Nach der Elternzeit will ich auch beruflich etwas anderes! Gastbeitrag von Birk Grüling


In der Elternzeit hat man im besten Fall nicht nur viel Zeit für Babykurse und Treffen mit anderen Müttern und Vätern. Viele Eltern nutzen die Zeit auch für einen Anstoß für berufliche Veränderungen. Aus gutem Grund: Immerhin verändert die Elternschaft unseren Blick auf die Welt.

Achtung Spoiler: Das ist kein Plädoyer für eine Welt voller Coaches oder Yoga-Studios.

Ein Gastbeitrag von Birk Grüling, Autor des Buches „Eltern als Team“*

Elternzeit als Anstoß zu beruflicher Veränderung

Das macht alles noch Sinn? Diese Frage habe ich mir nach den ersten zwei Monaten als Vater oft gestellt, und zwar bezogen auf den Beruf. Sollte ich wirklich lange Tage im Büro verbringen, sollte ich wirklich nach dem nächsten Karriereschritt streben? Oder sind vielleicht ganz andere Dinge wichtig? Zeit mit der Familie, eine Arbeit, die nicht nur das Konto füllt, sondern auch Sinn macht?

Dass wir nach der Geburt unseres Kindes und in Elternzeit unsere Arbeit hinterfragen, ist nichts Ungewöhnliches und hat wenig mit Hirngespinsten und Träumereien zu tun. Immerhin verändert sich unser ganzes Leben durch das Elternsein und damit auch unsere Sicht auf die Welt und unser Wertesystem. Gerade wenn die Elternzeit nicht nur zwei Monate dauert, wirkt sie wie eine Pausentaste für unser altes Leben.

Wir halten inne und haben nun die Gelegenheit, alles genauer zu betrachten.

Vielleicht hatten wir schon vorher Zweifel an unserem Job? War das Marketing mit Mitte Zwanzig noch jung, hipp und kosmopolitisch, sehnen wir uns nun vielleicht nach mehr Sinnhaftigkeit, mehr Nachhaltigkeit, vielleicht einem Job, der die Welt ein Stückchen besser macht.

Immerhin wollen wir unseren Kindern eine lebenswerte Welt hinterlassen.

Ich zum Beispiel wollte früher spätesten mit Mitte 30 Chefredakteur sein, heute kann ich mir nichts besser vorstellen als Text für Kinder zu schreiben und dafür vielleicht nur 30 Stunden am Schreibtisch zu verbringen. Wir geben unser Kind schließlich nicht jeden Tag in die Betreuung, um eine Arbeit zu erledigen, die uns nicht erfüllt oder nicht sinnvoll erscheint.

Natürlich muss nicht jeder Beruf Berufung sein. Für viele von uns ist auch ein Broterwerb völlig in Ordnung, Erfüllung können wir schließlich auch in Hobbys oder der Familie finden. Deshalb gibt es auch ganz unemotionale Gründe, über eine berufliche Neuorientierung nachzudenken – vielleicht lief euer Arbeitsvertrag vor der Elternzeit und dem Mutterschutz aus.

Auch familienunfreundlichere Arbeitsbedingungen können ein guter Grund sein: Viele Mütter und auch Väter wollen (und können) die eigene Karriere nicht mehr mit gleichem Elan verfolgen wie in kinderlosen Tagen. Sie wollen für den Job nicht mehr von A nach B jetten, nicht mehr zwei bis drei Tage pro Woche beim Kunden verbringen. Schon ein Meeting um 16 oder 17 Uhr ist für die meisten Eltern eher ein Ärgernis. Vielleicht sehne ich mich als Pflegekraft oder Kraftfahrer*in endlich nach geregelten Arbeitszeiten ohne Nacht- und Wochenendschichten. Egal ob hoch emotional und sinnsuchend oder rational und aus betrieblichen Gründen, am Anfang der Neuorientierung steht immer eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage:

Wie will ich nach dem Ende der Elternzeit arbeiten?

Dazu muss ich mir selbst ein paar Fragen beantworten:

• Worin liegen meine Stärken und Kompetenzen?
• Welche Erfahrungen bringe ich mit?
• Was motiviert mich und worin liegt meine Leidenschaft?
• Welche Rahmenbedingungen und Unterstützung habe ich? Kann mich mein Partner vielleicht während des Studiums unterstützen? Gibt es genug finanzielle Rücklagen für eine Selbstständigkeit?
• Wo sehe ich mich in Zukunft und was fehlt auf dem Weg dorthin?

Dazu sollte ich mich noch mit ein paar ganz pragmatischen Fragen auseinandersetzen:

Wie viel Geld brauche ich?

• Für unsere täglichen Ausgaben als Familie (Konsum und Anteil an Haushaltsausgaben)
• Für eine finanzielle Rücklage
• Für die eigene Rente

Wie viel Zeit möchte ich arbeiten?

• Wie viel Zeit will ich in meinen Beruf investieren?
• Wie viel Geld verdiene ich in welcher Zeit?
• Wie viele Stunden täglich will und kann ich mein Kind in die Betreuung geben?
• Wie viel Zeit möchte ich für mein Kind und die Familie haben?
• Wie viel Zeit brauche ich für mich?

Wo liegen meine Schwerpunkte?

• Strebe ich eine Karriere an und muss wieder sehr präsent sein?
• Sehe ich mich als Expert*in oder eher als Führungskraft mit Personalverantwortung?
• Geht Familie vor und möchte ich aus diesem Grund beruflich zurückstecken?
• Möchte ich mich beruflich verändern – vielleicht einen sinnhafteren Job machen?

Ganz wichtig: Ich möchte hier kein Plädoyer für mehr Selbstständigkeit oder noch mehr Yoga-Studios halten!

Ziel ist es nicht, Hals über Kopf zu kündigen und alles auf eine Karte zu setzen. Oft sind es schon kleine Schritte, die zu mehr Zufriedenheit führen. Das kann etwas mehr Kundenkontakt sein, vielleicht ein Tag mehr im Homeoffice, vielleicht eine Weiterbildung im Beruf, vielleicht eine neue Abteilung oder eine neue Aufgabe.

An dieser Stelle möchte ich von meinem eigenen Wiedereinstieg erzählen

Spätestens als ich meinen Sohn im Kreissaal zum ersten Mal auf dem Arm hielt, stand für mich fest, dass ich nicht in Vollzeit an meinen Arbeitsplatz in einer PR-Agentur zurückkehren möchte, sondern ein täglich-präsenter Teil seines Lebens sein möchte und zwar von Tag eins an.

Bestärkt wurde dieses Gefühl von dem Tod meines Vaters – kurz vor der Geburt meines Kindes. Er war selbst Freiberufler und arbeitet fast jeden Tag. Er war dabei durchaus ein präsenter Vater und ein Vorbild für mich. Aber bis zuletzt ging die Arbeit vor – auch vor der eigenen Gesundheit.

So versagte sein Herz und er lernte seinen Enkel, auf den er sich so freute, nie kennen.

Dieses für mich einschneidende Erlebnis führt mir bis heute immer eindrucksvoll vor Augen, dass es wirklich Wichtigeres im Leben gibt als die Arbeit – selbst wenn man die wie ich wirklich sehr gerne macht. Doch zurück zu meinem Entschluss nicht mehr jeden Tag für acht Stunden und mehr ins Büro zu fahren. Ich wollte nicht Zaungast des Aufwachsens werden. Also stellte ich nach der Elternzeit gleich den Antrag auf Teilzeit – 20 Stunden in der Agentur, 15 Stunden als freier Journalist – so meine Kalkulation.

Diese Aufteilung war finanziell kein großes Risiko. Potentielle Auftraggeber hatte ich als vergangenen Tagen als Freiberufler noch genug. Gleichzeitig blieb mir mit diesem Modell genug Zeit, um lange Spaziergänge mit dem Kinderwagen zu machen oder auf der Spieldecke mit meinem Kind zu kuscheln. Und zwar nicht nur am Abend und nach Feierabend, sondern eben auch mitten am Tag. Insgesamt fast zweieinhalb Jahre habe ich dieses Modell genutzt – erst bei besagter Agentur, später in der Online-Redaktion einer Familienzeitschrift.

Danach war für mich endgültig der Zeitpunkt gekommen, wieder voll und ganz freiberuflich zu schreiben. Heute arbeite ich knapp 30 Stunden pro Woche. Das lässt mir genug Zeit und Platz für die berufliche Entfaltung und für eine aktive Vaterschaft. Die dafür nötigen „Anpassungen“ waren keineswegs weltbewegend und gravierend.

In diesem Zusammenhang fällt mir das Beispiel eines Vaters aus einer Krabbelgruppe ein.

Der Facharbeiter war bei einem Maschinenbauer im klassischen Schichtbetrieb beschäftigt. Als seine erste Tochter geboren wurde, wollte er ein aktiver Vater sein. Deshalb übernahm er häufiger die Frühschicht und wechselte zusätzlich in den Wareneingang, eine Abteilung ohne Wochenendarbeit. Nun konnte er die meisten Nachmittage und Wochenenden mit der Familie verbringen – und das in einem Betrieb, der keine Familienfreundlichkeitsauszeichnungen gewinnen würde oder viel Wert auf New Work legt.

Gerne dürft ihr auch über Unmögliches und Abseitiges nachdenken und Größeres in Betracht ziehen – eine neue Ausbildung, ein zweites Studium oder ein Quereinstieg in eine andere Branche zum Beispiel. Vielleicht sprecht ihr darüber mit anderen Müttern oder Vätern, die bereits einen ähnlichen Schritt gewagt haben und fragt euch, ob ihr auch bereit dafür wärt. Doch für solche Abwägungen und Ideen braucht ihr ein Ziel vor Augen – und wie das und der Weg dorthin aussehen, ist eine sehr individuelle und hoch emotionale Entscheidung.

Nicht umsonst füllt die Ratgeber-Literatur über berufliche Neuorientierung ganze Buchhandlungen.

Gerade bei einem Neustart ist es wichtig, nicht nur alleine über eure berufliche Zukunft nachzudenken, sondern möglichst früh das Gespräch mit Freunden, Familien und natürlich dem Partner oder der Partnerin suchen. Sie können euch nicht nur ehrliche Rückmeldungen zu euren Ideen geben, sondern ihre Kooperation ist wichtig für die Entscheidung. Im Zweifel muss der andere Elternteil sich über längere Zeit mehr um Kinder und Haushalt kümmern, während ihr Wochenendseminare besucht, oder wird zeitweise Alleinernährer*in.

Um Konfliktpotenzial im Alltag zu reduzieren, sind deshalb von Anfang an Kommunikation und Akzeptanz immens wichtig. Das gilt übrigens nicht nur für die berufliche Neuorientierung, sondern auch für den Wiedereinstieg in den alten Beruf. Wenn beide wieder arbeiten, steigt schließlich auch die Taktung unseres Familienalltags. Beide Elternteile müssen sich mehr einbringen und gleichzeitig bereit sein, Abstriche zu machen – vielleicht bei der Sauberkeit der Wohnung, vielleicht übergangsweise in der Zeit für sich, in der Partnerschaft oder sogar bei den Kindern, möglicherweise auch beruflich.

____

Mehr Tipps zum Thema Vereinbarkeit und gelebte Gleichberechtigung findet ihr im Buch des Bildungsjournalisten Birk Grüling: „Eltern als Team“.*

In dem Buch geht es nicht nur um Arbeitsmodelle und die Arbeitsverteilung im Haushalt, sondern generell darum, wie man sich selbst als Familie definiert und wie dabei die Bedürfnisse aller Familienmitglieder berücksichtigt und erfüllt werden können. Niemand möchte nur Teilzeiteltern sein oder als solche wahrgenommen werden.

Wie das möglich werden kann und welche Voraussetzungen und neuen Werte es dafür braucht, nimmt der Journalist und Papa in den Blick und kombiniert dazu Tipps von Experten und Paaren, die schon heute andere, neue Wege gehen. Als junger Vater gibt er aus der männlichen Perspektive heraus Impulse für eine gerechtere Verteilung der täglichen Herausforderungen, die Familien-, Arbeits- und Paarleben mit sich bringen, damit die Neuorganisation des Alltags gelingt und beide Eltern weiter im Berufsleben stehen können.

Liebe Grüße von

Birk und Béa

* = affiliate link, also Mini-Werbung weil zu Amazon verlinkt, aber sonst fließt kein Geld zwischen Birk / seinem Verlag und mir! 

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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