Den Moment mit einer geliebten Person zu verbringen, die nicht mehr da ist? Ein Dialog zwischen Enkelin und Großmutter


Wenn ich mir aussuchen könnte, mit welcher Person, die nicht mehr da ist, ich nochmal reden könnte, wäre es eindeutig meine geliebte Oma. Hier folgt also ein vielleicht unscheinbarer Dialog zwischen Enkelin und Großmutter, der mir jedoch alles bedeuten würde.

Ich: Hey, Nana? (schüttele an ihrer Schulter)

Nana (blinzelt und schlägt die Augen auf): Ja?

Ich: Kannst du mir vielleicht die Haare flechten?

Nana schweigt einen Augenblick, ringt mit sich.

Nana: Na gut. Komm her.

Ich: Danke.

Ich setze mich an den Bettrand. Nana flechtet mir stumm die Haare.

Ich: Hey, was ist eigentlich in deiner berühmten Nudelsuppe drin?

Nana (stutzt): Was?

Ich: Die arabische Nudelsuppe, die mit Milch und Zucker. Du machst da immer Butter rein, oder? Deine schmeckt viel besser als Mamas.

Nana (lacht): Sag ihr das besser nicht. Wenn du willst, können wir sie später zusammen machen. Dann kannst du selbst sehen, wie sie geht.

Ich: Cool!

Nana: So, fertig.

Ich: Danke.

Ich stehe auf, setze mich jedoch sofort wieder hin.

Ich: Kann ich mich noch einen Moment zu dir legen?

Nana: Musst du nicht gleich zur Schule?

Ich: Doch, aber ich habe noch ein bisschen Zeit.

Nana ( schlägt die Decke zurück):Okay. Dann hüpf rein.

Ich kuschele mich an Nana.

Ein kleiner Moment meines Lebens, der nie existiert hat…

Meine Großmutter starb, als ich fünfzehn war. Was die genaue Ursache war, konnten wir nicht sagen, aber vermutlich war es Körperversagen. Sie war „erst“ 79, aber sie hatte sehr schweres Alzheimer. Ich kann mich nur noch vereinzelt daran erinnern, wie sie „vorher“ war. Die meiste Zeit kannte ich sie nur als die niedliche alte Frau, die die ganze Zeit vor sich hin sinnierte, ständig von ihrem Vater sprach, und keinen von uns wiedererkannte.

Um ehrlich zu sein denke ich nicht oft bewusst an sie, weil es jedes Mal so wehtut, dass ich ganz traurig werde. Doch dann dachte ich darüber nach und fragte mich, was ich ihr sagen oder tun würde, wenn sie noch hier wäre.

Heraus kam das:

Meine Oma, wie sie mir die Haare flechtet, mir das Geheimrezept ihrer Nudelsuppe verrät und eine kleine Kuschelei!

Ihr müsst wissen, dass meine Oma einen so schönen, blumigen Duft hatte. Außerdem war sie sich nie zu schade, jemanden zu drücken. Selbst, als ihre Krankheit schon fortgeschritten war, wies sie mich nie zurück, als ich sie umarmte. Damals redete ich mir ein, dass sie tief im Innern vielleicht wusste, dass ich es war, und vielleicht denkt ein Teil von mir das noch heute.

Aber das war’s! Mehr würde ich meiner Großmutter nicht sagen. Als ich meinen Dialog ein zweites Mal las, wurde mir klar, wie wenig das eigentlich war. Ernsthaft, Mounia?, dachte ich. Du kriegst einen potenziellen Moment mit deiner verstorbenen Großmutter geschenkt und du entscheidest dich dafür, dass sie dir bloß die Haare flechtet? Kein langer Spaziergang durch den Park und ein Festessen mit der Familie? Keine langen, tiefgründigen Gespräche, für die wir nie die Zeit bekommen haben?

Nein. Und wisst ihr warum? Weil meine Oma Alzheimer hatte. Seit ich sieben war, hatte sie die Krankheit. Das Einzige, das ich über ihr gesundes Ich noch weiß, ist, dass ihre Zöpfe beim Flechten weniger gezwickt haben, als die meiner Mama. Und dass ihre arabische Nudelsuppe mit Milch und Zucker (das ist sowas wie Milchreis, nur mit dünnen Nudeln) das Leckerste waren, das ich je gegessen habe. Und ihr Geruch. Ihr lieblicher Geruch, wenn ich mich an sie schmiegte.

Diesen Moment würde ich gerne nochmal erleben. Es mag zwar etwas unkreativ sein, aber wenn das tatsächlich möglich wäre, würde ich weinen vor Freude.

Es sind die kleinen Dinge im Leben, an die wir uns später erinnern werden.

Ich bin immer wieder erstaunt, dass ich mich noch an kleine unscheinbare Momente manchmal besser erinnern kann als an große Events wie Hochzeiten oder Urlaube. Das hat mir wieder vor Augen geführt, dass es die kleinen Dinge sind, die zählen.

Was würdet ihr tun, wenn ihr die Chance hättet, einen Moment mit einer geliebten Person zu verbringen, die nicht mehr da ist? Würdet ihr jede Sekunde vollends auskosten? Oder einfach in eine harmonische Situation eintauchen und euch die Haare flechten lassen?

Falls ihr mehr Gespräche lesen wollt, die es in dieser Form nie gegeben hat:

„Ich fühle mich einsam und allein“ – Ein Gespräch zwischen Mutter und Kind

„Mach das beim nächsten Mal anders.“ – Ein Gespräch zwischen Schülerin und Lehrer

Ich bin gespannt auf eure Geschichten und Gespräche!

Liebe Grüße
Mounia

Mounia
About me

Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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