Zu eitel für eine Brille? Warum das gläserne Ding auf der Nase nach wie vor mit zu vielen Stigmata belastet wird


Schlechte Augen sind kein Weltuntergang. Mit einer Brille oder Kontaktlinsen ist schnell ausgeholfen. Leider ist mir kürzlich wieder klargeworden, wie viele Menschen sich noch immer vor der Brille sträuben – weil sie mit zu vielen Stigmata belastet wird.

Wir alle wissen, dass eine Brille alberne Vorurteile mit sich bringt. Eine Brille zu tragen lässt einen intellektuell und schlau aussehen. Eigentlich nicht schlimm, oder? Wäre da nicht das Problem, dass es nun mal ein Klischee ist. In meinen alten Kinderfilmen hatte entweder der Streber (z.B. Simon von Alvin und die Chipmunks), und/oder der Außenseiter (Harry Potter) eine Brille. Selten war die Person mit Brille die „Coole“ – zumindest fällt mir auf Anhieb kein Beispiel ein.

Bücher, Bilder, Filme und sonstige Medien prägen uns.

Unser Gedächtnis speichert Prozesse, die uns selbst nicht einmal bewusst sind. Wie zum Beispiel, dass eine Person mit Brille automatisch belesener und schlauer ist. Aber auch hässlicher. Und ich sage das deshalb so provokant, weil ein Gesicht ohne Brille immer als schöner gesehen wird.

Kennt ihr noch Plötzlich Prinzessin mit Anne Hathaway? Erinnert ihr euch an ihr Make Over? Erst ist sie das hässliche Entlein mit Brille, dann die wunderschöne Prinzessin ohne Brille? Ja, das prägt.

Ich erinnere mich auch noch gut an ein Mädchen aus meiner Klasse, das wegen seiner Brille gehänselt wurde. Irgendwann wechselte sie zu Kontaktlinsen und das Hänseln hörte auf.

Das Gehirn speichert also: Brille = hässlich.

Und obwohl wir alle wissen, wie albern es ist, bin ich sicher, dass die ein oder anderen von uns es tatsächlich ganz tief in ihrem Innern unbewusst gespeichert haben.

Zu eitel für eine Brille?

Und damit kommen wir zu einem Problem, das ich so absurd finde, dass ich selbst schon wieder darüber lachen kann. Ich weiß noch, wie viele Jahre es bei mir gebraucht hat, bis ich mich zu einer Brille entschied. In der Schule konnte ich fast nichts an der Tafel sehen und war dennoch nicht bereit, mir eine Brille zuzulegen. Die Erfahrung mit meiner Mitschülerin hatte mich derart abgeschreckt, dass es ewig dauerte, bis ich mich schließlich dazu überreden ließ.

Das ist jetzt über 10 Jahre her, aber die Unsicherheit ist nach wie vor da. Ich habe keinen hohen Doptrienwert, aber ich brauche sie schon zum Fernsehen, Auto- oder Fahrradfahren. Ich mag meine Brille, aber ich trage sie nicht gern in der Öffentlichkeit, weil ich finde, dass sie mir nicht steht. Meine Augen wirken dadurch kleiner, mein Gesicht irgendwie schmaler und außerdem sehe ich damit oft schlauer aus als ich mich fühle.

Neulich, als ich mich mit einer Freundin traf, passierte dann etwas Seltsames. Wir standen vor einem Café und konnten beide die Tafel nicht lesen.

„Okay, das ist mir jetzt etwas peinlich, aber ich muss meine Brille aufsetzen, weil ich nichts erkenne.“

„Wirklich? Ich auch!“

Obwohl wir sogar BEFREUNDET sind, war es uns voreinander trotzdem peinlich, die Brille aufzusetzen.

„Ich habe kein Brillengesicht!“

„Ich auch nicht.“

Brillengesicht… Ein wirklich komisches Wort. Wir beide waren der Meinung, dass unsere Gesichter daran schuld waren, dass uns Brillen nicht standen. Und doch war es irgendwie okay, voreinander die Brille aufzusetzen, da wir denselben Struggle hatten.

„Deine Brille steht dir doch voll!“

„Dasselbe könnte ich auch zu dir sagen!“

Wir beide waren der Meinung, dass der jeweils anderen die Brille sehr gut stand. Und das ließ mich erneut erkennen, dass nicht mein visuelles Empfinden mich von der Brille abhält, sondern meine Eitelkeit und die gesellschaftlichen Klischees.

Die Angst vor der Brille ablegen

Vielleicht erscheint es euch paradox, wenn ich hier Tipps teile, obwohl ich mich selbst oft nicht traue, eine Brille zu tragen. Diese Tipps sind daher auch für mich, aber vor allem für eure Kids, die bestenfalls gar nicht erst in diesen Strudel aus Klischees um die Brille reinfallen sollen.

Heutzutage hat jede:r eine Brille

Die verinnerlichten Ängste mögen zwar noch da sein, aber schauen wir uns um, sehen wir einen Haufen Brillenträger:innen. Tatsächlich habe ich neulich in meinem Freundeskreis rumgefragt – bis auf eine Person braucht jede:r eine Brille. Eine Brille zu brauchen, ist demnach absolut keine Seltenheit.

Ein Modell raussuchen, mit dem man sich wohlfühlt

Es gibt unzählige Optiker:innen mit unzähligen Modellen. Die einen bevorzugen große Gläser, die einen kleine. Die einen mögen dicke Ränder, die anderen gar keine. Genau wie bei Kleidung gibt es Brillen in unterschiedlichen Formen, Farben und Größen. Bei der riesigen Auswahl wird mindestens eine dabei sein, die man ein bisschen lieber mag als die andere.

Gemeinsam sieht man mehr

Unterschätzt nicht die Macht der Gruppendynamik. Allein ist man vielleicht unsicher, aber wenn alle eine Brille tragen, ist man stärker. So wie meine Freundin und ich es neulich gemacht haben. Allein haben wir uns nicht getraut, aber mit einer „Gleichgesinnten war es viel leichter.

Offene Kritik an stigmatisierten Bildern

Klischees über Brillenträger:innen gibt es immer noch, deshalb ist es wichtig, sie rechtzeitig zu erkennen und darauf aufmerksam zu machen, dass das eigentlich nicht okay ist. Wenn ihr mit euren Kids also Plötzlich Prinzessin schauen solltet, dann weist sie darauf hin, dass diese Darstellung („Brille=hässlich“) sehr veraltet und problematisch ist. Überhaupt ist es auch immer besser, sich mit aktuellen Medien zu konfrontieren, die weniger stigmatisiert sind.

Radikale Konfrontationstherapie

Und nun zum Schluss: Die radikale Konfrontationstherapie. Um aus der Angst herauszukommen muss man durch die Angst hindurchgehen, auch bei der Eitelkeit um die Brille. Wir können nur dann aus dem Teufelskreis entkommen, wenn wir sie tatsächlich tragen. Und das geht am leichtesten, indem sie, ohne groß nachzudenken, einfach aufgesetzt wird.

Soweit meine Erfahrung und Tipps.

Wie ist das bei euch? Tragt ihr eine Brille? Hattet ihr in der Vergangenheit ähnliche Bedenken (oder vielleicht immer noch)? Was hat euch geholfen? Und falls ihr nie ein Problem mit der Brille hattet: Was ist euer Erfolgsrezept? 😀

Liebe Grüße
Mounia

Mounia
About me

Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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3 Kommentare

Tine
Antworten 18. Juni 2021

Ja, leider ist die Brille immer noch ein Stigma - und ganz ehrlich- mit den aktuellen Masken aber auch wirklich unpraktisch. Ich habe als Kind auch sehr lang meine Brille nicht aufgesetzt, weil alle dies komisch fanden. Umso ermutigender finde ich die Geschichte, die meine Tochter zuletzt im Kindergarten erlebte:
Ihre beste Freundin bekam eine Brille verordnet. Auch wenn einige Kindergartenkinder schon Brillen tragen und meines Wissen nach deswegen niemand gehänselt wird, wollte sie die Brille partout nicht aufsetzen, da sie ihr Aussehen komplett verändert und davor hatte das kleine Mädel wohl Angst. Das war ihr echt unheimlich, dieses neue Ich (und ich glaube, hier liegt eigentlich das wahre Problem...). Der Kindergarten tat alles, um ihr die Angst zu nehmen - es wurde sogar eine "Brillenwoche" organisiert, mit Brillen für jedermann basteln etc. Aber auch das half nicht wirklich - auch wenn ich die Aktion wirklich klasse fand. Am Ende dieser Woche rief mich die Mutter dieses Mädchens verzweifelt an und fragte, ob ich nicht mit meiner Tochter (beste Freundin des Mädchens) reden könne und ob sie dann nicht auf das Mädel ein bisschen einwirken könne. Also thematisierte ich das Ganze, ließ meine Tochter unsere Brillen aufsetzen und ausprobieren, was das für ein Gefühl mit so einer Brille ist, erklärte ausführlich den Sinn einer Brille usw. Meine Tochter gab das dann auch wie erwartet eins zu eins an ihre Freundin weiter und ermutigte sie jeden Tag, ihr doch die Brille wenigstens zu zeigen. Sie wollte sogar eine eigene Brille mit Fensterglas haben, weil sie Brillen auf einmal so cool fand! ;-) Und tatsächlich - nach 2 Tagen brachte die Freundin die Brille mit, zeigte sie und setzte sie sogar auf! Und seitdem ist die Brille fest auf ihrer Nase und es gibt keine Diskussionen mehr!

Gute Freunde können echt viel bewirken und Scham für eine Brille muss wirklich nicht sein. Es ist schön, wenn alle mehr ein Bewusstsein dafür haben, auch wenn ich (abgesehen von meiner Grundschulzeit) nie für meine Brille ausgelacht wurde.

    Mounia
    Antworten 18. Juni 2021

    Da sprichst du was an ... Mit der Maske ist das Tragen der Brille wirklich kein Spaß! Und deine Geschichte klingt wirklich toll! <3 Liebe Grüße!

Verena
Antworten 14. November 2021

Auch ich gehörte einst zu den Menschen mit einer Sehschwäche, denen die Vorstellung, eine Brille zu tragen, ein Graus war. Dies änderte sich jedoch im Verlaufe der Zeit abrupt, sodass ich inzwischen meine Brille mit Stolz trage und Kontaktlinsen lieber meide. Es ist außerdem hilfreich, sich von einem Optiker über passende Brillen zu verschiedenen Gesichtsformen beraten zu lassen.

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