Nachtrag zum Beitrag übers Lästern – mit einem besonderen Dank auch an die Kritiker


Am Wochenende hatte Béa einen Artikel von mir zum Thema „Lästern über das Aussehen von anderen Menschen“ veröffentlicht, der Diskussionen auslöste, insbesondere bei Facebook. Da ich auf die Kommentare nicht selbst geantwortet habe, sondern Béa, möchte ich heute noch einen Nachtrag schreiben.

Der Artikel entstand aus einer Situation, die ich erlebt habe.
Ich habe mich dazu entschlossen, den Fokus im Artikel auf Mitgefühl und Reflexion zu setzen.

Denn ich empfinde viele zwischenmenschliche Verletzungen wie Domino:
Einer wird verletzt, verletzt den nächsten, dieser verletzt den nächsten Menschen usw.

Mitgefühl, eine Portion Güte, andere Menschen nicht bewerten und beurteilen, achtsam miteinander kommunizieren – eben wie: ein Licht von einem zum anderen reichen. Das ist mir wichtig.

Mitgefühl für diese beiden Frauen, die da so gelästert hatten, bedeutet für mich keine Zustimmung.

Natürlich kam die Frage auf: „Wie hat die Schreiberin denn in der Situation reagiert“?

Darüber hatte ich nicht geschrieben, weil der Fokus für mich ein anderer war.

Béa hat es anklingen lassen und hier ist, wie ich reagierte:
Ich habe der jungen Frau, über die so gelästert wurde, zugelächelt. Sie hatte eine Freundin dabei. Dann kam auch schon die Bahn und wir stiegen ein.

Die nächste Frage in den Kommentaren: „Warum hat die Schreiberin nicht mehr getan“?

Ja, diese Frage kann ich gut nachvollziehen. Und auch hier hat Béa geantwortet.

Ich habe eine PTBS – Posttraumatische Belastungsstörung – und es reichte nicht aus für mehr.

Das ist eine Erklärung und keine Rechtfertigung. Denn ich brauche mich nicht rechtfertigen. Ich lerne in der Therapie, mich nicht mehr für meine Symptome zu schämen. Und auch nicht dafür, dass ich mit der PTBS nicht mehr die Kraft habe alles zu tun, was ich vor dem Trauma konnte.
Ich bin mit mir im Reinen. Dazu brauche ich auch keine Selbstreflexion. Ich kenne meine Werte und ich lebe sie derzeit so, wie ich es gerade kann – mit und trotz Trauma.

Und das bringt mich zu den Kommentaren zu unterlassener Hilfe meinerseits: Ich finde ein Lächeln, jemandem in die Augen schauen, aufmunternd zulächeln, ist auch Hilfe.

Es ist ein: „Hey, ich sehe dich. Du bist nicht allein“.

Und die Frau hat mein Lächeln erwidert. Es kam also auch an.

Auch ohne PTBS wäre es meine erste Reaktion gewesen, mich an die Seite dieser Frau zu stellen. Sei es mit einem Lächeln. Sei es, einen Schritt näher auf sie zuzugehen. Beim Opfer sein und mich nicht zuerst auf die konzentrieren, die da lästern. Ein „Was brauchst du jetzt? Kann ich etwas tun?“
So etwas zeigt auch den Menschen, die lästern Menschlichkeit und dass der andere nicht alleine ist.
Und dann erst vielleicht ein: „Halt! So nicht!“ in die Richtung derer, die lästern.
(Wie auch immer das jeder formulieren würde)
Und ja, diesen Schritt konnte ich dieses Mal leider nicht gehen.

Ich werde nicht über die Menschen urteilen, die mich in ihren Kommentaren verurteilt und bewertet haben. Ganz im Gegenteil, ich möchte mich bei euch bedanken. Und nein, das ist kein Sarkasmus.

Natürlich haben mich die Kommentare auch getroffen. Ich habe mich jedoch nicht schuldig gefühlt. Ich habe nichts falsch gemacht. Ich konnte nur nicht in dem Umfang handeln, wie ich es getan hätte, wenn ich gesund wäre. Ich bin OK damit, wie ich in der Situation gehandelt habe. Und dennoch musste ja irgendwas in MIR sein, wenn mich diese Kommentare berühren. Hier bin ich in die Selbstreflexion gegangen.

Und ich habe eine wertvolle Erkenntnis gewonnen. Etwas, was ich seit Monaten zum Thema – Trauma und Hilfe – mit mir rumschleppte, wurde aufgelöst.

In der damaligen Situation konnte ich nicht mehr tun als lächeln, mehr hat meine PTBS nicht zugelassen.

Was ich danach tun konnte, war darüber zu schreiben. Versuchen, auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Um Achtsamkeit im Umgang miteinander zu werben und auch mal hinter Verletzungen zu schauen: Was steckt dahinter? Es geht beides: Es nicht gutheißen, wenn gelästert wird und dahinter schauen, vielleicht auch Mitgefühl entwickeln. Diesen Menschen, die lästern damit vielleicht helfen, sich ein wenig selbst zu heilen und ihre Trigger zu erkennen. Bewerten, beurteilen und anklagen, sind für mich keine Hilfe.

Vielen Dank fürs Lesen.
mindfulsun

P.S. Von Béa: Ich bin mit mindfulsun auch befreundet. Ich erlebe sie als einen unglaublich fairen Menschen, der sein Letztes für andere gibt und sich über die Maßen für soziale Fairness einsetzt. Sie hat nun diese PTBS, sauber diagnostiziert von einer Psychiaterin. Mir hat es weh getan zu lesen, wie Menschen dies als „Ausrede“ abgestempelt haben – auf die fabrizierte „Anklage“. Ich habe manche Kommentare als Angriff auf sie empfunden.

Ich erlebe mindfulsun, wenn sie gar keine Kraft hat und dennoch alles versucht. Manchmal kann sie über ihre Kräftereserven hinaus gehen, für ihre Kinder, für Menschen, die gerade in  einer Notsituation sind. Der Wille ist immer da. Aber manchmal ist es einfach nichts an Kraft da. Oder weniger als nichts. Zu beurteilen, was sie hätte oder nicht hätte machen können und sollen, hätte man mindfulsun sein müssen. Und auch um zu beurteilen, was der betroffenen Frau wirklich gut getan hätte, hätte man die andere Frau sein sollen.

Deswegen freue ich mich, dass sie nun selbst erklärt hat, was ihr wichtig ist. Und ich freue mich über alle, die sich die Mühe machen, es zu verstehen.

Sommer – Sonne – Lästern über das Aussehen von anderen Menschen

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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