Eltern helfen bei den Schulaufgaben der Kinder – Vertrauensbruch oder völlig OK?


Philippe Wampfler ist Lehrer, Fachdidaktiker, Kulturwissenschaftler und Experte für Lernen mit Neuen Medien. Ich folge ihm seit einiger Zeit bei Twitter, und ein TEDx Talk von ihm zum Thema „Befreit von Noten lernen“ hat mich angesprochen, ich verlinke es euch am Ende dieses Beitrags.

Jetzt geht es um:
Eltern helfen bei den Schulaufgaben der Kinder – Vertrauensbruch oder völlig OK?

Eines Tages ist mir diese Tweetfolge aufgefallen:

Zum Thema „Eltern helfen bei den Schulaufgaben der Kinder“ habe ich ihm einige Fragen gestellt und er hat sie mir beantwortet:

Lieber Philippe, was gilt zwischen dir und deinen Schülern als Abmachung zum Vertrauen?
Was ist absolut explizit, was vielleicht eher implizit?

Philippe: Vertrauen braucht für mich keine Abmachung, es entsteht nur, wenn Menschen Vertrauen missbrauchen können. Ich mache einfach deutlich, dass ich bewusst Räume für Vertrauen eröffne – und verwende viel Zeit mit neuen Klassen darauf, ihre Fragen zu besprechen.

Bei Verstößen gegen meine Erwartungen höre ich Klassen bzw. Schüler*innen zu und zeige ihnen, was meine Position ist.

Béa: Mir würde es helfen, mir das vorzustellen, wenn du mir ein konkretes Beispiel erzählst…

Philippe: Ich lasse die Klasse z.B. einen Text zuhause schreiben und erkläre, dass mir bewusst ist, dass sie mit dem Internet oder den Eltern etc. Hilfe beiziehen können, dass ich aber erwarte, dass sie den Text selber schreiben, nicht jemand anderen beiziehen. Wenn dann Passagen aus dem Netz kopiert sind oder stilistisch anders wirken, als die Schüler*innen sonst schreiben, dann spreche ich mit ihnen, sage ihnen, welchen Eindruck ich habe und frage sie, ob das stimmt. Meist erzählen sie mir dann, was sie sich überlegt haben. Vor der ganzen Klasse sage ich dann abstrakt, was passiert ist und was ich erwarte oder festlege.

Béa: …wie siehst du das Thema Eltern-Hilfe bei Hausaufgaben, Klassenarbeiten, Prüfungen?
Was würdest du im System anders definieren?

Philippe: Die Einschätzung hängt stark vom Kontext ab: Was ist erlaubt, was nicht? Warum helfen Eltern? Wie ist diese Hilfe für die Schüler*innen, nützt sie oder schadet sie?

Ideal wäre für mich eine Schule, in der Lernen in der Schule stattfinden kann und keine Prüfungen geschrieben werden.

Béa: Oh, da sprichst du mir aus der Seele! Ich habe eine australische Schule erlebt, die den Kindern erlaubt hat, im Unterricht und sogar bei Tests alles mögliche als Recherche zu nutzen – und sogar rauszutelefonieren bei Bedarf.

Wie findest du den Ansatz?

Philippe:  Ich bin überzeugt, dass Prüfungen immer im Open-Media-Format geschrieben werden sollen.
Auch Zeit sollte nie knapp sein.

Béa: Ja, eigentlich wie wir auch alle arbeiten, oder? Wer ist schon komplett auf sich allein gestellt ohne Verbindung zur Außenwelt oder Wissensquellen? Vielleicht nur Ärzte im OP oder bei Notfällen, wenn sie nur wenige Sekunden haben um zu entscheiden, welche Handgriffe sie machen.

Redest du mit deinen SchülerInnen über den Sinn dessen, was in der Schule als Lernziel gilt?

Philippe: Ja, ich rede ständig über Lernziele und worum es *eigentlich* geht. Wir handeln dann oft auch aus, was eine sinnvolle Bearbeitung einer Aufgabenstellung ist.

Béa:…was wäre eigentlich eine Traumsituation, wie das Schulsystem Elternbeteiligung am Lernen im Idealfall planen könnte?

Schwierige Frage, wahrscheinlich: Zulassen, wertschätzen.
Aber davon ausgehen, dass das nicht alle Eltern können und wollen.

Béa: Auch hier würde ich gern Menschen inspirieren: Hast du ein Beispiel von gelungenem Lernen mit Elternbeteiligung?

Philippe: Bei grösseren Projektarbeiten ist es oft so, dass Eltern Know-How oder Infrastruktur haben, die einer Gruppe weiterhilft. Sie können dann z.B. Töne in einem Studio aufnehmen oder bei jemandem zuhause eine Kamera benutzen und erhalten Tipps von den Eltern. Das weisen sie dann auch aus, sie schreiben das in die Arbeit rein, dass das so lief. Dann kann man sagen: Die Eltern haben Dinge möglich gemacht, welche die Arbeit verbessert hat, Lernen ermöglicht hat. Die Eltern haben nicht gemacht für die Kinder, sondern ihnen etwas gezeigt, das Lernen einer ganzen Gruppe vorangebracht.

Béa: Vielen Dank, lieber Philippe, für deine Gedanken!

Ich bin jetzt gespannt auf eure Ideen und Stories:

Wie seht ihr das mit Eltern-Hilfe in schulischen Sachen? Wann macht ihr das?

Liebe Grüße,

Béa

 

P.S. und hier ist der TEDX Talk von Philippe:

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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1 Kommentare

Thomas
Antworten 8. Januar 2022

Wir arbeiten mit Kindern, die grundlegende Schwierigkeiten in Mathe, beim Lesen oder Schreiben haben. Für diese Kinder ist die elterliche Unterstützung bei den Hausaufgaben manchmal überlebenswichtig: Wie soll ein Kind mit Dyskalkulie ein Arbeitsblatt mit 40 Rechenaufgaben lösen? Unmöglich! Trotzdem bestehen einige Lehrpersonen drauf. Die elterliche Hilfe erspart dem Kind und der Familie stundelange Kämpfe mit den Aufgaben. Diese Hausaufgaben überfordern das Kind maßlos und bringen nichts, da es keine Chance hat, die Aufgaben zu lösen.

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