich den Kindern erklären, plötzlich in Tränen auszubrechen, oder kaum den Mund aufzubekommen, weil meine Zähne so fest aufeinander beißen, dass ich Kopfschmerzen bekomme. Ich bin aber nicht nur heute tapfer, was diese Emotionen angeht.

Niemand, der es nicht selbst am eigenen Leib oder vielmehr der Seele erfahren hat, kann nachfühlen, wie es ist, sein Kind zu verlieren.

Trotzdem durfte ich mir in den letzten Jahren, 19 an der Zahl, viele, viele mehr oder weniger gut gemeinte Ratschläge diesbezüglich anhören.

Nachdem die Kriminalpolizei das Kinderzimmer gesichtet hatte und man uns die Todesursache „plötzlicher Kindstod“ mitteilte, versank ich für einige Jahre in Trostlosigkeit. Die meisten Freunde haben uns verlassen, Gerüchte wurden in die Welt gesetzt, meine eigenen Schuldgefühle lasteten schwer, begleitet von Ungewissheit. Warum?

Ich kann mich an eine Situation erinnern, da saß ich alleine im Auto und eine Frau ging mit vier leicht verwahrlost aussehenden Kindern an mir vorbei. Eins zerrte sie grob am Handgelenk hinter sich her und schimpfte in sehr unschöner Wortwahl.

Warum hat diese Frau vier Kinder?

Ich verstand es nicht und es kam mir mehr als einmal der Gedanke, mir das Leben zu nehmen.

Der Gedanke an meine Familie, die ich zurücklassen würde, hielt mich letztlich davon ab.

Ich fand zurück ins Leben, in einen Beruf, der mich glücklich machte und wurde wieder schwanger, vom gleichen Vater meiner ersten Tochter. Es war wieder ein Mädchen. Sie rettete mir das Leben.

Alsbald trennten sich mein Mann und ich, bald fand ich eine neue, andere Liebe, von der ich nicht sagen möchte, sie ist tiefer. Sie ist anders und das Band zwischen mir und meinem Exmann besteht trotzdem immer noch.

Ich lebe mit den Gedanken, dass ich vielleicht diese beiden wunderbaren Kinder nicht hätte, wäre meine erste Tochter noch am Leben. Ich erwische mich bei den Überlegungen, wie wäre es, jetzt eine junge erwachsene Frau als Tochter zu haben. Es tut weh, macht mich traurig, doch weg komme ich von diesen Gedankengängen nicht.

Inzwischen habe ich, was Meinungen und Kommentare anderer anbelangt ein etwas dickeres Fell…

…und kann besser damit umgehen, wenn jemand sagt „Wie lange willst du denn noch trauern, irgendwann ist auch mal gut.“ oder „Man kann sich auch reinsteigern.“.

Die wissen nicht, wie es ist, in das Kinderzimmer zu kommen und einen toten Säugling im Bettchen zu finden.

Die wissen nichts von Schuldgefühlen, Vorwürfen und dem nicht aus dem Gedächtnis löschbaren Bild des Polizeibeamten, der das Bettchen fotografiert, während draußen in der Sonne der Krankenwagen steht und die betroffenen Sanitäter unschlüssig vor dem Haus herumstehen.

Die wissen nichts von dem Gefühl der Machtlosigkeit, wenn alles keinen Sinn ergibt und man die Sonne vor allem Mittwochs vormittags hasst.

Ich hoffe, sie werden es nicht durchleben müssen.

Wie es in Familien häufiger ist, haben viele Familienmitglieder zusammen oder eng beieinander liegend Geburtstag. So ist es auch bei uns. Erst kommt mein Mann, danach mein Vater und dann meine erste Tochter.

Alles innerhalb von wenigen Tagen. Wenn man jetzt weiß, dass mein Vater nun ebenfalls seit einigen Jahren verstorben ist, zu früh und sehr quälend an Krebs, wundert es dann, dass diese Geburtstagswoche für mich eine seelische Tortur bedeutet?

Einzig der Geburtstag meines Mannes hält mich ein wenig aufrecht. Danach folgt eine tiefe Traurigkeit, die ich einfach nicht aufhalten kann.

Die Todestage sind nicht so schlimm für mich, in der Zeit kann ich mich gut ablenken, sogar ignorieren.
Aber die Geburtstage sind für mich immer schlimm.

Ich möchte, dass jeder, der jemanden in seiner Umgebung hat und mit Trauer umzugehen hat, sich nachsichtig zeigt, nicht verurteilt – auch wenn man den Trauerenden manchmal vielleicht nicht verstehen kann und nicht nachvollziehen kann, dass es selbst nach Jahren noch weh tut.

Denn das tut es.

Mein Herz blutet, auch noch 19 Jahren noch und inzwischen habe ich auch wieder geweint.

___

Ihr Lieben, vielleicht kommentiert ihr mit einigen respektvollen und liebevollen Worten oder einfach nur mit einem Herzen, für unsere verwaiste Mutter? Ich glaube, Verständnis und gute Gedanken helfen immer ein kleines bißchen… 

Und gibt es auch andere verwaiste Eltern unter euch? Wollt ihr euch auch eure Geschichte von der Seele schreiben? Bitte meldet euch bei uns. 

In den Kommentaren oder schickt uns eine PN über den Messenger: https://m.me/tollabea 
(übrigens, dann fragt euch das Ding, ob ihr News von uns erhalten wollt… Ein „Ja, geht klar, würde uns freuen!)

Liebe Grüße,

Béa

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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5 Kommentare

Elisabeth Breuß
Antworten 28. Juli 2019

Es ist sehr traurig ein Kind zu verlieren und des ist normal, dass es spezielle Tage wie Geburtstage... nicht immerhin einfacher machen. Ich bin der Meinung dass jeder das Recht auf eine eigene Trauer hat Eine Liebevolle Umarmung dieser Mama💕

Andrea
Antworten 31. Oktober 2019

Ich weine mit fühle mit und finde mich wieder.
Mein Sohn ist 16 Wochen und 6 Tage alt geworden. Gestorben am Plötzlichen Kindstod.
Mir wurde die Chance auf ein Leben gemeinsam mit ihm genommen. Ein Leben wie es hätte sein sollen. Stattdessen wurde es kalt in mir und im Herzen.
In wenigen Tagen jährt sich der Todestag. Der erste.
Und in mir ist diese Traurigkeit.
Oh ich fühle so mit.
Dank dir für diesen Beitrag.

    Béa Beste
    Antworten 1. November 2019

    Liebe Andrea, ich kann mir wahrscheinlich nicht annähernd vorstellen, wie du dich fühlst. Ich würde dich am liebsten umarmen und trösten. Danke, dass du diesen Kommentar hier hinterlassen hast, es tut auch immer der Mama gut, die ihn geschrieben hat. Liebe Grüße, Béa

      Andrea
      Antworten 7. November 2019

      Man möchte sich so etwas auch nicht vorstellen.
      Ich versuche alles mit meinem Blog aufzuarbeiten, meinen Gedanken einen Platz zu geben.
      Das Schreiben hilft mir, es tut mir gut. Auch wenn es noch so wenige Lesen mögen, so hilft es. Mir und auch vielen anderen Mamas und Papas die das gleiche Schicksal erlitten habe.
      Ich habe so viel positive Rückmeldung bekommen. So viele Nachrichten das es nicht nur uns passiert ist und das tröstet etwas, jedenfalls fühlt man sich nicht so "alleine". Wie du schon sagst, es tut der Mama gut.
      Ich bin froh auf diesen Bericht gestoßen zu sein.

Maxi Orlovius
Antworten 31. Oktober 2019

Ich umarme dich.

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