Drei mal ich…? – Gastbeitrag von Sylvi Jonathan
Eines Tages trafen sich auf einer bunten Blumenwiese drei Personen. Ein kleines Mädchen, etwa 6 Jahre alt, eine Frau mittleren Alters und eine ältere Dame jenseits der 70.
Alle drei kamen auf Wanderwegen daher, und ihre Wege kreuzten sich.
Sie hatten es nicht eilig, so setzten sie sich auf die Wiese und erzählten sich gegenseitig ihre Geschichte.
Das kleine Mädchen fing an:
„Ich freu mich schon so darauf, dass ich endlich groß und erwachsen bin. Jetzt muss ich noch viel lernen. Aber eines Tages, da werd‘ ich heiraten, mindestens 2 Kinder haben. Ich möchte Krankenschwester werden oder Eiskunstläuferin… oder sogar beides. Außerdem möcht‘ ich die Welt bereisen, nach Ägypten die Pyramiden anschauen. Das alles werd‘ ich machen, wenn ich endlich groß bin.“
Die ältere Dame lächelte das kleine Mädchen liebevoll an: „Das sind schöne Träume und Ziele, die du da hast. Aber vergiss nie mein Kind, egal, wie deine Ziele aussehen, es kommt vor allen darauf an, wie du deine Reise gestaltest. Vergiss nicht, auch auf den Wegen des Blickes für das Schöne im Leben nicht zu verlieren.“
Das Mädchen nickte und beide wanden sich der Frau zu, die so ungefähr 40 war.
Sie fing zögernd an zu sprechen.
„Wenn ich so nachdenke, hatte ich ziemlich genau die gleichen Träume und Ziele wie du, als ich in deinem Alter war.“
„Wirklich?“, fragte das kleine Mädchen.
„Und wie ist es jetzt so, ist es so toll? Erzähl doch mal!“
Die Frau sagte: „Eigentlich hat sich kein einziger dieser Träume erfüllt.“ Das Mädchen blickte sie entsetzt an und Tränen kullerten ihr über die Wangen.
„Das ist ja schrecklich! Da lohnt es sich ja gar nicht zu träumen.“
Die ältere Dame fragte die Frau, ob ihr Leben denn traurig und schrecklich wäre?
„Aber nein!“, sprach die Frau. „Ganz und gar nicht. Ich habe viele tolle Sachen erlebt. Hab spannende Dinge gesehen und ganz, ganz viel gelernt. Ich habe ganz viele Freunde, habe eine spannende Aufgabe, kann mit Menschen arbeiten und meine Arbeit ist nützlich und ich werde gebraucht. Es gibt Personen, die mich lieb haben und die ich lieb haben darf.
Ich habe 4 Sternenkinder, die ich eines Tages wiedersehen werde und darauf freu ich mich sehr.
Ich habe das Gefühl, in der Welt Spuren zu hinterlassen, was zu bewirken. Mein Leben ist wie ein Farbmalkasten. Jede Farbe ist wichtig, denn ohne die dunklen Farben wüsste ich nicht, wie schön die hellen Farben leuchten können.
Mein Weg war wirklich nicht immer leicht und ich hatte schöne und unschöne Begegnungen, aber aus jeder habe ich was gelernt. Ich freu mich über viele Dinge in meinem Leben und hab noch viel vor.“
Das kleine Mädchen hatte andächtig zugehört und fühlte sich sehr getröstet.
Die ältere Dame erhob sich: „So, ihr beiden, es wird Zeit, dass wir auf unseren Wegen weitergehen.“
Die beiden anderen sagten:
„Aber du hast doch noch gar nichts von dir erzählt. Wir wollen doch wissen, was du so erlebt hast auf deinen Wegen.“ Die ältere Dame war schon auf ihrem Weg… :“Oh, das erfahrt ihr schon noch, wenn die Zeit dafür reif ist.“, sagte sie und ging davon.
Das Mädchen rief noch hinterher: „Verrätst du mir noch, wie du heißt?“
Die Dame drehte sich im Gehen um, nickte und sagte:
„Sylvi.“
„Oh“, sagte das Mädchen, so heiß‘ ich auch.
„Ich auch!“… sagte die Frau.
____
Vielen Dank liebe Sylvi für diese wunderbare Geschichte. Du hast auch mir die Frage gestellt, was ich meinem frühern und späteren Ich sagen würde, und das werde ich auch in den nächsten Tagen beantworten!
Liebe LeserInnen, wie würde bei euch diese Begegnung ablaufen?
Liebe Grüße,
Béa
- 09. Jul 2022
- Keine Kommentare
- 0
- Älter werden, das innere Kind trösten, Identität, Jüngeres Ich, Trost