„Das allerschlimmste ist die Ausgrenzung“ – Gastbeitrag über das Leben mit einem ADHS und Asperger-Kind
Nachdem wir ganz oft unter unseren Community-Fragen das Thema ADHS / ADS haben, sind wir froh und dankbar, dass Jessica, eine betroffene Mutter, sich so viel Zeit, Grips und Muße genommen hat, diesen guten und informativen Beitrag für euch alle zu verfassen:
Unser Sohn ist acht Jahre alt und ist liebevoll, einfühlsam, großzügig, wissbegierig und hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Besonders sprachlich überrascht er uns immer wieder. Er ist hilfsbereit und zerreißt sich förmlich um anderen zu gefallen.
Er hat ADHS und Asperger.
Wir sind beide Anfang 30, stehen beide mitten im Leben. Mein Mann arbeitet in der IT Branche und ich in der Pflege. Wir leben in einem Einfamilienhaus auf dem Land. Wir erziehen unsere Jungs mit Struktur und Liebe, wir sind gerne Eltern.
Im Alter von 4 Jahren fing es an, dass unser Sohn in der Kita ausgegrenzt wurde. Er schlug, schubste andere Kinder, reagierte aggressiv. Warum, war zumindest für die Erzieherinnen klar: Er bekäme zu viel Zucker, bewege sich nicht und bekäme von uns Eltern zu wenig Führung. Ja, das alles „wusste“ man.
Unser Sohn war schon immer grobmotorisch und fiel daher in diesem Bereich etwas aus dem Rahmen. Wir suchten uns dennoch Unterstützung bei einer Erziehungsberatungsstelle. Dort von einer fremden Frau (der zuständigen Mitarbeiterin) angesprochen, flippte unser Sohn völlig aus warf Spielsachen, schrie. Ich wurde nach Hause geschickt. In einem 90 minütigen Gespräch konnte man keine groben Erziehungsfehler feststellen.
Empfohlen wurde uns eine Psychotherapie für unser Kind.
Nachdem wir diese 1 Jahr und mit vielen Elterngesprächen „durchgezogen“ hatten und keinerlei Verbesserungen feststellen konnten, brachen wir diese ab.
Nun meldete sich wieder die Kita, er war damals 5,5 Jahre alt, unser Kind sei nicht tragbar, würde sich und andere gefährden, könne sich nicht konzentrieren, sei schnell frustriert und wir sollten doch mal eine Erziehungsberatung aufsuchen. Unser Einwand, dass wir das schon hinter uns hatten wurde mit einer hochgezogenen Augenbraue quittiert. Als sich die Ausgrenzungen immer weiter ausweiteten und das Personal bereits mit den Augen rollte als wir die Einrichtung betraten, meldete ich ihn dort ab. Ich konnte das nicht mehr ertragen. Mit viel Glück bekam er einen Platz im Nachbarort. Damals habe ich geweint vor Dankbarkeit.
Die Wende
Nach 4 Wochen in der neuen Kita stand das erste Elterngespräch an. Er wäre lieb und hilfsbereit, könne aber weder Bilder altersgerecht ausmalen noch ausschneiden, meide die anderen Kinder und reagiere bei Fehlverhalten aggressiv. Die Erzieherin regte an, er solle Ergotherapie machen und Kampfsport um ihn auszupowern. Die Kinderärztin verwies uns erst einmal an ein SPZ.
Nach 4 Monaten Wartezeit, er war mittlerweile 6 Jahre alt, bekamen wir, nach eingehender Diagnostik die Diagnose ADHS.
Ich weinte wieder. Für mich brach eine Welt zusammen. Uns wurde empfohlen uns an einen Psychologen zu wenden um eine Verhaltenstherapie zu starten.
Vorurteile
Ich setzte mich also mit der Erkrankung auseinander, las mehrere Wochen im Internet, kaufte Bücher. Danach stand fest, dass wir eine multimodale Therapie beginnen:
Medikamente plus Ergotherapie plus Psychomotorik.
Die Reaktionen aus meinem Umfeld hier in Kürze:
„Was, ihr wollt ihm Ritalin geben?“
„Lasst doch erstmal den Zucker weg.“
„Eine strenge Hand braucht er, mehr nicht.“
„Früher gab es das alles nicht, aber naja….“
„Das kommt alles vom Medienkonsum…“
Ich kann es keinem, der sich nicht mit diesem Thema auseinandersetzen musste, verübeln.
Ich selbst dachte früher genauso.
Ich möchte aber aufklären. Und hier zählt jeder Einzelne.
Nicht die Besonderheit unseres Kindes ist das, was uns so sehr belastet, denn hier gibt es durchaus Therapien. Das allerschlimmste ist die Ausgrenzung: Die Blicke der Menschen, wenn unser Sohn mit versteinter Miene dasteht statt sie freundlich zu begrüßen, das Tuscheln der Nachbarn, wenn ein zur Seite Schieben auf Grund der Wahrnehmungsstörung als Angriff gewertet wird und er lauthals brüllt man habe ihn an die Wand gestoßen. Die Ignoranz , die Vorverurteilung weil da wohl was nicht „normal“ ist und wer daran schuld ist, scheint für die meisten klar zu sein…
Aufklärung
Was ist ADHS?
ADHS (Aufmerksamkeitsdefitzit /Hyperaktivitätsstörung) ist eine chronische Stoffwechselstörung des Gehirns. Sie ist vererbbar und besteht ein Leben lang. Ursächlich ist eine Unterversorgung des Gehirns mit den Botenstoffen Serotonin und Dopamin. Psychosoziale Umstände können die Symptome verstärken, sind aber nicht ursächlich für ein ADHS. Symptome sind fehlende Konzentration durch Reizüberflutung, Aggression, Impulsivität.
Die Kinder trauen sich nichts zu, können ihr Können nicht abrufen. Eine AD(H)S tritt in jeder Kultur auf und ist unabhängig des sozialen Status und des Geschlechts. ADHS „verwächst“ sich nicht.
Diagnostik
Besteht der Verdacht auf AD(H)S sollte man nicht abwarten. Die Diagnostik macht jeder Kinder-und Jugendpsychiater oder ein SPZ(sozialpädiatrisches Zentrum).Die Wartelisten sind lang: 4-5 Monate sind keine Seltenheit. Also empfiehlt es sich, sich bei mehreren Ärzten auf die Warteliste setzen zu lassen.
Wer stellt das NICHT fest?
Ja, dieser Punkt ist mir wichtig. Ein Kinderarzt, auch wenn er dies behauptet, ist nicht der geeignete Ansprechpartner für diese Diagnostik. Auch eine Schulpsychologin, ein Sozialarbeiter, das Jugendamt, eine Familienhilfe oder der Psychologe sind hierfür nicht ausgebildet!
Therapie
Da es sich, wie oben beschrieben um eine Stoffwechselerkrankung (wie Diabetes, Hashimoto übrigens auch) handelt, ist die Therapie eigentlich logisch: Medikamente die das Ungleichgewicht der Botenstoffe wieder herstellen.
Hier gibt es 4 verschiedene Wirkstoffe:
Methylphenidat (z.B.Medikinet,Ritalin)
Lisdexamfetamin(Elvanse)
Guanfacin(Intuniv)
Atomoxetin(Strattera).
Die ersten beiden Medikamente bauen keinen Spiegel auf und werden nicht nach Gewicht sondern Bedarf dosiert. Zusätzlich hierzu kann und sollte man individuell wählen welche Begleittherapien wichtig und richtig wären: Reittherapie, Ergo-,Logo-, Mototherapie, Verhaltenstherapie, Familientherapie, Psychomotorik. Jetzt spricht man von einer multimodalen Therapie. Ich kenne übrigens keine Stoffwechselerkrankung, für deren adäquate medikamentöse Behandlung man sich als Eltern so dermaßen rechtfertigen muss wie für diese.
Wie lange sind Therapien bei ADHS nötig?
Da es sich um eine chronische Erkrankung handelt kann eine lebenslange Therapie notwendig sein. Es gibt auch Betroffene, die im Laufe der Jahre Strategien für ihre Defizite entwickeln und keine medikamentöse Unterstützung mehr benötigen. Um das zu erreichen, sollte man auf keinen Fall denken, die medikamentöse Therapie wäre ausreichend. Denn nur die Begleittherapien machen diese Entwicklung möglich.
Möglichkeiten:
Je nach Schwere der Erkrankung kann ein Antrag auf Pflegegeld gestellt werden. Ja, das geht! Hierzu wird ein Antrag bei der Pflegekasse gestellt. Je nach Kasse kann man sich diesen sogar einfach online ausdrucken. Die Pflegekasse wendet sich dann an den MDK, den medizinischen Dienst der Krankenkassen, welcher nach einigen Wochen dann zur sog. Begutachtung vorbei kommt. Hier wird dann der pflegerische Mehraufwand im Vergleich zu einem gleichaltrigen Kind gezählt. Je nach Pflegegrad wird Pflegegeld gezahlt. Dazu kommen der sog. Entlastungsbetrag sowie Leistungen zur Verhinderungs-und Kurzzeitpflege. Auch ein Antrag auf Feststellen einer Behinderung ist möglich(Schwerbehindertenausweis).
Die Diagnose Asperger bekam unser Sohn dann mit fast 8 Jahren, im Rahmen einer teilstationären Behandlung in einer Tagesklinik.
Wir verbringen unser Leben mittlerweile mit wenigen, aber guten Freunden.
Wir haben einen Familienhelfer, der uns unterstützt. Der Pflegegrad unseres Sohnes ermöglicht ihm verschiedene regelmäßige Therapien sowie uns einige Stunden Auszeit. Was geblieben ist, sind die Vorurteile unserer Mitmenschen, aber damit haben wir gelernt zu leben. Denn wir wissen was wir jeden Tag aufs Neue leisten und darauf kommt es an.
Ihr seht also, es gibt durchaus Unterstützung für uns, die die wir ausgegrenzt, belächelt und sozial abgewertet werden. Wir müssen sie nur nutzen. Nach mittlerweile 4 Jahren Ärztemarathon, Wutanfällen, Ausgrenzung und Verurteilung kann ich allen Eltern die ihr Kind hier wieder erkennen nur raten:
Hört auf euer Bauchgefühl und vor allem auf euer Kind!
Lasst euer Kind testen, holt euch jede Unterstützung die ihr kriegen könnt. Denn es ist euer Recht und das Recht eures Kindes.
Liebe Grüße,
Jessica – eine Mutter, die sich wünscht, dass alle besser informiert wären.
P.S. von Béa: ich danke dieser Gastbeitragenden aus dem Herzen für diesen fundierten, spannenden, gut geschriebenen Beitrag über ein so wichtiges Thema.
Seid ihr so lieb und teilt das weiter, damit ein besseres Bewusstsein über diese chronische Krankheit entsteht?
Danke euch!
Update: Hier ist auch ein LIVE-Talk mit 2 betroffenen Müttern, vielleicht auch sehr hilfreich für euch:
Foto zu ADHS und Asperger-Kind: Brandon Wong on Unsplash
- 31. Mar 2018
- 24 Kommentare
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- ADHS, Adhs Kinder, Ärzte, Asperger, Diagnose, Tipps für Adhs Kinder
JennyimWesten
1. April 2018Genau das! Ich weine ein bisschen, weil ich das Gefühl habe es gibt doch Menschen die uns verstehen. Aber wo sind die im Alltag wenn mein Kind nicht eingeladen wird, zu laut auf dem Spielplatz ist so das andere Eltern ihre Kinder (die total offen sind) wegholen, die Menschen im Supermarkt ihren Senf dazu geben etc pp?
Danke für diesen Bericht und das Gefühl eben nicht allein zu sein <3
Kallmeier
25. Februar 2022Hallo, In diesem Bericht erkenne ich meinen Enkel wieder. Meine Tochter ist alleinerziehend und nervlich am Ende. Das Hauptproblem im Moment ist die Schule. León 12jahre inzwischen, geht auf eine Sonderschule für Behinderte. Die Lehrer kommen mit ihm absolut nicht klar. Es gibt dauernd Bestrafungen für alles mögliche. Inzwischen hasst er die Schule. Will am liebsten nicht mehr hingehen. Einen Therapeuten hat er auch, der glänzt aber viel mit Abwesenheit. Es geht nicht weiter. Hilflos, was kann ich tun???
Katja Paier
2. April 2018Sehr schön geschrieben. Man erkennt sich und seinen Alltag wieder. Ich kann auch nur jedem Mut machen auf sein Bauchgefühl zu hören. Dank der Medikamente ist es überhaupt möglich unsere "besonderen,einzigartigen" Kinder zu begleiten und zu führen. Aber ja man lernt die richtigen Freunde kennen. Danke für diesen tollen Bericht.
Béa Beste
2. April 2018Und Danke für dieses Kommentar! Das ermuntert uns, mehr zu diesem und ähnlichen Themen zu bringen. Liebe Grüße, Béa
Felicitas
2. April 2018Wunderbar! Man kommt sich mit seinem Problem vor, wie ein Marsmensch auf der Erde und dann kommen sie daher und sprechen einem aus der Seele! Vielen Dank! Uns geht es genauso, wir werden demnächst auch unseren Wohnort wechseln, weil wir auf dem Land leben und so ausgegrenzt werden, dass ich den ganzen Tag nur noch heulen will...
Es hilft unbedingt sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, zb in einer Selbsthilfegruppe. Aber dennoch ist der Alltag unter „Norm Menschen“ sehr anstrengend, wenn man so aus dem Rahmen fällt.
Ich wünsche allen Betroffenen viel Kraft und Geduld!
Béa Beste
2. April 2018Lieben Dank für dieses Kommentar! Geben wir weiter an Jessica, sie wird sich freuen! Liebe Grüße, Béa
Lotta
3. April 2018Schade, dass ADHS und Asperger hier in einem Topf landen und so zwei Störungabilder, die teilweise ähnliches Verhalten erzeugen vermischt werden. Das macht den Artikel meiner Meinung nach schwierig.
Das Geschlechterverhältnis ist leider etwas schlecht recherchiert.
"Das Autismusrisiko sei bei Jungen um das Zwei- bis Fünffache erhöht. Ab dem siebenten Lebensjahr sei das Risiko für einen Jungen, an ADHS zu erkranken, viermal höher als bei einem Mädchen. Im Alter von zehn bis 20 Jahren sei Suizid als Todesursache bei Jungen dreimal häufiger als bei Mädchen. Jungen erhielten aufgrund psychischer Störungen mehr als doppelt so häufig Antipsychotika wie Mädchen."
(http://www.bptk.de/aktuell/einzelseite/artikel/diagnose-jun.html)
Auch die Aussage, Umweltfaktoren seien nicht auslösend ist so erstmal nicht richtig. Als ein Modell zur Eeklärung von Entstehung von Krankheit ist das Diathese-Stress-Modell, welches eine genetische Disposition, quasi als Bereitschaft zur Entstehung und Stressoren als Auslöser darlegt, zwar geht man aktuell davon aus, dass die genetische Komponent schwerer wiegt, trotzdem wird ADHS als mulitfaktoriell bedingtes Störungsbild gesehen.
Es erschreckt mich, dass trotz therapeutischer Anbindung und SPZ scheinbar wenig Psychoedukation stattgefunden hat.
Zur Debatte, ob es sich bei ADHS um eine Modeerscheinung halte, laß uns unser Psychiatrieprofessor übrigens aus dem Struwwelpeter vor. Vielleicht eine Anregung für die Eltern die ständig darüber diskutieren und sich rechtfertigen müssen ;)
Sim
4. April 2018Es ist ein langer, anstrengender Weg für Eltern BIS zu einer solchen Diagnose. Anschließend geht der Weg weiter. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Da Sie vom anscheinend vom Fach sind, möchte ich diesen Aspekt gerne erläutern. Die Situation an sich ist schon herausfordernd, hinzu kommt die ständig spürbare Bewertung durch andere. Sie äußert sich in sehr einfachen Lösungsvorschlägen: Weniger Fernsehen. Mehr Struktur. Mehr Erziehung. Die Frage nach der Schuld. Alles das ist meilenweit weg vom dem, was die Familien brauchen, die Eltern, die Kinder.
Sandra aus Dresden
3. April 2018Danke für diesen tollen Beitrag! Unser Sohn (8J) hat auch ADHS und wir hatten im Kindergarten viele ähnlich gelagerte Probleme! Es gipfelte in der Suspendierung unseres Sohnes aus dem Kindergarten mit der Empfehlung ihn in eine geschlossene (!) psychatrische Therapie zu geben, weil mit ihm etwas überhaupt nicht stimmen würde! Es ist nicht einfach mit ihm, aber er ist ein sehr kluger, liebenswerter Junge und ich bin froh, dass er im Lesen seine Ruhe findet. Danke für diese Beitrag, der Mut macht und einen daran erinnert an sein Kind zu glauben! Manchmal vergessen wir dass - leider!
Julia Schöneberger
3. April 2018Ich freue mich gerade für euren Sohn, dass er Eltern hat, die mit so viel Liebe, Kraft und Ausdauer hinter ihm stehen. Ich bemerke bei mir selbst immer wieder Gedankenschnipsel wie "Oh weh, das arme Kind, so klein und schon Psychopharmaka..." , wenn in Beruf oder Jugendgruppe ein Kind davon erzählt. Aber ich bemühe mich, mir das Kind dann genauer anzuschauen und zu sehen, ob das Leben für ihn/sie nicht leichter oder machbarer wird. Und siehe da, oft ist das so.
Als Ermutigung für die Eltern vielleicht noch die Geschichte aus der ersten Klasse meiner Tochter. Sie hat einen Mitschüler, der kratzt, tritt, Haare zieht, nicht sitzen bleibt, nicht schreiben/lesen/rechnen will oder kann. Und als meine Kurze sich wegen eines blutigen Bisses am Arm bei einer Lehrerin beklagt hat, kam eine ziemlich coole Reaktion. Sie sagte, die anderen Kinder sollten sich mal überlegen, wie schlecht es einem Kind gehen müsste, dass es zu so einem Mittel greift. Sie könnten doch mal versuchen, das Kind zum Spielen einzuladen, ihn freundlich zu begrüßen morgens und mittags alles Nette, was er am Tag gemacht hat, zu erwähnen. Das ist sicher kein Heilmittel für irgendetwas. Es hat aber den Blick der Klasse auf diese Kind geändert, er ist jetzt der Freund, dem man helfen muss, nicht mehr der böse Außenseiter. Und ich möchte diese ganz, ganz junge für Kollegin küssen.
Melanie
3. April 2018Ich finde es schade, dass auf das Thema Asperger gar nicht eingegangen wird. Dafür kam ich hier her.
noah garcia
3. April 2018die Sache mit dem Kampfsport ist auch wiederlegt. Wir hatten einen aggresssiven Typ in der Schule damals, der ein Jahr älter war als wir, und diesem hat die Lehrerin dies geraten, dann ging er Kickboxen oder so. Absolut bescheuerter Rat, allenfalls Judo wär vertretbar, das ist ganz was anderes. Er hat dennoch mir immer auf den Oberarm geboxt wenn er mich sah. Sowas zog ich an, war nie integriert in die Klasse, wurde dadurch zum Clown eine Art, aufgrund meiner sozialen Seltsamkeit. Ich hatte in der Schule auch immer als erster das Elterngespräch, wenns ein neuer Lehrer war. Später haben sie auch Aspergersyndrom gesagt. Versprechen Sie mir, Ihr müsst ihn früh genug loslassen und bei der Berufswahl helfen. Bei mir und meinen Eltern sind ungute Verwicklungen entstanden, die dann sehr schwer zu lösen sind, sodass ich mit 34 noch bei ihnen wohne und in deren Geschäft helfen muss, das sie quasi zu einem betreuten Büro umfunktioniert haben. Als ich begriff, dass ich wegwollte und mehr Potential hätte, besichtigte ich Wohngemeinschaften, aber davon waren die Eltern nicht begeistert. Also was ich mitgeben kann: Integration in die Gesellschaft ist wichtiger als allzu hohe Bildung. Ich habe eine Handelsschule bestanden, aber danach brach ich zusammen. Was nutzte mir das, ich war von der Selbständigkeit her noch ein Kind, und niemand hätte mich eingestellt. Dann habe ich paar Arbeitslosenpraktika gemacht. Gescheiter wäre es gewesen, ich hätte niedrigqualifizierte Arbeit machen können, meinetwegen Putzdienst, aber das ist immer noch besser als bei den Eltern herumzusitzen, da man - selbst durch die "niedrigste" Arbeit - Anteil an der Gesellschaft hat. Was man bei den Eltern nicht hat. (Es sei denn natürlich, wenn der Sohn wirklich ein Talent hat, das man ausbauen kann. Ich habe die Handelsschule nur aus Verlegenheit machen müssen.) Man darf nicht den Fehler machen, Aspergerkinder als Genies zu sehen, und diesen schädlichen Anspruch zu stellen, selbst wenn sie es sind. Als ich meinem Vater klagte, dass ich in der Schule keine Freunde habe, hiess es nur: "Du brauchst auch keine Freunde, Du musst gute Noten haben". Man dachte, ich würde einmal ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann oder Erfinder oder weissnichtwas. Er sagte dann so Sachen wie: "Weisst Du, einen Freund finden, ist sehr schwierig. Ich habe auch keinen richtigen Freund. Es ist sogar leichter, eine Frau zu finden." (!) Er begriff gar nicht, dass meine Aussage, dass ich keine Freunde habe, eine grobe Untertreibung war
Daniela
3. April 2018Ich kann die Geschichte sehr gut nachvollziehen, praktisch genau wie bei uns.
Es waren harte Jahre, erst seit der Diagnose Asperger Syndrom bekommen wir endlich die richtige Hilfe. Vorher saßen wir zwischen allen Stühlen. Ich war nur dabei zu rechtfertigen. Die Sprüche kenne ich auch alle, am besten von kinderlosen Kolleginnen. Wenn heute was ungewöhnlich läuft sage ich einfach, dass mein Sohn Autist ist und dann ist ganz schnell Ruhe und der schwarze Peter liegt bei den intoleranten Menschen mit den dummen Sprüchen.
Und ganz wichtig: unser Sohn ist unser Kind, das wir von Herzen lieben, egal welche Diagnose das SPZ stellt. Er ist deswegen der gleiche Mensch und wir müssen nicht bemitleidet werden!
Katharina
4. April 2018Herzlichen Dank für diesen interessanten Einblick. Spannend finde ich die Approach von ADHS als Stoffwechselstörung - alles (seriöse, wissenschaftliche), was ich bisher dazu gelesen habe, geht von einer teils angeborenen, teils durch Umweltfaktoren verstärkten Gehirnreifestörung aus, bei der vor allem der Präfrontale Kortex (Exekutivfunktionen) betroffen wäre.
Gibt es bestimmte Literatur oder WissenschaftlerInnen, die die Stoffwechselstörungsthese vertreten, wo ich mehr darüber nachlesen könnte?
Stefanie
5. April 2018Danke für diesen Bericht! Ein Kind mit feinfühligen Eltern, die sich aktiv kümmern, hat gute Chancen Strategien zu entwickeln, sich in einer Welt zurechtzufinden die anders als die eigene Wahrnehmung funktioniert.
In meiner Arbeit im SPZ habe ich viele Kinder gesehen und zwei doch kritische Bemerkungen.
Psychologen machen die (Psycho)Diagnostik - interdisziplinär mit den anderen Fachleuten im SPZ. Und das ist auch gut so.
Bei mehreren Ärzten anmelden ist legitim. Nur bitte auch Termine absagen, die nicht benötigt werden. Ich habe oft erlebt, dass Eltern dann nicht kamen, der Termin geblockt war und nicht mehr für andere Betroffene zur Verfügung stand.
Viel Glück und alles Gute!
Julia
12. September 2018Toller Artikel!
Meiner Meinung nach müsste ein/e PsychotherapeutIn sowie ein/e (Schul)psychologIn schon in der Lage sein zumindest einen Verdacht zu hegen und eine diagnostische Abklärung empfehlen.
Ich habe selber ADHS, meine Tochter wird 5 und natürlich habe ich ein Auge darauf, da es nur vererblich ist und die Chance 50/50 steht. Bei mir wurde es sehr spät diagnostiziert (26 J). Rückblickend war ich anfangs wütend weil es so spät erkannt wurde und ich besonders in der Schulzeit darunter gelitten habe. Ich war faul oder dumm, so sagte man. Doch im Hier und Jetzt bin ich dankbar, konnte meine Talente und Fähigkeiten entdecken und in mein Leben integrieren. Das Alltägliche sich immer wiederholende und dieses MÜSSEN, ist für mich – kurz zusammengefasst - das anstrengendste. Ausgrenzung (eher in der Kindheit) bis zur Verleugnung (im erwachsenen Erleben), dass es AD(H)S nicht gibt und es eine Modekrankheit oder eine „schlechte Ausrede“ sei, sind Themen die oft in die Präsenz rücken. Ein gesunder Selbstwert für alle Betroffenen kann hier sehr unterstützend sein.
Sollte bei meiner Tochter eine Diagnose vorliegen, werde ich nicht traurig oder besorgt sein, sondern sie begleiten und unterstützen ihre Fähigkeiten zu entdecken, einzusetzen und zu leben. Es ist natürlich eine (gesellschaftliche) Herausforderung und auch nicht abzuschätzen wie es dann tatsächlich mit der Umsetzung aussieht, aber zumindest habe ich ein Bild davon und bin vorbereitet.
Alles Gute für euch!
Katharina
12. September 2018Ein interessanter Beitrag und wichtig solche Themen anzusprechen. Der Erzeuger meiner Tochter hatte angeblich ADHS, ich schreibe angeblich, weil ich mir nicht sicher bin wie bei ihm die Diagnose gestellt wurde, aber ich weiß, dass er Ritalin bekam und später Drogensüchtig wurde. Ich versuche mich immer wieder in das Thema reinzulesen, weil ich früher mal Angst hatte die Erkrankung ist vererbbarm außerdem las ich viel darüber das Ritalin das Fundament für eine spätere Drogensucht legen kann. Hier muss viel mehr aufgeklärt werden und gesprochen werden oder auch geforscht werden und viel weniger ausgegrenzt.
Julia
12. September 2018Liebe Katharina, soweit mir bekannt ist, ist nicht das Ritalin ein Fundament für eine Drogensucht eher das Gegenteil davon. Menschen mit ADHS haben generell ein erhöhtes Risiko an einer Sucht zu erkranken. Das können Drogen sein, aber auch Rauchen, Trinken, Spielen, Sport, Arbeit, usw. Alles was exzessiv betrieben wird kann sich zu einer Sucht entwickeln.
Mutti eines Asperger
12. Oktober 2018Ich habe einen Sohn der die Diagnosen Asperger und "einfache Aufmerksamkeitsstörung", eher bekannt unter ADS (ohne "H") hat und mir gefällt an dem Beitrag überhaupt nicht, dass diese zwei Dinge in einen Topf geschmissen werden. Es ist ein großer Unterschied ob ein Kind "nur" unter AD(H)S leidet oder gleichzeitig das Asperger-Syndrom hat (das man übrigens mit den genannten Medikamenten nicht therapieren kann). Ich zweifle daher bei meinem Sohn das ADS an, denn die Symptome können auch von der Problematik des Asperger-Syndroms stammen. Auch hier ist eine Reizoffenheit gegeben, jedoch zusätzlich ein Fehlen des intuitiven Verstehens sozialer Interaktionen, die Konzentrationsfähigkeit an sich ist eigentlich nicht beeinflusst. Wenn jedoch eine Kompensation der Überforderung mit den sozialen- und Umweltreizen des Alltags derart viel Energie erfordert, dass nach 2 Stunden (Schulunterricht z.B.) keine Kraft mehr da ist, legen diese Kinder sich auch mal schreiend unter den Tisch, rennen aus dem Raum oder schlagen jeden, der sie berührt. Weil sie einfach "nicht mehr können". Das kann schnell zu einer falschen ADHS Diagnose führen.
Dies ist hier nun vereinfacht dargestellt, sollte den Punkt aber treffen. Also bitte werft diese zwei Syndrome nicht in einen Topf.
Kirsten Lang
3. September 2019Als Ergänzung zu den vielen Beiträgen möchte ich auf die Möglichkeit der heilpädagogischen Förderung und Begleitung hinweisen. Ja, sie steh5 den Kindern wegen einer seelischen Behinderung oder der Bedrohung durch eine Seel. Behinderung zu. Es braucht aber die Diagnostik durch einen Kinder- und Jugendpsychiater, niedergelassen oder an einem SPZ ist nicht wichtig. Dabei geht es nicht um "noch mehr Besonderheit" , sondern um Unterstützung, Begleitung und das Erarbeiten von individuellen Lösungsstrategien mit dem begleitenden Pädagogen, der als "Anwalt des Kindes" und Übersetzer des Verhaltens(aller Beteiligten) fungieren sollten. ich habe viele Kinder, Eltern und Lehrer begleitet und häufig ist eine deutliche Verbesserung eingetreten und die Unterstützung war nicht mehr nötig, denn der Job eines guten Heilpädagogen ist es, sich überflüssig zu machen. Dann hat das Kind die Kompetenz entwickelt sich in einer Gruppe zurecht zu finden, sich wohl zu fühlen und überwiegend angemessen zu kommunizieren , bzw. Konflikte zu regeln. Und wenn es nicht klappt, gibt es ja bestenfalls Menschen an Schulen, denen das Wohlergehen und die soziale Kompetenz ihrer Schüler so wichtig sind, dass sie sich engagieren und verantwortlich fühlen.
Monika Esterl
8. Januar 2021Herzlichen Dank für Ihren Artikel zum Thema ADHS. Meine Tochter fragte mich vor Kurzem, was die Ursachen für ADHS sind. Ich werde ihr weiterleiten, dass ursächlich für ADHS eine Unterversorgung des Gehirns mit den Botenstoffen Serotonin und Dopamin ist.
Claudia
8. Oktober 2021Ein großer Dank an dein Aufgreifen der Ausgrenzung!! Das ist auch was mein Sohn immer und immer wieder erfährt. Auch die wahrgenommene Gewalt beim Wegschieben, die in meinen Augen für ihn reale Gewalt ist, auch wenn es darum geht Gefahr abzuwenden. Er hat auch Gewalt erfahren in Institutionen, die auch andere Menschen als Gewalt sehen, nicht nur er. Was mir ein wenig aufstößt ist der Bezug zum Stoffwechsel und der Medikation. Es gibt andere Ansätze, bzw. multifaktorelle Gründe oder Verstärker, zumindest lese ich darüber. Und auch verschiedener Stoffwechsel kann einfach nur verschieden sein. Ein normaler Wert ist ein festgelegter Wert nach medizinischer Funktionalität, nicht nach empfundenem gleichen Wert von Leben oder Lebensinhalt. Es kann viel bewegt werden, wenn man Unterschiede, als solche, solange keine Gefahr besteht, als solche akzeptiert und feiert, anstatt jedes angenommene Defizit ohne versuchten Perspektivwechsel, versucht auszumerzen und anzupassen an Neurotypismus. Das bedeutet ansonsten, dass es nur eine Lösung gibt und kreative, stressfreiere, akzeptierendere Herangehensweisen werden wieder einmal nur als anders und ergo "unpassend" abgelehnt. Ich glaube den Impuls wollten Sie mit dem Artikel auch nicht setzen, sondern eher den Gegenteiligen, dennoch war es mir wichtig das zu schreiben.
Herzliche Grüße,
Claudia