Einzelkind? Gibt’s das noch im Zeitalter der Patchworkfamilien?


„Einzelkind“! Was geht euch als erstes durch den Kopf, wenn ihr das hört oder lest? Eine kurze Recherche über die gängigen Vorurteile zeigt: Von Einsamkeit bis Egoismus, von verzogen bis verantwortungslos ist alles dabei! Nicht immer unbedingt bei den betroffenen Menschen, sondern in der Wahrnehmung anderer und in Studien und Medien.

Allerdings frage ich mich:

Gibt’s im Zeitalter der Patchworkfamilien überhaupt das typische Einzelkind-Schicksal noch?

Ich selbst, Kind der 70er, bin bereits ein Einzelkind mit Geschwistern. Genau. Mein Vater hatte aus erster Ehe bereits Kinder…. die aber altersmässig näher bei meiner Mutter waren als bei mir. Ich bin nicht mit ihnen aufgewachsen, aber im extremsten Moment, als es darauf ankam, gerettet zu werden, zögerten sie nicht. Sie taten alles, um mich aus dem kommunistischen Land, in dem ich aufgewachsen war, rauszuholen. Meine Fluchtgeschichte kennt ihr ja. Gefühlt sind für mich ihre Kinder meine Geschwister, auch wenn ich eigentlich ihre Tante bin.

Aber ja, ich bin als Einzelkind aufgewachsen.

Allerdings umgeben von Freunden: Meine Ma hätte sich mehr Kinder gewünscht, nur hat es leider für sie (und für mich) nicht geklappt… Sie liebte es, meine Freunde und Freundinnen in ihrer Obhut zu haben und mit uns Spaß zu haben! Ich erinnere mich an Übernachtungsgäste fast an jedem Wochenende und an den Status „Urlaubsgeschwister“ für die, die mit uns in die Ferien mitkamen.

Das habe ich für meine Tochter Carina genau so übernommen:

Bereits im Krankenhaus in den ersten Tagen habe ich meine Freundin Anna mit Baby Laura kennengelernt, und kurz nach der Entlassung haben wir uns schon gegenseitig entlastet: Erst nur kurz, mal zum Einkaufen gehen oder in Ruhe tagsüber eine Runde schlafen. Dann auch mal gern tageweise. Als sie fast zwei Jahre alt waren, zeigten die beiden ein typisches Verhalten von Zwillingen. Leider zog die Familie in einer anderen Stadt…. Aber der Kontakt zwischen den beiden brach nicht ab, sie sind bis heute beste Freundinnen.

Carina hatte immer einige Lieblingsmenschen, mit denen sie Tage und Nächte verbrachte – und ich war in einem Netzwerk von Eltern, die das besonders unterstützt und ermöglicht haben. Als leidenschaftliche Köchin und gebürtige Rumänin ist es mir eh‘ ein Vergnügen, wenn ich mehr Menschen am Tisch habe als nur die, die in unserer Wohnung wohnen. Etwas lässt sich immer improvisieren, und sei es Pizza bestellen!

Und den genialsten Move habe ich gemacht, als ich meiner Tochter bereits im Alter von 12 ein großes Doppelbett gekauft habe: Bis zu 3 kleine Übernachtungsgäste liessen sich bei uns unterbringen ohne groß zusätzliche Matratzen auszupacken. Yeah: Familienbett ist cool, aber wer hat schon ein Freundschaftsbett?

Auf der anderen Seite habe ich auch die unglaubliche Flexibilität genossen, die ich als Einzelkindmutter hatte:

Wie unkompliziert meine Tochter sich zeichnend beschäftigen konnte! Und auch gern mit Erwachsenen zusammen war – so dass ich sie überall mitnehmen konnte! Abendeinladungen am Wochenende zu Freunden? Super, sie kam mit, aß mit und schlief auf irgendeinem Sofa ein… wir konnten sie dann easy nach Hause tragen, ausziehen, ihr die Zähne sogar putzen und ins Bett legen. Ohne dass sie aufwachte! Wow. Kann mir nicht vorstellen, dass das mit mehreren Kindern genau so funktioniert.

Oder berufliche Termine mit Übernachtungen: Wie einfach war es, im gleichen Freundeskreis, der öfters bei uns im Freundschaftsbett übernachtete, zu fragen, ob sie dort mal eine Nacht in deren Bett übernachten konnte? Natürlich setzen sich gute Konzepte immer durch.

Insofern sind wir bei der Studie über Einzelkinder, die mich bestätigt:

Die Wissenschaftlerin Ann Layborn von der Universität Glasgow hat in einer Langzeitstudie 400 Einzelkinder mit 2000 Geschwisterkindern verglichen. „Sie konnte keinerlei Unterschiede in Bezug auf Verhaltensbesonderheiten emotionaler und psychischer Art feststellen, wenn Eltern von Anfang an bewusst dem Einzelkindschicksal entgegensteuern.“ – schreibt die Frankfurter Rundschau.

Na bitte. Geht doch. So wie ich!

Und zurück zum Thema Patchwork: Auch Carina hat Halbgeschwister!

Carinas Papa bekam noch weitere drei Kinder nach unserer Scheidung, insofern hat Carina so wie ich weitere Menschen in dieser Welt, mit der sie Familienbande teilt.

Habt ihr auch solche Erfahrungen mit dem Einzelkinddasein oder mit einer Mini-Familie?

Liebe Grüße,

Béa

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

DAS KÖNNTE DIR AUCH GEFALLEN

Was sagt die Wahl unserer Freundschaften über uns selbst aus?
29. Jul 2022
„Du bist ja nur eifersüchtig! Du bist ja neidisch!“ – vom Vorwurf zum Verständnis der Gefühle
18. Jul 2020
10 Gründe, warum es toll ist, ein Geschwisterchen zu haben
22. Nov 2019
Vom Teilen und Teilen müssen
30. Sep 2019
Ich wollte nie das Lieblingskind sein. Und mein Bruder nicht das „andere Kind“ – Gastbeitrag
10. Aug 2019
Warum ich Eifersucht und Neid zwischen Geschwistern normal, wichtig, aber auch äußerst gefährlich finde
22. Jul 2019
Eine Woche nur ein Kind – eine kleine, lustige Analyse
11. Jun 2019
Warum Geschwister einen selbst zu einer besseren Person machen
08. Aug 2018
Der ideale Geschwisterkinderwagen: *Werbung* für Bugaboo Donkey Duo
05. Jul 2018

DAS KÖNNTE DICH AUCH INTERESSIEREN

Werbung

Einen Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem Stern (*) markiert.