„Er / sie ist es nicht wert!“ Trösten, indem ich andere abwerte: Hilft das?
Jemanden trösten wollen: Kennt ihr das, wenn wir uns mit jemanden so solidarisch fühlen und es tut uns selbst weh, wenn diese Person verletzt wurde? Und wir dann das Bedürfnis haben, die Person, die unseren Lieblingsmenschen verletzt hat, so richtig runter zu machen? Wenigstens verbal und unter uns? Um dem anderen Trost zu spenden?
Tja. Tut dem anderen nicht immer gut!
Unsere Kolumnistin mindfulsun hat das Thema „Trost spenden“ anhand einer Situation in der Straßenbahn reflektiert
Vor ein paar Tagen habe ich in der Straßenbahn ein Gespräch zwischen zwei Teenagern mitbekommen und es hallt bis heute nach:
Zwei Mädchen unterhalten sich über den Geburtstag eines anderen Mädchens. Und dann kam das Gespräch darauf, dass eine von beiden nicht zu diesem Geburtstag eingeladen wurde.
„Ich finde es total asozial von ihr, dass sie dich nicht eingeladen hat. Die ist doch total Scheiße!“
Was kommt jetzt? Ich rechnete innerlich schon damit, dass das andere Mädchen mit in die Schimpftirade einstimmt.
Doch sie überlegte eine Weile und es schien, als suchte sie die richtigen Worte. Und ich war total überrascht!
„Weißt du, ich habe nachgedacht. Es tut nicht richtig weh. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es ist eher ein ungutes Gefühl.“
„Ja, aber es ist doch voll doof von ihr!“
„Ich kenne ihre Gründe nicht. Ich weiß ja nicht, warum sie mich nicht eingeladen hat.“
Ich empfand das Mädchen, welches nicht eingeladen wurde als sehr reflektiert.
Wenn ich an das Trostgespräch zurückdenke, habe ich Fragen:
Warum eigentlich versuchen manche Menschen, andere Menschen zu trösten, indem sie Personen abwerten? Sicher fühlen wir uns verletzt von manchen Worten, Situationen und durch Handlungen anderer Menschen. Und ja, wenn wir das bei anderen mitbekommen, ist vielleicht auch unsere eigene Betroffenheit groß. Wir möchten dem anderen den Schmerzen am liebsten abnehmen.
Bedeutet jemandem Trost zusprechen, allerdings gleichzeitig den anderen Menschen zu verurteilen?
Können wir hier nicht bei uns bleiben? Ja, manche Dinge sind nicht OK und sehr verletzend. Ist deswegen gleich der ganze Mensch „Scheiße“? Hilft das tatsächlich?
Diese Frage stelle ich jetzt an euch: Hilft euch das, wenn jemand über andere Menschen schimpft und sie verflucht?
Bevor ich jetzt weiterschreibe, was sich für mich verändert hat beim Thema „Trost spenden“ ,habe ich mal eben aus Neugier Wikipedia befragt:
„Trost ist zwischenmenschliche Zuwendung an jemanden, der trauert oder anderen seelischen bzw. körperlichen Schmerz zu ertragen hat. Derjenige wird getröstet. Trost kann durch Worte, Gesten und Berührung gespendet werden. Der Schmerz und die Traurigkeit des Getrösteten sollen gelindert werden; er soll spüren, dass er nicht allein gelassen ist; seine seelische Verfassung soll gestärkt werden.“
Ich möchte lieber in solchen Situationen bei der verletzten Person bleiben, als andere zu verurteilen. Empathie! Damit der andere Mensch eben weiß, er ist nicht alleine mit seinem Schmerz. Wahrscheinlich wollte das eine Mädchen nichts anderes, als das andere zu trösten und sie nicht alleine damit lassen.
Fragen: „Wie geht es dir damit? Wie fühlst du dich? Kann ich etwas tun? Was brauchst du jetzt?“ drücken für mich Mitgefühl aus. Den Fokus auf den Menschen legen, dem es nicht gut geht. Nicht den Fokus auf den Menschen, der die Verletzung ausgelöst hat.
Und das hat nix mit „Heile, heile Gänschen“ zu tun. Sondern auch damit, dass wirkliches Zuhören – empathisches Zuhören, Schmerzen lindern kann. Und oft genug hilft wirkliches Zuhören, dass jemand sich klar wird, was er wirklich braucht.
Bevor ich gleich schreibe, wie wundervoll diese Konversation zwischen den beiden Mädchen endete – noch ein Satz, der mir zu denken gegeben hat:
„Sie ist es nicht wert, dass du mit ihr befreundet bist!“
Wo kommt das her? Und dann fiel es mir auf. Wie oft habe ich im Leben schon gehört, gelesen oder sogar vielleicht auch gesagt, wenn jemand enttäuscht wurde oder Liebeskummer hatte: „Er / sie ist es nicht wert, dass du ihn / sie liebst.“
Wer bestimmt den Wert eines Menschen?
Auch wenn das tröstliche Worte sein sollen – davon gehe ich jetzt aus – Wieso nicht ein: „Ich hätte dir etwas anderes gewünscht!“ oder „Du bist liebenswert!“
Sagen, was wir für diesen Menschen empfinden, Mitgefühl ausdrücken und bestärken. Statt vielleicht sogar die eigene Unsicherheit auf den anderen projizieren: auf die Gefühle eingehen, die sich in dem Menschen abspielen, dem ich gerade beistehen möchte. Jemanden stärken, indem wir einen andern Menschen abwerten? Das geht für mich nicht zusammen.
Kinder (ich denke, die Mädchen waren so zwischen 11 und 13 Jahre alt) sagen solche Dinge nicht einfach so: „Sie ist es nicht wert.“ Das ist etwas, was sie gehört haben – vielleicht als andere sie getröstet haben?
Sprache und wie wir etwas ausdrücken, ist sehr mächtig und kann auch unsere Gefühlswelt beeinflussen. Damit achtsam umgehen, empfinde ich sehr wichtig – auch im Umgang mit unseren Kindern!
Wie die Geschichte ausging? Das Gespräch wurde immer ruhiger. Das Mädchen, welches nicht eingeladen wurde reflektierte, warum sie keine Einladung bekam: „Vielleicht hat sie mich nicht eingeladen, weil ich im letzten Jahr abgesagt habe? Ich werde es nur erfahren, wenn ich mit ihr spreche. Ich werde sie auf jeden Fall zu meinem nächsten Geburtstag einladen. Ich mag sie!“
Und das andere Mädchen nickte: „Das finde ich gut.“
„Chapeau!“ dachte ich, als ich aus der Bahn stieg. Es hätte auch anders ausgehen können, zwei Mädchen, die über ein anderes herziehen. Stattdessen ruhige Reflexion und eine wunderbare Lösung: In die Kommunikation gehen, um Klarheit zu bekommen!
Mein Fazit: Mir hilft es nicht, andere zu verurteilen, wenn ich Trost brauche. Andere brauchen es womöglich erst mal so richtig vom Leder zu ziehen, mit allen Schimpfworten unter der Sonne. Sich Luft machen! Hier ist wohl jeder Mensch anders. Statt gut gemeinten Sprüchen: Manchmal hilft auch einfach nur da sein, zuhören ganz ohne Worte und eine dicke Umarmung. Mit Anwesenheit Trost vermitteln. Und statt gut gemeinter Ratschläge die Frage: „Was brauchst du?“ Als ersten Schritt und dann weiter.
Das war ich und mein Erleben. Jeder Mensch ist von eigenen Erfahrungen und eigenen Geschichten geprägt. Ich bin gespannt auf eure. Es geht mir in diesem Artikel nicht darum, das Mädchen zu bewerten. Es geht um Reflexion von Redewendungen anhand eines Beispiels und einen Perspektivenwechsel.
Was hilft euch, wenn ihr Trost braucht? Und wie tröstet ihr andere? Lasst es uns gerne in den Kommentaren wissen.
mindfulsun
- 28. Apr 2019
- 6 Kommentare
- 8
- Achtsamkeit, auf Sprache achten, Empathie, gespräche, Mädchen unter sich, mindfulsun, Streit, Teenies, Trost
Conny
28. April 2019Was für ein schöner Text. Er regt mich auch zum Nachdenken an. Gerade selbst erlebt. Die eigentlich beste Freundin meiner sechsjährigen Tochter hatte im Februar Geburtstag. Es wurde eine Übernachtungsparty gefeiert. Meine Tochter ist ein sehr aufgewecktes Kind und erscheint daher manchmal sehr anstrengend. Für meine Tochter ist diese Freundin die beste Freundin. Leider wurde sie zu dieser Übernachtungs Geburtstagsparty nicht eingeladen. Ich konnte meinem Kind nicht sagen, dass sie nicht eingeladen wurde. Habe den Kontakt zu dem Mutter auch erstmal eingestellt, weil ich nicht erklären kann woran es liegt. Die Freundschaft hat darunter sehr gelitten insbesondere unter uns Müttern. Es besteht quasi kein Kontakt mehr. Vielleicht hätte ein Gespräch diese Situation verhindert.
Béa Beste
28. April 2019Danke für dein Kommentar! <3 Wäre es nicht möglich jetzt darüber zu sprechen und die Verbindung wieder zu stärken? Liebe Grüße, Béa
Clau
28. April 2019Toller Text, danke. Hier grad auch passiert. Meine 5 jährige wurde nicht eingeladen zum Geburtstag ihrer besten Freundin. Zumindest sagt sie, es sei ihre beste Freundin.
Sie hat es weggesteckt, aber mich hats getroffen. Ich mag das andere Kind plötzlich weniger... dabei gibts vielleicht Gründe wegen des Geburtstags.
Vielleicht trau ich mich und frag mal nach... Danke für den Text und das offenbar viel reflektierte junge Mädchen- Chapeau!
Béa Beste
28. April 2019Vielen Dank dir, dass du hier mit reflektierst! Ganz viele liebe Grüße und Danke für dein Kommentar! <3 Béa
babett
8. Juni 2020Also das finde ich verrückt, was ich in den Kommentaren lese. Die Eltern sind verletzt, weil das Kind nicht zum Geburtstag... bei... 5-jährigen?
Sorry, Leute, aber ich wundere mich wirklich. Über komische Verknüpfungen von Beziehungen, das Nichtverstehen kindlichen Denkens, fehlende Kommunikation zwischen Eltern und eine damit einhergehende Vorbildwirkung, bei der mir übel wird.
Zum Text: Ich bin sehr froh zu lesen, wenn Menschen andere für Empathie und Kommunikation gewinnen wollen. Vielen Dank. Auf das Mädchen wäre ich extrem fremdstolz gewesen.