„Er konnte seine Seele ausschütten.“ – Interview mit @gerechtGericht, Twitterer, Richter und Papa
Immer wieder stelle ich euch Menschen vor, die ich in den sozialen Medien entdecke – meistens bei Twitter – und die ich spannend, interessant und sympathisch finde. In diesem Fall ist das „Judgement Day“ mit dem Twitternamen @gerechtGericht, der hier in unserem kleinen Blog ständiger Lieferant für grandiose Kindermund-Tweets bereits ist.
Ich wollte mehr über ihn erfahren. Deswegen gibt es hier ein Interview mit ihm – und dazwischen habe ich Beispiel-Tweets ausgesucht:
Interview mit „@gerechtGericht“ – Twitterer, Richter und Papa
1. Du bist Richter und Vater. Was magst du in meinem kleinen Bildungsblog noch über dich verraten, was nicht sowieso in den 10. Punkten deines fixierten Threads steht?
Das Wichtigste ist eigentlich gesagt. Vielleicht ist wichtig zu erwähnen, dass ich meine Kinder am liebsten 24/7 kuscheln möchte. Leider kommen Arbeit und Haushalt dazwischen, aber das kennt man ja 🙄
Und hier kommt der Thread:
Da ich seit gestern wieder vermehrt blocken musste, nochmal ein kleiner Hinweis:
1. Ich bin zum Spaß hier.
2. Ich bin ein Richter, glaube an den Rechtsstaat und nicht an Verschwörungen.
3. Ich kann #Nazis, #Querdenker und die #noafd nicht ausstehen.
4. Ich glaube nicht an Gott.— Judgement Day (@gerechtGericht) January 30, 2021
Wenn ich kurz ergänzen dürfte:
7. Sexuelle Orientierung ist Privatsache einer jeden Person. Homophobie kotzt mich an.
8. "Ehe für alle" gefährdet weder Männlein noch Weiblein.
9. Umweltschutz ist essentiell für das Überleben der Menschheit.
10. Wir sollten Tiere gut behandeln.— Judgement Day (@gerechtGericht) January 30, 2021
2. Warum ist dein Profilbild der Schauspieler Henry Gibson?
Es war ganz lustig. Ursprünglich war ich Harvey aus Suits, weil @GstimDienst so auf ihn steht. Sie war die Donna und wir machten Schabernack. Zwischendurch war es Thomas Fischer. Aber ich wollte nicht zu ernst sein und irgendwann machte ein Follower so ein lustiges Bild mit dem Herrn Gibson und ich habe es übernommen.
3. Was ist wichtig für dich als Vater – und was mögen deine Kinder an dir, wenn du die Frage einmal weitergeben magst? Und was wäre dir wichtig für alle Väter?
Als Vater ist es mir wichtig, dass meine Mädchen sich wohlfühlen, dass sie eine gute Erziehung und Bildung genießen können. Aber auch, dass sie in einer besseren Welt aufwachsen können, die nicht von toxischer Männlichkeit durchseucht ist wie derzeit. Ich möchte ihnen ein Vorbild sein.
Bringe die Kinder ins Bett. K2 kuschelt sich ganz feste an mich. Nase an Nase.
Nach einpaar Minuten flüstert sie ganz verträumt: "Papa, kannst Du damit aufhören?"
Ich: "Womit?"
K2: "Zu atmen. Das stört so dolle"
Klar, liebes Kind, eine meiner leichtesten Übungen als Papa 🙄
— Judgement Day (@gerechtGericht) January 3, 2022
Meine Mäuse mögen an mir, dass ich Quatsch mache, ihnen verrückte Geschichten und von meiner Arbeit erzähle und sie kitzle. Am liebsten mögen sie aber das Kuscheln abends beim Geschichtenerzählen.
Endlich ist es ein anderer Vater, der sich vor dem Kita-Fenster für seine Tochter zum Clown-Affen macht!
Ich bin nicht allein 🤩— Judgement Day (@gerechtGericht) November 23, 2021
4. „Ich bin nur zum Spaß hier“ – deine Regel Nr. 1. Was macht dir an Social Media am meisten Spaß? Und was gar nicht?
Der Austausch mit netten, schlauen, lieben und intelligenten Menschen. Und es sind viele. Ich habe in diesem einen Jahr auf Twitter tolle Menschen kennengelernt. Sie bereichern mein Leben mit eigenen Erzählungen, Tipps und Hilfestellungen. Man hat hier immer ein Ohr. Jemanden, der zuhört. Das ist großartig.
Was nervt? Die sog. Querdenker, Nazis und Abschaum, der bei jedem kinderbezogenen Tweet vom Paulanergarten palavert. Ekelhafte Gestalten, die ich meist sofort blocke, um mich nicht zu ärgern.
5. Du gibst manchmal auch (natürlich depersonalisiert) auch mal Einsichten in deine Fälle: Magst du vielleicht einen Fall beschreiben, bei dem du zum Wohle von Kindern etwas Wesentliches ändern konntest?
So auf Anhieb ist es schwierig. Vielleicht dieser hier:
Es ging um einen Jugendlichen, 14, der einfach aufhörte, in die Schule zu gehen und ständig vom Suizid sprach. Er ging nicht zu Ärzten und sprach nicht mit Eltern/Jugendamt.
Ich habe ihn geladen und fand im Rahmen der etwa 45 Minuten, in denen wir sprachen, tatsächlich einen Zugang. Es ging dem Jungen um Liebe und er schien typischerweise zu viele Zweifel zu haben. Da war in meinen Augen ggf. auch Scham bzgl. der etwaigen Bisexualität. Er konnte seine Seele ausschütten. Ich überredete ihn zu einer Gruppe, in der er reden konnte.
Das Jugendamt meldete sich Monate später und erzählte, dass er wieder in der Schule sei und sie Gruppe regelmäßig besucht. Anscheinend ging es ihm wieder gut. Seit zwei Jahren habe ich nun nichts mehr gehört und bilde mir ein, dass ich etwas helfen konnte. Tolles Gefühl.
"Warum darf ich meine Tochter nicht sehen?"
"Tja, Sie haben Ihre Frau vergewaltigt und drohen ihr immer weiter mit weiteren Vergewaltigungen. Das spricht nicht unbedingt für Ihre Umgangsfähigkeit"
"aBEr MEinE gRUndReChtE!!1!elf!"
Ich mag heute echt nicht mehr.
— Judgement Day (@gerechtGericht) September 23, 2021
6. Was sollten Kinder zum Thema „Recht“ bereits in der Schule lernen/erfahren dürfen? Anders gefragt: Wenn du im Bildungssystem etwas verändern könntest, was wäre das?
Kinder sollten mehr über die rechtlichen Grundsätze unseres Grundgesetzes erfahren. Mehr von Gleichheit.
Lehrer sollten da mehr geschult werden, um Kindern das vermitteln zu können. Das ist in meinen Augen nicht minder wichtig als Mathematik.
Ohne Rechtsverständnis kann man unser gesellschaftliches Leben nicht wirklich verstehen.
So wie die Bild dabei versagt, die Gesellschaft und das Recht abzubilden. Wenn Kinder früh genug erfahren, was Freiheit bedeutet, wo sie endet und warum, dann werden sie nicht mehr so anfällig sein für Bild&Co. Dabei muss man nicht mal kompliziert juristisch werden. Man kann solche Grundsätze leicht und anschaulich erklären.
Kinder spielen Playmobil:
K2 und ihre Playmos "holen die Steuern für die Feenkönigin ab".
K1 und ihre Playmos müssen scheinbar zahlen.K1: "Aber wir haben die Steuern doch schon bezahlt!"
K2: "Aber das war schon letztes Jahr 🤷"
K1: "Voll unfair!"
Ich fühle K1 gerade sehr 😅
— Judgement Day (@gerechtGericht) January 1, 2022
7. Was habe ich nicht gefragt, was dir wichtig ist, wenn Eltern und Pädagogen hier dieses Interview lesen?
Eltern sollten möglichst aufhören, ihre Kinder wie ihre Mini-Mes zu behandeln und sie sich selbst entfalten lassen.
Man geht mit einem Beispiel voran und erklärt, warum und wieso man etwas tut. Man gibt den Kindern das Werkzeug, um im Leben als guter Mensch zurechtzukommen.
"Papa, lesen zu können, ist sooo cool 🤩 Ich kann jetzt sogar alle Quizspiele ohne Euch spielen. Ich brauche Mama und Dich bald gar nicht mehr 🤩"
Yay. Bildung und kindliche Ehrlichkeit sind ja sooo toll 🥲
— Judgement Day (@gerechtGericht) December 12, 2021
Den Rest muss man den Kindern überlassen. Gleichzeitig darf man Kindern altersbedingt z.T. viele Entscheidungen nicht überlassen: Kleine Kinder sollten keinen Streit zwischen Eltern schlichten oder austragen. Eltern sollten lernen, zwischen kindgerechten und Erwachsenenthemen zu unterscheiden. Das ist im Zweifel hoch kompliziert, aber mit Hilfe klappt es meist.
Immer, wenn man etwas fürs Leben eines Kindes entscheidet, sollte man sich die Frage stellen: Wie hätte ich es gewollt, wenn meine Eltern es damals zu entscheiden hätten, als ich so alt war? Hätte ich gewollt, dass sie mich involvieren? Ist es ein Thema, das ein Kind überhaupt in der erforderlichen Tiefe überschauen kann?
Wie gesagt, ist es nicht einfach, aber es hilft bei vielen Fragestellungen gut weiter.
8. Gibt es vielleicht einen älteren Tweet von dir, denn du gerne noch mal verbreitet haben möchtest?
Sprecht mir alle nach:
"Ich werde meinem Kind nicht eintrichtern, dass sein anderer Elternteil ein Arschloch ist. Auch dann nicht, wenn ich es selbst glaube. Es geht um das Kindeswohl und nicht um meine egoistischen Befindlichkeiten!"
Und nun Ihr!
— Judgement Day (@gerechtGericht) June 10, 2021
Vielen herzlichen Dank für das Interview und Danke für die Tweets! Ich schätze sie sehr – sie erweitern mein Spektrum an Interessen, ich mag den intelligenten Humor und die Ernsthaftigkeit, wenn es um ernste Dinge geht!
Liebe Grüße
Béa
- 05. Jan 2022
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