Eine „neue“ Art der Pubertät? Gastbeitrag von Sylvia Koppermann


Ich bin Mutter einer Großfamilie.
Einer Patchworkfamilie.
Und so durfte und darf ich gleich zwei Varianten der Pubertät erleben.
Meine ältesten Kinder gingen noch fast klassisch durch die Pubertät.
Wir hatten das gesamte Programm kollernder Hormone, Gezicke, alles misszuverstehen, sich ungerecht behandelt und zu wenig geliebt zu fühlen.
Beidseitig.
Nicht nur die Kinder fühlten so. Stellenweise ich auch.

Nun hatte ich damals die große Aufgabe, für meinen ehemaligen Arbeitgeber, eine ganze Serie Artikel zur Pubertät zu schreiben.

Nicht nur die hormonellen Abläufe, auch wie die Pubertät durchschnittlich bei Jungen verläuft, bei Mädchen, wie sich der Vater fühlt, die Mutter, wo man Spannungen vermeiden könnte, sich Auszeiten nimmt,…
Um es kurz zu sagen, als ich meine Serie fertig geschrieben hatte, war ich nicht nur in meiner Familie so etwas, wie ein Experte in Sachen Pubertät, ich musste mir auch eingestehen, dass diese manchmal wirklich provokanten und nervenden Gören, deren einzige Aufgabe es zu sein schien, sich wie besessen aufzuführen, sogar Verständnis von mir erhielten.
Zumindest theoretisch.

In der Praxis hat man schließlich auch noch seinen Selbsterhaltungstrieb und der lässt einen dann doch schon mal konsequent „Nein!“ sagen, mit der Faust auf den Tisch hauen oder den Finger gen Flur strecken, während man unmissverständlich sagt „Geh bitte auf Dein Zimmer und tobe Deine Launen da aus.“.

Und ich hatte tatsächlich keine Bilderbuch-Pubertierenden. Besonders meine Älteste kämpfte sich gefühlt vom Grundschulalter, bis in ihre zwanziger Jahre durch das hormonelle Chaos.

So fühlte ich mich gewappnet, wenn dann meine jüngeren Kinder nun, viele Jahre später, in die Pubertät kommen würden.

Schließlich kannte ich die hormonellen Vorgänge, wie launenhaft man wird, all die Selbstzweifel eines Teenagers, die Null-Bock-Phasen, auch die Epochen, in denen Wasser und Dusche zum Teufelszeug für den Teenie werden.

Ich war gewappnet auf Kinder, die sich mit Schmuck behängen, der Piercings imitieren soll, Körperbemalung, Lieblingskleidungsstücken die sich dubios selbst zerreißen, um cooler auszusehen.

Aber vor allem war ich vorbereitet auf endlose und sinnfreie Diskussionen, als „altmodische Mutter“ abgestempelt zu werden und insgeheim lag meine gedachte Rüstung gegen die Pubertät schon griffbereit im Schrank.

Ja, ich fühlte mich absolut vorbereitet, wusste, dass nichts an der Pubertät berechenbar ist und man als Eltern in der Lage sein muss, die Taktik in Sekundenschnelle zu wechseln.

Pubertät erfordert sehr viel Verständnis für seine Kinder, aber auch, dass man kämpfen muss, denn so sehr die Kinder sich gegen all die häuslichen Regeln, alle Pflichten und vor allem gegen die Erwachsenen selbst auflehnen, die in ihren Augen zu einer geistig minderbemittelten, vom Aussterben bedrohten Spezies werden, brauchen sie eben in dieser Zeit auch Hände, die sie immer wieder in die Bahnen schieben, bevor sie sich und ihren Halt verlieren, weil sie gegen alles rebellieren.

Oft hatte ich Diskussionen mit Müttern jüngerer Kinder, die fassungslos waren, wie ich doch mit meinen Teenagern auf gleichem Niveau, nur mit deutlich besseren Argumenten debattierte. Ich griff zu unkonventionellen Methoden, sprach mit ihnen die gleiche Sprache und mehr als einmal wurde mir kopfschüttelnd von einer Kleinkind-Mama gesagt, so könnte sie niemals mit ihrem Kind reden.
Ich lächelte und dachte mir „Warten wir ab, bis Dein Kind in die Pubertät kommt!“.

Nun ist es soweit, die Älteste meiner jüngeren Kinder beginnt zu pubertieren.

Schon früh, mit 10 Jahren, aber ich wusste ja, dass die hormonellen Umstellungen im Körper bereits eher starteten.
Spätestens, wenn sie 8 Jahre alt waren, hing meine Pubertätsrüstung auf Hochglanz poliert, zum Einsatz bereit.

Aber nun musste ich feststellen, dass der Großteil meiner Kenntnisse tatsächlich antiquiert sind.

Die Pubertät von heute, ist schon lange nicht mehr die Pubertät, wie ich sie von mir oder meinen älteren Kindern kannte.

Ich sehe Tendenzen, die – meiner Meinung nach – eine Mitschuld an den Veränderungen tragen und bin alles andere, als gut vorbereitet, denn mit all dem hatte ich nicht gerechnet, eine Zeit lang sogar auf ein Ausnahmekind gehofft, bis mir dann die Augen geöffnet wurden, dass die Pubertät von heute scheinbar eine Metamorphose durchlaufen hat.

Meine Zehnjährige zickte uns nicht an, sie verschloss sich.

Immer wieder mussten wir sie bitten, am Familienleben teilzunehmen, statt sich allein im Zimmer zurück zu ziehen.
Meine Tochter bemalte sich, begann sich mit Buntstiften zu schminken, wich der Körperhygiene, die ihr sonst heilig war, immer geschickter aus und versuchte uns sogar diesbezüglich zu veräppeln.

Schickte ich sie duschen, lief das Wasser für ein paar Minuten, dann kam meine vollständig getrocknete Tochter, alles andere, als nach Seife duftend, aus dem Bad.
Bereitete ich ihr ein Bad vor, blieb sie stundenlang im Badezimmer, platschte mit der Hand gelegentlich im Wasser, damit wir glaubten, sie säße darin und verließ ebenso trocken und mit fettigen Haaren das Bad.
Es wurde zu einem roten Faden, der sich immer länger spann.

Die Zahnbürste hatte immer öfter Urlaub, Kleidungsstücken wurde der Zugang zur Waschmaschine verweigert, weil man sie Tag und – wenn möglich – sogar nachts trug, der gesamte Körper wurde bemalt und beschrieben, dass wir stellenweise dachten, unsere Tochter wäre eine Karikatur der Berliner Mauer und obwohl sie immer sehr zugänglich war, wir selten schimpfen mussten, da wir eine sehr offene, tolerante und liebe Tochter haben, waren wir immer öfter gezwungen, ihr klare Anweisungen zu geben, wie sie sich zu pflegen und zu kleiden hat.
Ja, wir ahnten, dass sie in der Pubertät steckt.
Etwas früh, aber eben nicht außergewöhnlich.

Eigentlich warteten wir bereits auf das Meckern und die Diskussionen, doch die blieben aus.

Dafür verströmte unser Kind regelrecht depressiv machende Stimmung.

Es war kurz nach dem Wechsel auf die weiterführende Schule.
Eine große Umstellungen, denn auf der neuen Schule war sie wieder eine der Jüngsten.
Zudem befindet sich die Schule in einer Nachbarstadt, so dass sie nun, zum ersten Mal in ihrem Leben, mit dem Bus hin und zurück fahren musste. Ja, wir machten es uns leicht und schoben es auf diese Veränderungen.

Bis wir dann eines Tages die roten Striemen an ihren Unterarmen bemerkten, die sie zwar zu verstecken versuchte, was ihr aber nicht wirklich gelang.

Wir waren entsetzt, hatten panische Angst um unser Kind.
Ritzen, ein Hilfeschrei der Seele, das wussten wir!

Und wir versuchten alles, um, so behutsam es nur ging, herauszufinden, was in ihr ein solches Chaos anrichtete, dass sie sich zu verstümmeln versuchte, sich so wenig zu lieben schien und alles daran setzte, sich einerseits zu verunstalten, andererseits fast wie ein billiges Lustobjekt zu präsentieren, dass in zu kurzer Kleidung, bunt bemalt, vor den Jungen flanierte.

Einen Freund zu haben, wurde das offensichtlich höchste Ziel und obwohl wir wussten, wie groß ihre Angst noch war, mit einem Jungen körperlich intimer zu werden, jagte sie, wie unter Zwang, der Aufmerksamkeit hinterher, von Jungen als Objekt der körperlichen Begierde, das man einfach erobern könnte, angesehen zu werden.

Beim Ritzen hatte sie ihre Grenzen.
Sie kratzte so lange, dass sich Striemen zeigten, ging aber nie so weit, dass es blutete.

Aber das war egal.
Sie zeigte, dass sie innerlich aufgewühlt und ohne Halt zu sein schien.
Fast ein ganzes Schuljahr versuchten wir, gemeinsam auch mit Lehrern, herauszufinden, was mit unserer Tochter los war.

Einen Kinderpsychologen für eine Therapie zu finden, gestaltete sich als so gut wie unmöglich, da diese entweder zu weit weg waren oder eben völlig überlaufen.

Einige Lehrer belächelten uns.
So sei nun einmal die beginnende Pubertät und mein Mann und ich schüttelten energisch den Kopf.
Nein, SO ist die Pubertät eben nicht einfach!

Es musste Gründe geben und die herauszufinden, lag nun in unserem Aufgabengebiet, denn einfach zusehen, wie das eigene Kind sich schadet, verletzt, regelrecht depressiv wird und dann später sogar davon sprach, vielleicht lieber tot sein zu wollen, ist ein Hilfeschrei.

Immer öfter kontrollierte ich nun auch das Smartphone meiner Tochter und war entsetzt!

Und dann das:

Der Beitrag geht hier weiter… in einem zweiten Teil. 

Eine „neue“ Art der Pubertät? Gastbeitrag von Sylvia Koppermann – Teil 2

Photo by Gleb Lukomets on Unsplash

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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