Geschwisterliebe und warum bei uns gerne gerauft wird – Gastbeitrag von Mamirocks über Geschwisterstreit


Ihr Lieben, von Verena von Mamirocks haben wir einen wunderschön geschriebenen Beitrag geschenkt bekommen. Er handelt von Geschwisterliebe, Geschwisterstreit und die täglichen Raufereien: Für euch! Toll zu lesen und zu verstehen. 

Ein ineinander verbissenes Knäuel sich am Boden wälzender Gliedmaßen. Kampfgetümmel – Kriegsgeschrei aus dem Kinderzimmer. Mama versucht ruhig zu bleiben, räumt die Spülmaschine weiter ein. Mama ist alarmiert, versucht sich zu beruhigen: 90 % der Streitereien zwischen Geschwistern sind für die Eltern inszeniert – sagt sie sich vor. Also ruhig bleiben, ignorieren. Nicht doch eingreifen? Der Kleinere kreischt, schreit lautstark nach der Mama. Nicht eingreifen? So liest es sich in unzähligen Ratgebern für Eltern. Leichter geschrieben, als in der Praxis umgesetzt. Nach gefühlt einer Ewigkeit, die sich um wenige Minuten handelt, rast Mutter nach oben, um zu sehen, ob sie den Streit schlichten kann. Wird sie nicht doch gebraucht als Schiedsrichter? Fügen sich die Kinder nicht doch ernsthafte Verletzungen zu beim Raufen? Wird sie nicht geradezu aufgefordert zum Eingreifen? Sie hat doch eine Fürsorgepflicht, der sie nachkommen muss.

Hinschauen und von Fall zu Fall entscheiden!

Als unsere drei Kinder – erst eins, 16 Monate später Zwillinge – gerade den Windeln entwachsen waren, fiel mir das Gelassen bleiben in Streitsituationen richtig schwer. Nur zu oft konnte ich beobachten, wie ein kleiner Dreikäsehoch mit vollem Körpereinsatz auf seinen starken, großen Bruder lossprang. Das Raufen schien und scheint allen Spaß zu machen. Trotz der Kreischlaute, die jedes der Kinder ausstößt, wenn eins kurzfristig in der Klemme steckt.

Warum sonst würde Babybruder sich ständig aufs Neue ins Kampfgetümmel stürzen – freiwillig.

Dennoch hatte ich in der Baby- und Kleinkinderzeit echte Bedenken.

Da half all die vernünftige, besonnene Fachliteratur nichts, die ich in den ersten Jahren mit Kindern geradezu verschlungen habe.

Dennoch: Wenn ich zurückblicke, kann ich mich an keine einzige ernsthafte Verletzung erinnern, die bei einer Rauferei entstanden wäre. Klar gibt es öfters Tränen. Mehr aber sehr selten. Ich denke auch nicht, dass bei uns mehr gerauft und gestritten wird, als anderswo. Ich bin nicht der Meinung, dass man die Kämpfe als Eltern einfach übergehen sollte. Dennoch hilft eine gelassene Haltung diesbezüglich ungemein. Diese besitze ich nicht immer und ich bin dabei, mich in Gelassenheit zu üben!

Weil ich aber auch neugierig bin und mir die Sache mit dem Raufen keine Ruhe gelassen hat, habe ich mich auf die Lauer gelegt. Ich wollte wissen, was wirklich vorgeht im Kinderzimmer, um den Ursachen näher zu kommen. Ich schaute also erst einmal genau hin, bevor ich mich in einen Streit einmischte. Interessant ist es auch, die Kinder beim scherzhaften Gebalge zu beobachten. Oft ist es ja eine Mischung aus Toben, Kuscheln und Herumlümmeln. Ich bemerkte, dass die Kinder sehr wohl aufeinander aufpassen. Und dass sie auch gerne mal vor Freude kreischen. Oder aus Freude am Kreischen – was weiß ich. Und dass es keineswegs immer einer ist, der anfangen würde. Auch ich ertappe mich, dass ich erst einmal den Großen schimpfe: Doch es lohnt sich hinzugucken, bevor man auf gängige Klischees zurückgreift. Denn ältere Kinder sind nicht automatisch schuld! Größere Kinder müssen auch nicht immer vernünftig sein und deshalb nachgeben.

Raufen als Ritual

Ich habe jedenfalls das Kind im Schwitzkasten direkt angesprochen und gefragt: „Ist es dir gerade zu viel? Soll Dein Bruder dich loslassen?“ oder „Bedeutet Dein Geschrei, dass Du aufhören willst zu kämpfen?“ Nicht alles wird von den Kinder auch so empfunden, wie es einem Betrachter von außen erscheint.

Das Geraufe hat etwas von einem Ritual. Jedes Ritual braucht Regeln: Gerade die Regeln machen das Ritual zu einem wieder erkennbaren und wiederkehrenden Element im Alltag. Daher ist es wichtig mit den Kindern Regeln abzusprechen. Dazu gehören erst einmal das Aufstellen von klaren Tabus, was beim Kampf alles nicht erlaubt ist: Beißen, Spucken, Treten, auf den Kopf und in die Weichteile hauen.

Ganz wichtig ist es auch, dass die Kinder lernen: Wenn jemand den Kampf beenden will und dies signalisiert, muss der andere aufhören. Und umgekehrt müssen die Signale erlernt werden. Wie teile ich meinem Gegner mit, dass ich aufhören will. Besser als Kreischen oder nach der Mama heulen ist es etwa laut Stopp, Schluss, Ende oder Aufhören zu rufen.

Sind Streit und Raufereien notwendig?

Gehört das Kämpfen zum Wachsen dazu? Auch heute im Grundschulalter ist Raufen, ob daheim oder am Schulhof, Thema – mal spielerischer mal ernster. Ich bemerke allerdings, dass die Regeln, die wir in der Kleinkinderzeit aufgestellt haben, sich verankert haben in den Köpfen der Kinder. Übrigens stimmt es auch nicht, dass Mädels nicht toben wollen. Es gibt wie unter den Jungs auch welche, die daran große Freude haben und andere, die nicht so gerne Rangeln. Ich kenne einige sehr wilde Pippi Langstrumpfs, die schon mal handgreiflich werden, wenn sie andere Kinder in ihre Schranken weisen wollen.

Aber zurück zu den Geschwistern: Wenn ich an meine eigene Kinderzeit denke, erinnere ich mich wie intensiv und ausgiebig, engagiert und verbissen ich mit meinem nur wenig jüngeren Bruderherz gestritten habe. Meine Mutter war in meiner Erinnerung manchmal mehr als ratlos. Sie konnte nichts an diesen Phasen ändern. Jetzt, wo ich selbst Mutter bin und in ihrer Lage, habe ich gleichsam die Perspektive gewechselt: In meiner Rolle als Mutter MÖCHTE ich etwas ändern. Das schlimmste für mich ist gerade diese Erkenntnis: Du kannst nicht wirklich etwas tun. Aussitzen und aushalten.

Manchmal kann ich aber doch etwas tun! (Bilde ich mir zumindest ein.)

Manchmal stelle ich fest, dass es den Kindern schwer fällt sich zurück zu ziehen. Wenn es an einem Tag sehr viel Streit gibt, schlage ich ihnen einzeln Spiele vor, die sie gerne für sich alleine machen. Da sie in einer aufgeheizten Situation so gut wie nie vernünftig von alleine in ihr Zimmer gehen, um sich ein wenig zu distanzieren, wende ich einen Trick an. Ich gehe selbst in eins der Kinderzimmer und mache ein Hörspiel oder Musik an. Ich hole Stifte, ein Buch, ein Perlenspiel heraus und öffne es. Oft reichen ein paar Minuten, um die Kinder auf andere Gedanken zu bringen.

Das „jeder für sich“ funktioniert oft besser, als mit mehreren Streithanseln gemeinsam etwas zu spielen. Denn dann wird meiner Erfahrung nach gern weiter gestritten.

Und warum MUSS soviel gestritten werden? Vielleicht hilft es ihnen, eine Streitkultur zu entwickeln? Vielleicht lernen sie, ihre Grenzen auszutesten? Kommunikation und Interaktion miteinander wird jedenfalls niemandem in die Wiege gelegt. Es ist ein mühsamer Weg. Auf diesem Weg muss wohl noch viele Male das Spielbrett durchs Zimmer fliegen, denn wer verliert schon gern beim Mensch ärgere dich nicht. Es sind stolze Schritte und lauter kleine Siege auf diesem Weg, sich eine Niederlage einzugestehen oder seine Süßigkeiten zu teilen, sich wieder zu versöhnen und einmal nicht erster sein zu müssen. All das und noch viel mehr lernen Kinder beim Streiten und deshalb ist es wohl ein notwendiges Übel. Mit Regeln wird es sogar ab und zu erträglich – aber nur ab und zu.

Empathie: Was geht in Dir vor?

Einen Absatz möchte ich jetzt noch der Empathie widmen, also der Fähigkeit sich in andere Menschen hinein zu versetzen. Denn diese Fähigkeit möchte ich meinen Kindern vermitteln.

Es gibt Kinder, die sich und ihren Körper selbst nicht richtig spüren. Oder die sich erst dann spüren, wenn sie jemand anderen berühren. Das muss nicht immer kämpferisch sein. Ich habe Kinder kennen gelernt, die ständig versuchen andere Kinder zu umarmen, zu busseln oder einfach nur zu berühren. Diese Kinder haben es nicht leicht und brauchen besonderes Verständnis. Andere Kinder wiederum leiden unter den Übergriffen dieser Kinder. Auch diese Abwehrhaltung darf nicht übergangen werden.

Ich bin kein Psychologe und auch keine Pädagogin, doch ich finde es wichtig miteinander auszukommen. Ich versuche mich in andere Menschen, und eben auch Kinder, hineinzuversetzen. Deswegen rede ich mit meinen Kindern darüber, was in anderen vorgehen könnte. Wir denken nach über die Motivation, die ein Kind hat etwas zu tun. Wir reden auch darüber, dass Kinder vielleicht gar nicht merken, dass sie zu grob sind.

Manche Kinder haben motorische Schwierigkeiten und langen stärker hin als beabsichtigt. Ein leichtes Kind fliegt um, wenn ein „Grobmotoriker“ es eigentlich nur stupsen wollte. Solchen Kindern hilft es, sie immer wieder daran zu erinnern, ihren Gegenüber leicht wie eine Feder zu behandeln! Sie müssen lernen ihre eigene Kraft richtig einschätzen. Das gelingt ihnen mit ein wenig Hilfestellung mit der Zeit spielerisch.

All dies sind Probleme, die im Miteinander in Kindergarten, aber auch auf dem Schulhof täglich vorkommen. Wichtig ist es im Gespräch zu bleiben mit anderen Kindern und Eltern, Lehrerinnen und Erziehern. Auch das Gespräch der Kinder miteinander hilft oft sehr. Die Erwachsenen können den Dialog begleiten und moderieren.

Text von Verena Wagner 

Verena ist Journalistin und Redakteurin, hat 3 Kinder (alle ziemlich gleich alt mit 1 x fast 8 und 2 x 6,5 Jahre alt), den Blog Mami rocks gibt es seit ca. 2 Jahren und der USP ist „Alles außer Windeln und Babybrei!“ oder Thema ist, was Lebensfreude bringt mit oder ohne Kind. Ganz besonders möchte ich euch den Bereich Work/Life in Verenas Blog empfehlen, sie bringt tolle Interviews und inspirierende Erkenntnisse!

Liebe Verena, vielen herzlichen Dank für diesen Text!

Liebe Grüße,

Béa

Und ihr? Was sind eure Erfahrungen mit Geschwisterstreit?

P.S und Update:

Wir empfehlen das wunderbare artgerecht-Buch von Nicola Schmidt – ist inzwischen auf der Spiegel-Bestseller-Liste!!!

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Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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3 Kommentare

Laura
Antworten 9. Mai 2017

Danke für den tollen Text von Verena. Also ich kann von Geschwisterstreit auch ein Liedchen singen. Bei uns gehen Jimmy (6) und Luise (4) regelmäßig aufeinander los. Luise packt sich ebenso oft Brüderchen Oskar (1) und es wird geheult und gebrüllt, was das Zeug hält. Ich habe schon alles probiert, am Ende hilft nur, den Raum zu verlassen und ins innere Auge zu atmen. Ich finde es so schrecklich, wie es wahrscheinlich ganz normal ist. Liebe Grüße von Laura

Verena
Antworten 9. Mai 2017

Danke für das tolle Feedback, Bea und Laura! Und ja, ich finde es auch oft so schrecklich und dann kann ich alles wieder voll gelassen nehmen - ganz nach eigener Verfassung. Mama ist eben nicht immer gut gelaunt, entspannt und ausgeruht! Liebe Grüße, Verena

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