An die kranke Mama, die ihrem Kind ein schlechtes Gewissen macht
Ihr Lieben, dieser Gastbeitrag hat es verdient, ganz gelesen zu werden. Er hat uns per Mail erreicht und geht darum, dass schlechtes Gewissen keine gute Erziehungsmethode ist!
Tollabea Leserin Yolanda schreibt:
Liebes Tollabea-Team,
heute auf dem Spielplatz habe ich eine Beobachtung gemacht, die bei mir ganz starke Gefühle getriggert hat. Eine Mutter hatte es wirklich nicht leicht: Ihr kleiner Junge, ich schätze mal so ca. 4 oder maximal 5 Jahre alt, war etwas grobmotorisch unterwegs: Er raufte sich mit anderen Jungs und als er mal kurz auf der Parkbank ein Snack zu sich nahm, verteilte er einen kompletten Joghurt nicht nur auf seine Klamotten, sondern auch auf den Kinderwagen, in dem noch ein winziges Baby lag. Klar: Neugeborenes plus Energiebündel, oha! Das geht an die Nerven… Und als der Junge auch noch einen Schuh in den Kinderwagen werfen wollte, verlor die Mutter die Nerven. Sie fasste ihren ältesten Sohn etwas unsanft an und zischte:
„Deinetwegen hat Mama jetzt Kopfschmerzen! Was machst du, wenn ich wieder ins Krankenhaus muss?“
Man sollte nicht über eine andere Situation urteilen, ich weiß. Was diese Mutter wahrscheinlich gebraucht hätte, wäre jemand, der sie freundlich angesprochen und ihr was Nettes gesagt hätte. Sie war mit den Nerven durch und das ist menschlich und verständlich.
Aber ich saß da und merkte, dass ganz ungute Emotionen aus meiner Kindheit hochkamen.
Ich hörte die Stimme meiner Mutter:
„Weil du jetzt zu laut warst, habe ich Kopfschmerzen!“
„Du machst mich krank!“
„Deine Geburt war für mein Körper zu viel!“
Meine Mutter hat mich für die Ursache aller ihrer Krankheiten gehalten und mir das vorgehalten.
Als ich klein war, habe ich alles versucht: Leiser sein. Brav sein, Ich wurde das ganz stille Mädchen in der Nachbarschaft… Und trotzdem kam noch: „Von deiner Stimme bekomme ich Ohrenschmerzen!“.
Ich wollte Liebe, ich bekam Vorwürfe.
Als ich etwas älter war, habe ich nach Erklärungen gesucht. Auf die Frage „Warum?“ vor den Latz zu bekommen, dass „der Arzt das so gesagt hat!“, stärkt ja nicht gerade das Selbstbewusstsein. Ich wurde immer leiser, immer in mich gekehrter… und wurde schlechter in der Schule. Na super. Reaktion meiner Mutter: „Deine Schulleistungen machen mich krank!“
Die Erziehungsmethode meiner Mutter war „Schlechtes Gewissen“.
Es tat weh. Ich weiß es noch wie heute, wie mein Herz krampfte… mit jedem neuen Vorwurf. Ich traute mich gar nichts mehr. Naja, was bleibt einem da übrig, als in die Bücherwelt abzutauchen.
Ich wurde eine Bücherratte, schon so rund um die dritte Klasse. Ich las um mein Leben. Ich verschlang Geschichten, Romane, sogar Sachbücher. Alles, was ich finden konnte. Mein Vater war Wissenschaftler und glänzte durch Abwesenheit – und einem riesigen Bibliothek. Mein Refugium.
Wenn man viel liest, bleibt man nicht doof. Bücher bringen einem eine Menge bei. Mit so ca 10-12 Jahren war mir klar, was meine Mutter für eine Masche abzieht. Ich dachte da, dass wenn ich das intellektuell durchschaue, ich fein raus bin. Natürlich war ich das nicht. Ich konnte Paroli bieten und meiner Mutter entgegen schreien, dass sie endlich die Verantwortung für ihre Krankheiten übernehmen muss… aber es tat trotzdem weh. Und ich hatte dann trotzdem ein schlechtes Gewissen, auch wenn ich keines haben wollte.
Deswegen schreibe ich das hier, liebe Mütter.
Wenn ihr krank seid, seid ihr krank und habt Fürsorge verdient. Die könnt ihr euch einfordern. Und selbst ein Fünfjähriger kann eine nette Bitte verstehen: „Mama hat Kopfschmerzen, es tut ihr gut, wenn du etwas leiser bist!“.
Aber bitte aus ganzem Herzen, stellt nicht eure Kinder hin als die URSACHE eures Leidens!
Selbst wenn ihr eine schlimme Geburt hattet… das Kind kann nichts dafür. Glaubt mir, wenn es könnte, würde es alles ändern. Aber kein Kind kann seine Geburt rückgängig machen.
Und kein Kind kommt mit dem Vorwurf zurecht, dass es seine Mama krank macht!
Liebe Grüße,
von Yolanda,
… die jetzt mit einem Psychologen daran arbeitet, die Last der Schuld aus Kindertagen abzubauen,
… und die sich geschworen hat, ihren Kindern nie, nie, nie so ein schlechtes Gewissen zu machen!
und Béa
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