Verzeihen oder nicht verzeihen – aber niemals alte Geschichten vorhalten


Wenn ich in der Geschichte der Konflikte eines gelernt habe, dann, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Den Streit bzw. das Problem verzeihen oder nicht verzeihen – aber niemals vorhalten.

Wir alle sind Menschen. Manchmal tun wir anderen weh, manchmal wollten wir es gar nicht. Und wieder manchmal bereuen wir es. Es folgt eine Entschuldigung, wir vertragen uns, und alles ist wieder gut. Aber was, wenn nicht?

Streitereien vorhalten und miteinander aufwiegen?

Was, wenn der Schmerz noch immer tief sitzt und die Person uns den Streit später noch mal vorhält? Was, wenn sie anfängt, Konflikte miteinander aufzuwiegen, nach dem Motto: Das, was ich gemacht habe, ist ja wohl nichts im Vergleich zu deinem Vergehen.

Was, wenn wir den Streit „offiziell“ beendet haben, er aber trotzdem weitergeht?

Spitze Bemerkungen oder passiv aggressives Verhalten – es gibt viele Wege, um einen alten Streit neu aufleben zu lassen. Erst brodelt die Stimmung, und schon bald kocht sie. Alte Konflikte werden aufgewärmt, und es folgt ein Hagel an Entschuldigungen oder Rechtfertigungen.

Ein Beispiel: Eine Bekannte von mir wurde damals von ihrem Freund betrogen. Sie verzieh ihm, brachte den Konflikt aber immer wieder auf. Wann immer er ihr etwas vorwarf, erinnerte sie ihn daran, was er damals getan hatte, und dass das so viel schlimmer war als das, was sie sich zuschulden hatte kommen lassen. Irgendwann hielt er die Vorwürfe und das Misstrauen nicht mehr aus und beendete die Beziehung.

Ich habe mich tatsächlich schon in beiden Positionen erlebt – der, in der mir ein alter Konflikt vorgehalten wurde, und der, in dem ich der Person ein vergangenes Vergehen wieder vorgehalten habe. Letzteres habe ich nie bewusst wahrgenommen, Sätze wie: „Aber wenn wir dahin gehen, will ich nicht, dass du mich wieder den ganzen Abend alleine stehenlässt“ waren eher als Bitte gedacht, hatten aber trotzdem einen vorwurfsvollen Klang, da die Person sich schon entschuldigt und ich ihr verziehen hatte. Daher war es völlig überflüssig, dass ich es extra nochmal erwähnte.

Und andersherum genauso. Neulich sagte ich etwas Unsensibles, das meinen Kumpel verletzte. Daraufhin entschuldigte ich mich sofort, und er sagte, dass alles gut war … Oder auch nicht? Denn im Laufe des Tages hielt er mir ständig im Scherz meine blöde Bemerkung vor. Mir wurde klar, dass gar nichts gut war. Mein Kumpel war verletzt und brachte seinen Schmerz durch diese vorwurfsvollen Hiebe zum Ausdruck.

Ich fand das unfair. Zwar wollte ich nicht den Spieß umdrehen, aber wie oft sollte ich mich denn noch entschuldigen? Es tat mir leid, und ich würde so etwas nie wieder sagen, aber ich konnte die Worte nicht ungeschehen machen.

Verzeihen oder nicht verzeihen

Und schon sind wir wieder bei unserer Ausgangsthese. Denn meiner Meinung nach gibt es nur die Möglichkeiten, der Person zu vergeben, oder es eben nicht zu tun. Nichts davon muss sofort geschehen. Die Person kann sich ruhig Zeit lassen, Abstand nehmen und alles sacken lassen. Aber wenn sie mir verzeiht, dann hoffe ich, dass der Konflikt damit auch erledigt ist.

Nicht verzeihen ist auch okay

Hier würden viele vielleicht nicht zustimmen. Und ich verstehe es, schließlich heißt es immer, dass wir unseren Zorn für den eigenen Seelenfrieden überwinden müssen, und es stark ist, anderen zu verzeihen. Die Religionsbücher sind voll davon. Vergeben ist gut, nicht vergeben schlecht.

Aber wisst ihr was? Ich bin nachsichtig, aber ich kann auch nicht alles verzeihen. Wenn die Person mich beispielsweise hintergangen hat, und ich merke, dass ich ihr einfach nicht mehr vertrauen kann, dann finde ich es besser, einen Schlussstrich zu ziehen, anstatt sich selbst, und auch die andere Person mit dem Misstrauen zu quälen.

Diesen Tipp habe ich übrigens von meiner Therapeutin. Sie war es, die mich darauf hinwies, dass ich auch das Recht habe, einer Person nicht verzeihen zu müssen. Wenn ich es aber tue, dann muss ich das Geschehene auch gut sein lassen und nicht immer wieder aufrollen. Ich dachte damals lange darüber nach, und beschloss, dass die Person mir zu wichtig ist, um sie zu verlieren. Ich verzieh ihr.

Alte Konflikte aufwärmen ist doof.

Es ist die passiv-aggressivste Art des Streitens, bestehend aus unsichtbaren Hieben, die sich manchmal hinter einem Lächeln verstecken, aber deshalb nicht weniger wehtun. Lasst uns das nicht tun. Lasst uns verzeihen … oder eben nicht verzeihen.

Oder wie seht ihr das?

Hier noch ein paar Worte zum Thema „Sturheit beim Streit“:

Verletzter Stolz und bis zum Ende stur? Aber was hat man am Ende davon?

Und hier ein Impuls von Béa, die darauf hinweist, dass es eigentlich gar nicht ums Gewinnen geht…

Zwischen Diskussionen und Kontern – Warum müssen wir einen Streit überhaupt „gewinnen“?

Liebe Grüße
Mounia

Mounia
About me

Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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