Schlechtes Gewissen: Zu wenig Zeit fürs Kind, zu viel Zeit für die Karriere


„Hattest du jemals ein schlechtes Gewissen deiner Tochter gegenüber, das Gefühl, zu wenig Zeit für sie zu haben, zu viel in die Karriere zu investieren? Wie bist du damit umgegangen? (Und wie denkt deine Tochter heute darüber?)“

Diese Frage hat mir heute Astrid Binder bei Facebook gestellt. 

Hier sind drei typische „Schlechtes Gewissen“- Situationen aus meinem Leben mit Kind und Karriere – und auch wie ich sie aufgelöst habe

Schlechtes Gewissen 1: „Du darfst beim Stillen nicht für dein Studium lesen!“

Meine Carina war einige Wochen alt, ich versuchte sie zu stillen. Sie war eine langsame Trinkerin, schlief oft an der Brust ein und trank insgesamt kleine Mengen. Bei ihr wurde eine Zyste im Bauch diagnostiziert, der erfahrene Kinderchirurg hatte entscheiden, sie nicht zu operieren: „Dann muss der kleine Spatz halt öfters gefüttert werden!“. Kein Problem, dachte ich mit meinen 21 Jahren, machen wir easy. Ich hatte voller romantischen Bilder von stillenden Müttern im Kopf, wahrscheinlich aus der Werbung… Die dann mit der Realität null übereinstimmten. Das Stillen dauerte, Mademoiselle ließ sich Zeit, nuckelte, es verging Zeit und ich LANGWEILTE mich brutal. Damals hatte nicht jeder jederzeit ein Smartphone in der Hand, aber es gab Bücher. Und ich hatte ein Studium, das ich auch weitermachen wollte.

Also warum nicht die Klassiker der Kommunikation lesen… à la Watzlawick oder Schulz von Thun, die für mein Studium absolute Grundlagen-Literatur darstellten? Ich erinnere mich nur diffus daran, aber ich meine mich zu erinnern, dass ich mir eingeredet hatte, ich würde die Beziehung mit meinem Kind vernachlässigen, wenn ich beim Stillen was anderes tue, als sie verliebt anzuschauen und jeden Schluck und jeden Hicks mit Mutterglück zu quittieren! Ich fühlte mich wie eine Verräterin.

Und dann kam ich auf die Idee: Ich kann die Texte auch laut vorlesen. Das hat zwar an der Trinkgeschwindigkeit meines Babys und aufgenommene Milchmenge nichts geändert, aber ich habe mich besser gefühlt… Ich dachte: „Kleines, jetzt kannst du mit studieren.“ – und fühlte mich besser.

Schlechtes Gewissen 2: „Du darfst dein Kind nicht bei Oma parken fürs Praktikum!“

Später, im Hauptstudium, hatte ich ein Praktikum in Hamburg ergattert, in einer Werbeagentur, die mich ganz besonders interessierte… und das auch noch in den Sommerferien. Meine damalige Schwiegermutter entschied sich, das Kind durfte die ganzen zwei Monate bei ihr sein. Ich habe arg mit meinem schlechten Gewissen gekämpft. Mein Kind war keine zwei Jahre alt, zwei Monate waren ein Zehntel ihres ganzen Lebens! Ich habe das dennoch gemacht und im Nachhinein war es eine gute Entscheidung! Die ich fast jeden Sommer wiederholte, bis Oma sehr krank wurde und starb. Meine Tochter schwärmt immer noch von der wunderschönen Zeit bei der Oma, ihre Rezepte, ihren Garten…

Schlechtes Gewissen 3: „Dienstreisen sind böse!“

Irgendwann war ich mit dem Studium fertig und hatte meinen ersten Job. Mit der Flexibilität meines Unternehmens, was die Gleitzeit anbelangte, ging es wunderbar im Alltag… nur die größeren Probleme tauchten auf, als ich einige Tage, zum Beispiel ins Ausland,  weg musste. Und wollte!

Solange mein Ex-Mann und Papa des Kindes in der gleichen Stadt gewohnt haben, ging das noch. Aber irgendwann zog er in eine andere Stadt. Wir hatten gemeinsames Sorgerecht und mein Kind war oft bei ihm – doch um die Schulzeiten bei mir in Berlin kamen wir nicht mehr drumherum. Also fand ich eine Erziehungsstudentin, die sich grandios mit meiner Tochter verstand und gegen Geld auch einige Nächte bei uns verbrachte. Das war für sie wie eine ältere Schwester… Allerdings zu 100% entspannt und frei von schlechtem Gewissen habe ich es nie geschafft, in die Züge oder Flieger zu steigen.

Und bis heute bin ich nicht sicher: Wäre es nicht doch besser gewesen, weniger für den Job und meine Kunden und mehr für mein Kind da gewesen zu sein?

Und wie sieht es bei euch aus? Wann schlägt bei euch im Zusammenhang mit der Karriere bzw. Erwerbstätigkeit das schlechte Gewissen zu und was flüstert es euch ein?

Liebe Grüße,

Béa

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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