Immer noch mit Barbies spielen? Warum steht uns die Scham ständig im Weg?


Scham ist ein ganz präsentes Gefühl, dass wir alle kennen. Jede:r von uns schämt sich für irgendwas, aber wofür ist sie überhaupt gut und wann steht sie uns so sehr im Weg, dass sie unsere Lebensqualität einschränkt?

Erinnert ihr euch noch an meinen einen Post, in dem ich darüber geschrieben habe, dass ich bis ins frühe Jugendalter noch mit Barbies gespielt habe? Damals bin ich nicht im Fokus auf die Scham eingegangen – heute möchte ich das nachholen.

Wir alle schämen uns für irgendetwas. Die Scham sitzt in uns fest, bremst uns vor Dingen, und manchmal tut sie einfach nur weh. Sie ist ein sehr intensives Gefühl, so stark, dass wir sie oft kaum aushalten, und Momente verdrängen, die besonders schambehaftet sind.

Ich trage sehr viel Scham in mir, kann heute aber viel besser mit ihr umgehen, und lasse nicht zu, dass sie mir den Spaß am Leben verdirbt. Früher war das anders.

Scham wegen meiner Barbies

Es ist so: Früher habe ich gern mit meinen Barbies gespielt, hatte ein Haus, ein Auto, sogar ein Flugzeug. Es war das reinste Barbieparadies, und ich habe es geliebt. Nie wurde mir langweilig, denn mir fielen immer wieder neue Abenteuer ein, die wir gemeinsam unternehmen konnten. Glücklicherweise war meine Schwester auch ein Barbiefan, und so verloren wir uns zusammen im Barbietraum.

Interessant ist, dass meine Barbieleidenschaft erst mit 10 so richtig entfacht wurde – genau dann, als ich nach Berlin zog, und alle meine Freund:innen zurückließ. Ich hatte nur noch meine Schwester … und natürlich all die Barbies. Rückblickend würde ich sagen, dass das Spielen mit den Barbies, mich davor wahrte, in eine Jugenddepression zu rutschen, denn Tatsache ist, dass ich nach meinem Umzug nach Berlin sehr, sehr, sehr traurig und einsam war. Das Spielen mit den Barbies rettete mich, und heute sage ich das ganz frei, ohne Scham.

Doch je älter ich wurde, desto verpönter galt das Spielen mit Barbies. Wenn ich meine Eltern zum Geburtstag um eine neue Barbie bat, warfen mir beide ziemlich schiefe „Ernsthaft?“-Blicke zu. Auch meine Onkel, Tanten und Cousinen schauten bei jedem Besuch, in dem ich meine Barbies mitbrachte, etwas stutzig drein. Die Scham wuchs langsam, aber stetig.

Als ich auf die Oberschule kam (ich war schon dreizehn) hatte ich noch immer ein Barbiehaus in meinem Zimmer stehen. Wenn eine Mitschülerin zu Besuch kam, baute ich das Haus entweder ab oder versteckte es hinter einem Tuch. Manchmal sagte ich auch, dass es meiner kleinen Schwester gehöre. Keine Ahnung, ob mir das jemand glaubte, aber irgendwann hatte ich keine Lust mehr, jemanden einzuladen, weil ich die Heimlichtuerei satthatte.

Und während die Scham immer größer wurde, sank meine Lust am Spielen. Es machte einfach keinen Spaß, dazusitzen, und mich permanent dafür zu schämen, dass ich mit Barbies spielte. Und dann war es vorbei. Die Scham hatte gesiegt, und vielleicht auch mein Alter. Irgendwann interessierte ich mich für mehr als nur fürs Spielen mit Barbies.

Heute frage ich mich:

Warum habe ich mich überhaupt geschämt?

Mit Barbies zu spielen ist doch total niedlich, und tut niemandem weh. Warum gilt es als seltsam, als ältere Person mit Barbies zu spielen? Warum etwas aufgeben, wenn es uns glücklich macht? Selbst wenn ich heute noch mit ihnen spielen würde, geht das doch niemanden etwas an …

Das Problem ist nur, dass Menschen, die im Erwachsenenalter mit Spielzeug spielen, als „creepy“ gelten. In den Medien werden sie ständig als gruselige Einzelgänger mit Hornbrille dargestellt. Und das finde ich sehr schade, weil ich so viele erwachsene Menschen kenne, die irgendeine kindliche Eigenheit haben. Ein Kollege von mir liebt zum Beispiel Lego, mein Vater könnte sich nie von seinen Asterix Comics trennen, und ein anderer Freund von mir steht auf Center Shocks, Hubba Bubba-Rollen und allerlei anderen Kram, den man als Kind genascht hat. Das ist doch schön!!

Einige Leute haben irgendwann keine Lust mehr, mit Barbies zu spielen. Das macht sie aber nicht reifer oder in irgendeiner Art und Weise besser als die, die es noch tun. Diese Hierarchie ist nämlich völlig unsinnig und bringt niemandem was, außer denen, die sich deshalb vielleicht kurz überlegen fühlen (und jene Menschen sind am Ende des Tages wohl die kindischsten).

Ist die Scham überhaupt für irgendwas gut?

Ich frage mich, ob Scham überhaupt irgendeine positive Eigenschaft hat, aber wenn ich so darüber nachdenke, dann fallen mir nur Momente ein, in denen sie mich eingeschränkt hat. Sie hat mich davon abgehalten, bestimmte Kleidung oder Frisuren zu tragen – aus Angst, beschämt zu werden. Sie hat mich ebenso Chancen verstreichen lassen, in denen ich meinem Schulschwarm nicht meine Gefühle gestanden habe, weil die Angst vor einem Korb (und die dazugehörige Scham) zu groß war.

Aber was, wenn es überhaupt keine Scham gäbe? Wie anders wäre unser Leben dann? Würden wir uns mehr trauen, zu uns zu stehen? Wären wir ehrlicher mit der Welt? Würden wir besser miteinander kommunizieren, weil die Scham uns nicht im Weg steht?

Ich habe vorhin mal meinen Freund gefragt, und er meinte, dass ein bisschen Scham wohl dafür sorgt, dass wir als Gesellschaft funktionieren (Sonst würden die Leute aufhören, sich zu duschen etc.) Ich finde seinen Gedankengang spannend, weiß aber nicht, ob ich ihm zustimmen würde. Ich bin gespannt auf eure Meinungen!

Und die Scham zu überwinden: Konfrontationstherapie

Ich erinnere mich gern an die Worte meiner Therapeutin, die immer wieder betonte, dass das Gehirn lernfähig sei und wir in der Lage wären, unsere Gedankenmuster umzukoppeln. Dafür sollten wir uns mit dem Hintergrund auseinandersetzen und unser Verhalten umschreiben (das klingt etwas technisch, aber ihr wisst, was ich meine, oder?). Stichwort: Konfrontationstherapie. Scham ist eine starke Emotion, aber je öfter wir uns ihr stellen, desto mehr rauben wir ihr die Macht. Inzwischen gibt es so viele Dinge, für die ich mich heute überhaupt nicht mehr schäme, es zwickt nicht einmal mehr. Die Scham ist verpufft.

Natürlich ist der Weg ganz schön schwer, und gerade als Kind ist es gar nicht so leicht, einfach „drüberzustehen“. Aber solange sich das Kind zu Hause frei von Scham fühlt, hat es immer einen sicheren Rückzugsort, der frei von jeglicher Verurteilung ist. Erziehungsfloskeln wie „Schäm dich!“ können eine ganz starke Auswirkung auf das späte Erwachsenenalter haben.

Buchtipp: about shame von Laura Späth

Falls ihr euch für das Thema Scham interessiert, kann ich euch dieses Buch empfehlen. Ich habe es vor einer Weile gelesen und war im positiven Sinne schockiert, wie schambehaftet unsere Welt ist (vor allem als Frau!)

Habe zu dem Buch auch mal eine Rezension geschrieben!

Gibt es etwas, für das ihr euch schämt? Wann steht euch die Scham im Weg?

Hier ein Beitrag, der sich mit der Frage auseinandersetzt, wie viel Kind wir als Erwachsene sein dürfen:

Wie viel Kind darf ich noch sein, wenn ich erwachsen bin?

Und hier erfahrt ihr, wie die Barbies früher die Konflikte zwischen meiner Schwester und mir gelöst haben!

Die eigenen Barbies tragen den Streit der Geschwister aus?! –Konflikte auf nonverbale Weise lösen

Liebe Grüße
Mounia

Mounia
About me

Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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