Mit Depressionen leben – als Mensch, Vater und Blogger. Interview mit Markus Bock


Zu meinen Entdeckungen des letzten Jahres gehört Markus Bock, aka Herr Bock mit seinem Blog „Verbockt“, der sich als „Depressionist“ bezeichnet und wichtige Aufklärungsarbeit leistet für das Thema Depressionen – in der Familie, aber auch generell. Zum Neuen Jahr habe ich ihn interviewt – hier lest ihr seine Antworten. 

Kurz vorab: Was macht das Thema Depression in einem Kreativblog? Nun, „kreativ“ heißt auch, gültige gesellschaftliche Regeln oder auch ungeschriebene Gesetze in Frage zu stellen und besser, erfüllender zu leben und die nächste Generation befreit groß werden zu lassen. Und deswegen finden wir im Team von Tollabea, dass das Thema Depressionen, gerade in Familien, mehr Beachtung, Aufklärung und Neuinterpretation braucht. Wir leisten mit solchen Beiträgen unseren Part. Und hier antwortet Markus auf meine Fragen – ich habe mir erlaubt, zwischendrin meine Lieblingstweets von ihm einzubetten. 

Béa: Lieber Markus,  du schreibst: „Ich bin und war in psychologischer Behandlung wegen Depressionen. Ich schäme mich nicht dafür.“ Was ist die Geschichte deiner Depression?

Herr Bock: Meine Geschichte ist ziemlich lang. Meine „rezidivierende Depression“ ist für mich eine Diagnose, mehr nicht. Es ist ein Name. Am Ende ist sie aber die Begleiterscheinung aus den Erfahrungen und erlerntem Verhalten aus der Kindheit. Meine Eltern waren über Jahre alkoholabhängig und konnten sich nicht so kümmern, wie es hätte sein sollen. Ich habe zu früh Verantwortungen bekommen, die ich als Teenager nicht tragen konnte und durfte. Ich war im Gegenzug immer auf der Suche nach Liebe, Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Geborgenheit. All das, was in vielen anderen Familien ganz oben steht. Daraus haben sich Verhaltensweisen entwickelt, die einfach nicht gut waren. Mangelndes Selbstbewusstsein, Selbstzweifel, Selbsthass, Suizidgedanken. Die Suche nach all dem prägt mich bis heute und ist ein Teil von mir. Jeden Tag. 15 Jahre hat es gedauert, bis ich die ersten Schritte gemacht habe, um das alles zu erkennen. Woher kommt mein Verhalten? Wie entsteht mein Verhalten? Welchen Anteil habe ich selbst? Warum habe ich mir meine Welt mit Lügen immer schön geredet und konnte keine Verantwortung für mein Verhalten übernehmen? Da ist dann der Kreislauf in vollem Gange. Fragen, die ich heute erst langsam beantworten kann. Die Depression ist ein Teil von mir, nach wie vor, auch wenn ich im Moment stabil bin.

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Béa: Was hilft dir am meisten, wenn du down bist?

Herr Bock: Heute habe ich da viele Hilfsmittel, die ich je nach Bedarf einsetzen kann. Allen voran das Schreiben. Es befreit mich. Ich kann mich voll darauf einlassen, meinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf lassen und all das festhalten, was mich bewegt. Nicht alles findet den Weg in die Öffentlichkeit, aber kaum etwas landet im Papierkorb. Bewegung hilft mir. Walken, wandern oder aufs Rad. Ne Stunde raus und den Kopf freipusten. Meine eigene kleine Familie hilft mir, Freunde, Gespräche und mich mit dem Thema in der Öffentlichkeit zu beschäftigen. Die großen „Downphasen“ sind ausgeblieben, seitdem ich für mein Leben endlich einen richtigen Sinn – nein mehrere – gefunden habe. Letztlich hilft es aber auch immer wieder, mich mit mir zu beschäftigen – was vielen Betroffenen schwerfällt. Auf mich achten, für mich sorgen, meine Gedanken hinterfragen, den Fokus wieder richtigstellen.

Béa: Kannst du ein Depressionstief auch vermeiden, so wie ich Kopfschmerzen abwenden kann, indem ich bei den kleinsten Vorboten ganz viel Wasser trinke, schnell an die frische Luft gehe und mich bewege?

Ich für mich erkenne die Anzeichen mittlerweile sehr gut. Es gibt Tage, an denen es mal punktuell bergab geht und ich kann auf meine Trickkiste zurückgreifen. Meine Gedanken hinterfragen, Bewegung, gezielt die Dinge tun, die ich gerne mache. Oft hilft das Schreiben am Meisten und das Wissen, dass morgen ein neuer Tag ist, an dem ich mich neu entscheiden kann und dann greift die Struktur. Geht mal nichts, ist da noch die Akzeptanz, dass es jetzt für den Moment so ist. In den letzten Jahren hat sich so viel entwickelt, ich konnte aus den Therapien so viel mitnehmen, dass ich ein gutes Paket an Maßnahmen für mich habe. Und auch Menschen, an die ich mich wenden kann.

Béa: Wie redest du mit deinem Kind über Depressionen?

Herr Bock: Noch gar nicht. Mein Sohn ist jetzt 16 Monate alt, dem kann ich wahrscheinlich noch alles erzählen. Wenn er aber mal soweit ist, werde ich ihm natürlich alles davon sagen. Mein Blog, die Lesungen, das kommende Buch, Sport gegen Depressionen und die Erlebnisse, die wir hier zusammen haben werden immer unweigerlich mit uns verbunden sein. Ich möchte ihn tolerant und offen erziehen, ihm die Empathie und Weitsicht mitgeben, sensibilisiert für schwere Themen und neugierig für die Dinge. Nicht nur für das Thema Depressionen.

Béa: Reden wir von Markus jenseits von Depression: Wann schaffst du es, und wie, mal die Depression zu vergessen? Gibt es sowas wie „Pause“?

Herr Bock: Pausen. Die gibt es, sind aber wirklich selten. Ja, wenn ich das möchte, dann kann ich auch abschalten. Ansonsten ist das Thema wirklich sehr präsent, aber nicht negativ präsent. Zumindest nicht immer. Es ist da, wenn ich für „Herr Bock“ etwas mache. Mir organisiert ja keiner die Lesungen oder schreibt Texte, das mach ich alles selbst. Ich beantworte Nachrichten oder tausche mich mit anderen aus. Lese Tweets, schreibe welche oder stecke mal wieder voller Ideen wegen was anderem. Wenn es mir nicht so gut geht, dann ist es eben mal negativ präsent. Ich möchte sie gar nicht vergessen machen. Mittlerweile hat sie mir ja einen großen Sinn im Leben gegeben, in dem ich aufgehe und mit dem ich mich wohl fühle. Ich kann mich aber auf die anderen schönen Dinge im Leben konzentrieren, ohne mich ablenken zu lassen.

Béa: Wenn Depressionen der Preis sind, den du für etwas Besonderes an dir bezahlst, was ist das Besondere?

Herr Bock: Meine Art zu schreiben und zu reden. Mit wenigen Worten auf den Punkt zu kommen, Gefühle in Worte zu fassen, empathisch zu sein. Grundsätzlich bin ich meiner Depression dankbar, mich kennenlernen zu können und jetzt dadurch auch der werde, der ich immer sein konnte. Ich lerne mich zu lieben, meine Fähigkeiten zu schätzen, für mich einzustehen, meine Träume zu formulieren, zu planen und selbst umzusetzen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es so kommen musste, damit ich „von den alten Geistern“ frei werde. Solange ich das noch nicht bin, wird sie mich noch begleiten, wie ein treuer Freund, der immer mal an der Tür klopft und nach dem Rechten sieht. Passe ich mal nicht so gut auf, ist er eben präsenter.

Béa: Was habe ich vergessen zu fragen, was aber unbedingt eigentlich noch gesagt gehört?

Herr Bock: Ich habe eigentlich immer nur einen Wunsch. Zuhören. Hört euch gegenseitig zu. Achtet wieder mehr auf das gesamte Gespräch und die Aussagen zwischen den Zeilen, nehmt euch Zeit füreinander, respektiert euch und unterstützt euch. Keiner kommt weiter, wenn er jemand anderen im Unverständnis zurücklässt oder mit Vorwürfen überhäuft. Diktiert keine Wege vor, sondern nehmt an die Hand und begleitet. Redet miteinander und übereinander. Nur so kann viel mehr Offenheit entstehen und Ängste klein gehalten werden.

Lieber Markus, vielen herzlichen Dank für dieses Interview!

Hier könnt ihr Markus folgen:

Herr Bock auf Twitter – so habe ich ihn entdeckt.

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Herr Bock auf Instagram – folgt einfach meinem Lieblingspost von ihm hier… und dann seht ihr auch seinen süßen Sohn im Account!

Und wenn Ihr noch ein Interview mit ihm lesen wollt – Dani von Glucke und So hat ihn auch interviewt.

Und, habt ihr noch Fragen oder eigene Erlebnisse zu dem Thema?

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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11 Kommentare

Barbara Lohmann
Antworten 27. April 2017

Danke für´s Entdecken! Dieser Mensch und dieser Blog berühren mich zutiefst.
Ganz toll auch deine Frage: "Wenn Depressionen der Preis sind, den du für etwas Besonderes an dir bezahlst, was ist das Besondere?" das lässt nachdenken :-)

Martin Steffens
Antworten 17. Januar 2018

Danke für die Offenheit, Markus Bock! Ein wunderbares Interview, tolle Fragen, tolle Antworten. Es braucht mehr Menschen wie Sie, damit das Thema Depression endlich als das behandelt wird, das es ist: Eine Krankheit. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Sonja
Antworten 5. April 2018

Lieber Markus,
Vielen Dank für deine Offenheit und deine "Öffentlichkeit". Nu so kann diese Krankheit ans Licht, wo sie ganz dringend hingehört. Ich wünsche dir von Herzen viel Kraft für deinen Weg.

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