Welchen Einfluss hat permanente Beurteilung auf uns?
Fotos, Videos, Filme, Bücher – sogar Parks bekommen eine Beurteilung. Wir leben in der reinsten Bewertungskultur, die noch nie so präsent war wie jetzt. Aber welchen Einfluss hat permanente Beurteilung eigentlich?
Heutzutage finde ich überall eine Bewertung. Jedes Restaurant, jedes Hotel, jeder Film, jedes Buch. Wann immer wir was kaufen, lesen wir uns oft erst die Bewertungen durch. Sogar Orte werden bewertet – Parks, Hügel, Schlösser … Bewertungen gehören zum Leben. Gibt es irgendwo keine, empfinden wir den Ort, den Menschen oder den Gegenstand oftmals als eher unseriös.
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Aber was ist, wenn wir selbst bewertet werden?
Eigentlich ist das Phänomen nicht wirklich neu, schließlich wurden wir schon immer beurteilt. Durch Noten in der Schule, zum Beispiel, und vermutlich hat es noch viel früher begonnen. Aber mit der Bewertungskultur schwingt auch die Leistungskultur mit. Wir strengen uns an, und gehen teilweise an unsere Grenzen – alles für eine gute Beurteilung.
Wie kommunizieren wir Feedback?
Unsere Dozentin in der Uni fragte zum Ende des Semesters hin nach einer anonymen Bewertung. Ich war dankbar dafür, denn hier konnte ich mein ehrliches Feedback geben und ihr sagen, was ich gut und eher nicht so gut fand. Vielleicht könnte sie sich die Kritik ja zu Herzen nehmen – so dachte ich. Die Anonymität half mir dabei, wirklich ehrlich zu sein, und so schrieb ich einfach drauflos und dachte in dem Moment nicht daran, was es mit ihr machen würde. Ob der Schwall an Kritik sie möglicherweise überforderte oder ob sie komplett darüber stand.
Eine Sache habe ich im Laufe der letzten Jahre auf Social Media bitter gelernt: Die Menschen schicken oft etwas ab, ohne vorher nachzudenken. Sie vergessen, dass ein Mensch mit Gefühlen dahintersteht, und achten demnach nicht immer auf ihre Wortwahl. Zumindest hoffe ich, dass das der Grund ist – ich will mir nicht vorstellen, dass wir in einer Welt leben, in der der Großteil der Menschen ganz bewusst so gemein und ausfallend wird.
Umgang mit Kritik
Béa und ich reden oft darüber, dass man lernen muss, mit Kritik umzugehen. Sie hat meiner Meinung nach einen recht guten Umgang mit Kritik entwickelt, ich hinke ehrlich gesagt immer noch etwas hinterher.
Mir geht negative Kritik jedes Mal sehr nahe, und damit meine ich keine sachlich konstruktive, sondern eine „ich schreib einfach drauf los und vergesse, dass dahinter ein Mensch steht“-Kritik. Ich dachte immer, dass ich die Einzige wäre, die so heftig (traurig und überfordert) auf negative Beurteilung reagieren würde, aber nach einem Austausch mit anderen Autorenkolleg:innen war schnell klar, dass es allen so geht. Wer sich so viel Mühe gibt und sein Herzblut in eine Sache steckt, macht sich dementsprechend verletzlich. Unsensible Bewertung ist dann sehr schwer auszuhalten.
Aber es ist nicht nur die negative, sondern auch positive Kritik
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Welchen Einfluss hat positive Beurteilung an sich?
Im ersten Moment würde ich mir denken: Positives Feedback? Ist doch toll! Wer mag es nicht, wenn die viele Arbeit geschätzt wird? Und zum Teil stimmt es noch immer. Für mich ist positives Feedback das Äquivalent zum Klatschen am Ende eines Konzertes. Wir bekunden unsere Begeisterung und machen der anderen Person eine Freude.
Aber leider hat diese beinahe etwas Zwanghaftes, denn inzwischen fordern viele Arbeitnehmer:innen ständig um eine Beurteilung. Wann immer ich irgendwo anrufe, wird im Anschluss um eine Bewertung der Person gebeten. Jene Menschen wissen das natürlich (oftmals hängt auch ihr Job von einem guten Service ab), aber das gibt mir oft das Gefühl, dass ich mit einem Roboter rede und nicht mit einem Menschen. Zwar profitieren Arbeitnehmer:innen davon, weil ihr freundlicher Service geschätzt wird, und auch die Kunden, die nicht von der anderen Leitung angepampt werden, aber wie authentisch sind wir dann noch?
Ebenso Kommentare und Likes auf Social Media. Gerade die jüngere Generation ist besonders betroffen. Viele Likes und (positive) Kommentare machen zwar glücklich, doch wenn das Bild beim nächsten Mal weniger Klicks hat, dann verunsichert das. Und vor allem macht das Druck, das Niveau zu halten, und den Spaß am Liken und Teilen zu vergessen.
Jede Art der Beurteilung = Druck?
Ich für meinen Teil bin nach jeder Buchveröffentlichung heillos überfordert. Die ersten Tage bin ich zu nichts zu gebrauchen, weil mich jedes kleinste Feedback überrumpelt – auch das Positive, denn dann fühle ich mich auf eine unbeschreibliche Weise unter Druck gesetzt. So wie wenn jemand sagt, dass ich den besten Käsekuchen der Welt backe, und ich mir denke: Na toll, jetzt sind die Erwartungen so hoch. Und was, wenn die anderen ihn nicht mögen werden?
Aber machen wir uns nichts vor – negatives Feedback erwischt mich noch übler. Das ist auch einer der Gründe, warum ich nur noch sehr selten bei den Kommentaren in meinen Beiträgen vorbeischaue, und mir bei jedem „kontroversen“ Beitrag zwei Mal überlege, ob ich mir wirklich die Mühe mache, ihn zu schreiben, wenn er von der Mehrheit sowieso nicht geschätzt wird.
Ob der Umgang mit Kritik mit den Jahren besser wird?
Keine Ahnung. Mir hilft am besten, mich trotz aller Neugier von permanenter Beurteilung zu distanzieren. Diesen Rat hat mir auch meine Therapeutin sehr ans Herz gelegt, die ebenfalls meinte, dass die Masse an Feedback (vor allem mit meiner Vorgeschichte – Versagensängste bla bla) nicht gesund sei.
Ich glaube, dass konstruktives Feedback gut und wichtig ist, aber bin gleichermaßen der Meinungen, dass nicht jede Wiese eine Google Bewertung braucht. Außerdem bin ich stark für einen wertschätzenden Umgang – auch anonym, auch im Internet, und auch, wenn man etwas eher Negatives zu sagen hat. Letzteres finde ich im Übrigens genauso wichtig wie gutes Feedback – Hauptsache ehrlich!
Soweit meine Gedanken zur permanenten Beurteilung. Wie ist eure Meinung dazu?
Liebe Grüße
Mounia