Lasst uns Schluss machen mit Bildungs-Shaming – überall, nicht nur in der Schule!
Ich bin ziemlich sicher, fast alle von euch werden Situationen kennen, in denen Bildungs-Shaming (ich nenne die „Ich-sollte-das-wissen-Scham“ mal so) plötzlich in der Luft war.
Zum Beispiel:
Abfrage in der Schule, jemand gibt eine falsche Antwort oder stellt eine Verständnisfrage rund um etwas, was die anderen schon gut beherrschen. Kichern der MitschülerInnen. Lehrkraft tadelt. Augenrollen. Setzen, sechs! Scham macht sich breit, das nächste Mal lieber gar nichts sagen, nicht melden, nicht fragen, nicht auffallen…
Beim Abendessen mit der Familie, jemand spricht über ein aktuelles, vielleicht politisches oder gesellschaftliches Thema. Einer fragt was, hat etwas nicht mitbekommen, will es aber gern wissen. Entsetzen: „Wie, du hast davon gaaaar nichts mitbekommen?“. Der Fragende senkt den Blick, das nächste Mal lieber die Klappe halten.
Einige Spanier lachen sich schlapp über den doofen Italiener, der gesagt hat: „Tengo 30 anos!“ anstelle von „años“ (gesprochen anios)… Da eine heißt Anus, das andere Jahre!!!
Im Job, ein Kollege nutzt irgendwelche Abkürzungen und ihr versteht kaum was. Ihr traut euch nicht zu fragen, weil eine innere Stimme ganz laut sagt: „Wie unprofessionell kannst du sein? Das müsstest du drauf haben!“
Bestimmt fällt euch noch mehr ein. Ich bin überzeugt, egal ob andere das mit uns, mit unseren Kindern machen oder wir selbst, das Ergebnis ist das gleiche:
Derjenige, der nicht Bescheid weiß, schämt sich, dass ihm das Wissen fehlt:
Ich nenne das Bildungs-Shaming.
Und wir wissen vom Bodyshaming… oder von jeglicher Form von Shaming: Nicht hilfreich! Negative Motivation. Zwang. Das Gehirn geht schlecht damit um. Die Freude am Tun und Lernen nimmt ab.
Denn das dem anderen aufzubürden, kommt meistens durch ein Gefühl der Überlegenheit. Jaaa! Ich, wir sind schlauer als ein anderer! Kchrcherch… wir sind smarter, belesener, wir stehen höher.
Aber Moment mal. Vielleicht steckt auch eine gute, schöne Absicht dahinter?
Ja:
Bilde dich!
Mach dich schlau!
Komm weiter!
Deswegen an dieser Stelle ein Appell, diese schöne Absicht genauso so auszudrücken – ohne die Belastung der Scham!
Abfrage in der Schule, jemand gibt eine falsche Antwort oder stellt eine Verständnisfrage rund um etwas, was alle anderen schon gut beherrschen. Die Lehrerin sagt: „Ich begrüße diesen Fehler / diese Frage! Das Thema ist auch kniffelig – und besser schauen wir uns die Sache noch mal an. Wer hat noch Fragen dazu?“. Sie sammelt alle Fragen, teilt die Kinder in Gruppen ein, und diejenigen, die Hilfe und Wiederholung brauchen, bekommen die Zeit, um alles zu verstehen – vielleicht sogar mithilfe derjenigen, die es bereits gut beherrschen.
Beim Abendessen mit der Familie, jemand spricht über ein aktuelles, vielleicht politisches oder gesellschaftliches Thema. Einer fragt was, hat etwas nicht mitbekommen, will es aber gern wissen. Begeisterung: „Oh, das Thema ist spannend! Wenn du das noch nicht mitbekommen hast, erzähle ich dir kurz, was bisher geschah. Und dann bin ich gespannt, was deine Meinung dazu ist.“
Spanier und Italiener spielen zusammen das Spiel „Falsche Freunde“ – mit den größten Verwechselungen aus den zwei Sprachen: Zum Beispiel auf Spanisch ist burro ein Esel, auf italienisch heißt burro einfach Butter!
Im Job, ein Kollege nutzt irgendwelche Abkürzungen und ihr versteht kaum was. Ihr sagt: „Mir ist wichtig, die ganze Frage zu erfassen. Ich weiß nur nicht, was XYZ ist. Wer kann das einmal kurz erklären?“. Und dann meldet sich noch jemand: „Super, wenn wir am Erklären sind, habe auch ich eine Frage….“
Was meint ihr, wäre unsere Welt nicht schöner ohne Bildungs-Schaming?
Fällt euch auch eine Situation ein, die ihr euch anders gewünscht hättet? Vielleicht sogar aus eurer Schulzeit? Oder mit eurem Kind?
Liebe Grüße,
Béa
- 03. Feb 2022
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