Warum wir vor allem Mädchen zu mehr Mut erziehen müssen


Leute, ich will hier keine Gender-Diskussion provozieren. Ich möchte euch die Gedanken einer sehr interessanten Frau ans Herz legen, weil ich sie für extrem wichtig halte. Es geht darum, dass Eltern, Großeltern und Schule mehr Wert auf Mut vor allem bei Mädchen legen sollten.

Reshma Saujani ist eine US-Amerikanische Anwältin und die Gründerin der Organisation Girls Who Code.
Und hier ist ihr Gedanke, den ich für teilenswert halte:

„Den meisten Mädchen wird beigebracht, Risiko und Misserfolge zu vermeiden.

Wir sollen süß lächeln, auf Nummer sicher gehen, nur Einsen schreiben. Jungen hingehen wird beigebracht, ranzugehen, nach den Sternen zu greifen, auf Klettergerüste zu steigen und wagemutig herunterzuspringen. Wenn sie dann erwachsen sind und eine Gehaltserhöhung aushandeln oder jemanden um ein Date bitten wollen, sind sie daran gewöhnt, Risiken einzugehen. Das zahlt sich aus. Im Silicon Valley wird man nicht ernst genommen, wenn man nicht wenigstens zwei gescheiterte Start-ups vorweisen kann.

Anders formuliert: Wir erziehen unsere Mädchen dazu, perfekt zu sein, und unsere Jungen dazu, mutig zu sein.

Viele Menschen sorgen sich um unser Staatsdefizit. Ich sorge mich um unser Mut-Defizit. Unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft verlieren zusehends, weil wir unseren Mädchen nicht beibringen, mutig zu sein. Wegen dieses Mut-Defizits gibt es weniger Frauen in den MINT-Fächern, auf den Chefetagen, im Kongress, eigentlich überall, wohin man schaut.“

Reshma erwähnt eine Studie, die schon einiges her ist… de facto aus der Kindheit der heutigen Eltern: In den 80er Jahren führe die Psychologin Carol Dweck Untersuchungen mit intelligenten Fünftklässlern. Sie gab ihnen Aufgaben, die eigentlich zu schwer für sie waren. Explizit smarte Mädchen mit gemessen hohen IQ  gaben sehr schnell auf. „Je höher der IQ, desto eher gaben sie auf.“ – sagt Reshma in ihrem TED-Talk!  Smarte Jungs hingegen zogen Kraft aus der Herausforderung und verdoppelten ihren Einsatz. Sie gaben sich mehr Mühe – und wenn sie es doch nicht packten, fanden sie das nicht schlimm. Denn sie hatten es wenigstens versucht.

Auch heutzutage gibt es Untersuchungen mit spannenden Ergebnissen.

Auch neuere Studien in den USA und Europa zeigen, dass in der fünften Klasse Mädchen durchschnittlich in jedem Fach besser sind als die Jungen.  Und das auch in Mathe und den Naturwissenschaften! Drauf haben sie es also. Sie gehen nur anders heran an Aufgaben und Fragestellungen.

Und das bleibt bis ins Erwachsenenalter so: Eine HP-Studie hat ergeben, wie sich die Geschlechter bei Stellenanzeigen verhalten. Männer schicken ihre Bewerbung los, wenn glauben, dass sie ungefähr 60 % der nötigen Qualifikationen drauf haben. Frauen trauen sich die Bewerbungsabzuschicken, wenn sie 100% der Stellenbeschreibung erfüllen. „Mit dieser Studie wird gerne begründet, dass Frauen mehr Selbstvertrauen brauchen. Für mich beweist diese Studie eher, dass Frauen sozialisiert wurden, immer und überall perfekt zu sein und übervorsichtig sind.“ sagt Reshma Saujani im TED Talk (Video siehe unten).

Und noch eine Beobachtung macht Reshma in den Coding Schulen, die sie gegründet hat:

Ganz oft vermeiden es die Mädchen, Verständnisfragen zu stellen: „Ich traue mich nicht, mich zu melden. Ich habe Angst, eine Frage zu stellen, weil ich nicht die Einzige sein will, die es nicht verstanden hat. Die Einzige, die Probleme hat.“ Natürlich wissen Schulbetreiber wie ich und ganz viele Pädagogen, dass das auch Jungs betreffen kann, deswegen will ich dieses Blogbeitrag nun auch nicht nur über Mädchen schreiben, sondern insgesamt über unsere Kinder.

Auch ich, Béa, wünsche mir, dass wir Kindern den Wert von Mut anerziehen – und das heißt eigentlich vorleben!

Ich würde gern eigentlich mit euch zusammen sammeln, wie wir unseren Kindern Mut antrainieren und vorleben. Und das fängt für Eltern eigentlich an bei dem, was sie ihren Kindern erlauben und zutrauen.

Kurz noch was: ich bin überzeugt, dass Mut nicht bedeutet, frei von Angst zu sein. Mut bedeutet, sich Ängsten zu stellen und zu überwinden.

Hier einige Beispiele von Mut aus meinem Leben mit Kind, und ich hoffe, ihr habt auch vielleicht solche Beispiele:

1. Auf der Bank sitzen bleiben, wenn mein Kind auf dem Klettergerüst auf dem Spielplatz ganz nach oben will – und wieder runter. Nur eingreifen, wenn ich gerufen werde. Andere Eltern bitten, meinem Kind nicht ungefragt zu „helfen“.

2. Meine fast 3jährige mit dem Kindergarten für ganze 10 Tage auf Kindergartenreise nach Meldorf ins Haus der Kindergarten-Leiterin mitzuschicken – mit der ganzen Schar aus Freunden, mit denen sie aufwuchs.

3. Meinem neuen Lebenspartner nach meiner Scheidung zu erlauben, mit meinem Kind auf ganz hohen Bäumen zu klettern.

4. Dem Wunsch meiner damals 6jährigen nachzugeben, sie Brötchen in der gleichen Straße allein holen zu lassen und das Ganze nur aus dem Fenster zu beobachten

5. Meiner 7jährigen Erstklässlerin zu erlauben, den Schulweg allein zu gehen  – ca. 800 Metern mit einer Straßenüberquerung bei einer Ampel in Berlin Wannsee (gefühlt kleine Ortschaft).

6. Jede Klassenfahrt. Jede verdammte einzelne.

7. Jeden Tag, als sie ab ca. 3. Klasse mit dem Fahrrad einen ca. 1,5 km zur Schule bewältigen musste (inzwischen waren wir etwas weiter weg umgezogen).

8. Meinem Kind den Rücken zu stärken, einem doofen Lehrer die Stirn zu bieten und ihr zu sagen, dass es mir egal ist, welche Note sie dann nach Hause mitbringt.

9. Meine 10jährige mit der 12jährigen Freundin abends allein ohne Babysitter zu lassen. Bis in die Morgenstunden. (Die Parties war übrigens super für alle Beteiligten.)

10. Meine 13jährige allein für 3 Wochen Ferien-Sprachkurs nach Oxford zu schicken.

Ich hätte mehr.

Aber ich wüßte gern: Wann habt ihr euch als Eltern mutig gezeigt? Und liebe Mädcheneltern: Wie schafft ihr es, Mädchen zu mehr Mut zu erziehen?

Wir sammeln zusammen und ich werde die lange Liste im Blog publizieren – versprochen!

Liebe Grüße,

Béa

(Titelbild: Photo by emily reider on Unsplash)

Und hier könnt ihr das ganze TED-Video sehen:

(Zur Sicherheit auch der Link: https://www.ted.com/talks/reshma_saujani_teach_girls_bravery_not_perfection)

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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4 Kommentare

Melanie Krebs
Antworten 5. Dezember 2018

Ich habe keine Ahnung wie ich meiner Tocher Mut "anerziehe". Sie ist von Natur aus schon so frech und wild und wunderbar, als wäre sie einem Astrid Lindgren Roman entsprungen. Unseren Sohn dagegen muss ich immer pushen und ermutigen - er traut sich Vieles nicht zu.

Aber ja, ich fördere und fordere die Kids damit sie zu möglichst Selbstständig werden. Mutig kann man nur sein wenn man selbstständig sein darf.

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