Wilhelm Busch: Erfinder des Comics oder Schwarze Pädagogik? Gastbeitrag von Frau Papa


Neulich in der Tollabea Community stellte eine Mutter die Frage, ob die Geschichten von Wilhelm Busch nicht eine Nähe zur „schwarzen Pädagogik“ haben. Dies wurde recht kontrovers diskutiert. Und unsere Gastkolumistin Nina alias Frau Papa hat sich Gedanken zu diesem Thema gemacht. 

Meine Großmutter las mir gerne vor. Ich kann mich erinnern, dass ich mit ihr auf der kleinen Bank vor dem Haus in der Sonne saß und sie ein dickes Buch auf ihrem Schoß hielt und mit dem Finger meinen Blick über Bilder und Texte lenkte. In ihren Händen hielt sie ein Buch, das sie wie einen Schatz hütete: einen Sammelband von Wilhelm Busch. Immer wieder saßen wir da, lasen gemeinsam und lachten.

Ja, ich gebe zu, das ist lange her und die Welt hat sich seitdem verändert, aber in meinem Bücherregal steht auch ein solches dickes Buch. Vor ein paar Jahren habe ich meinen Kindern Max und Moritz vorgelesen. Die Kombination von Text und Bildern war für die beiden kleinen sehr spannend und so waren sie mit Begeisterung dabei.

Nun weiß ich, dass der gute Meister Busch nicht unumstritten ist. Seine Sprache stößt auf Widerstand und seine Geschichten seien unnötig grausam. Ja, in seinen Geschichten wird geschlagen, verletzt und geprügelt. Er wuchs in einer Zeit und Gesellschaft auf, in der die Prügelstrafe komplett alltäglich war. Zum Glück hat sich die Gesellschaft inzwischen da deutlich verändert und entsprechend wird Wilhelm Busch immer öfter aus den Bücherregalen verbannt.

Warum lese ich meine Kindern Wilhelm Busch vor?

Ich lande immer wieder bei Max und Moritz, die allen im Dorf mit ihren Streichen, das Leben schwer machten, und deren Geschichte ein tragisches Ende nimmt. Tragisch vor allem, weil keiner um die beiden Kinder trauert. Ich kann mich erinnern, dass meine Lieblingszeichnung die war, als die Enten die gemahlenen Reste von Max und Moritz aufgefressen haben. Die Vögel waren so unbeschwert und irgendwie erschien es mir fair, nach dem, was die beiden jungen den Hühnern der Witwe Bolte angetan hatten. Was mich aber am meisten faszinierte waren die Reime. Bis heute kann ich die meisten Texte auswendig und das, obwohl ich Texte nur sehr schlecht behalten kann.

So grausam Wilhelm Busch mit seinen Figuren umging, so raffiniert ging er mit Sprache um.

Er, der bis heute als Erfinder des Comics gilt, zeichnete zuerst das Bild und dann erst schrieb er den passenden Text dazu – so heißt es, wenn man nachliest. Und oft ist es wirklich so, dass im Bild ein Detail steckt, das sich erst durch den Reim dazu offenbart. Dies hier erzählt eigentlich drei Geschichten auf einmal – auf jeder Ebene eine:

Meine Kinder mögen Max und Moritz. Immer wieder nehmen wir das Buch zur Hand und lesen die berühmten Streiche. Immer wieder schütteln wir den Kopf, weil alles so übertrieben ist und auch so grausam.

Ich gebe zu, dass ich meinen Kindern nicht alle Geschichten von Wilhelm Busch vorlesen würde.

Den Antisemitismus in „die schlimme Helene“ und viele Wörter, die heutzutage als eindeutig rassistisch gelesen werden, vermeide ich so weit als möglich. Bei einigen Textstellen reden wir gemeinsam darüber und ich erkläre meinen Kindern, so gut ich kann, in welchem Kontext diese Texte stehen. Das Schöne daran ist, dass meine Kinder lernen, sich kritisch mit Texten auseinander zu setzen, die oberflächlich betrachtet nur „witzig“ sind.

Kritik an Wilhelm Busch kommt immer wieder und es ist eigentlich alles dabei zu finden: Die Prügelstrafe, die unnötige Gewalt, die rassistische Sprache, usw. Aber die beste Kritik bekomme ich von meinen Kindern.

Was halten meine Kinder von Wilhelm Busch?

Am Wochenende haben wir Wilhelm Busch gelesen und ich habe danach meine Söhne befragt, was sie von den Geschichten halten. Beide sind von den Zeichnungen fasziniert und beschreiben sie als witzig bis gruselig. Wie ein Comic wären die Geschichten leicht zu lesen und durch die Bilder gut zu verstehen. Der Mittlere (8 Jahre) beschreibt die Geschichten als schadenfroh, witzig und gemein. Die Streiche von Max und Moritz gefielen dem Kleinen (6 Jahre), andere Geschichten findet er „so mittel“ und nicht witzig.  Daraufhin suchten wir uns eine andere Geschichte aus…. Eine mit Ninjas, die gegen Steinkrieger kämpfen und dabei ihrer Kräfte beraubt werden. Nein, diese Geschichte ist nicht von Wilhelm Busch und es gibt zwar Schwertkämpfe, aber kein Blut. Und sehr wahrscheinlich wird sie in 40 Jahren nicht in einem Bücherregal stehen und wie ein kleiner Familienschatz behütet werden.

Und, wie denkt ihr eigentlich darüber?

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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3 Kommentare

Laura
Antworten 5. April 2017

Liebe Nina, ich war auch überrascht über die Grausamkeit von Buschs Geschichten im Buch "Der Strubbelpeter". Aber die Kinder lieben sie, vor allem die furchtbarste mit dem Schneider. Das Vorwort dieses Buches kann ich sehr empfehlen. Hier wird erklärt, was es mit diesen Geschichten auf sich hat. Ich selbst denke nun auch anders darüber: wie in den Märchen, die ebenfalls so grausam sein können, lernen Kinder, dass es in der Welt auch Böses gibt. Allerdings erleben sie es auf dem Schoß von Mama, Oma oder sonst einem Vorlesenden. Sie können Fragen stellen und sich trösten lassen. Das ist das Gegenteil zum Fernsehen mit all seinen scheußlichen Serien, die sich "Kinderserien" schimpfen. Ich lasse die Kinder lieber dieses Buch anschauen, als zu gewissen Zeiten Kika anschalten. Allerdings werde ich es mir noch einmal auf antisemitische Stellen hin anschauen. Das ist natürlich äußerst fragwürdig und ich würde den Kindern den Hintergrund dann auch erklären, so wie du es tust. Liebe Grüße von Laura

Ruth
Antworten 7. April 2017

Der Struwwelpeter wird oft Wilhelm Busch zugeschrieben, ist aber von Heinrich Hoffmann.
Zwar hat der Struwwelpeter auch Reime und Kinder werden bestraft, aber humorvoll wie Wilhelm Busch ist das Buch nicht. Auch sind die Zeichnungen keine Karikaturen.
Ich lese meinen (kleinen) Kindern keines der Bücher vor, aber wenn, würde ich Wilhelm Busch wählen.
Struwwelpeter hat mir zuviel Zeigefinger (und zuwenig Daumen, haha).

    beabeste
    Antworten 7. April 2017

    Danke für dieses humorvolle und informierte Kommentar! liebe Grüße, Béa

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