Wenn Überempathie zur Belastung wird: Die Gefahr des „Overthinking“


Empathie ist zweifellos eine wichtige Eigenschaft, die es uns ermöglicht, uns in die Gefühle anderer Menschen hineinzuversetzen und ihre Perspektive zu verstehen. Es kann jedoch ein Punkt erreicht werden, an dem Empathie zu „Überempathie“ wird und das eigene Wohlbefinden und die Fähigkeit, die Realität objektiv zu betrachten, beeinträchtigt.

Empathie

Wer empathisch ist, kann häufig gut mit Menschen umgehen, da er oder sie die Fähigkeit besitzt, aus flüchtigen Gesten oder Blicken die Stimmungen der Person einzuschätzen. Empathische Menschen lässt das außerdem nicht kalt, sie fühlen mit. Außerdem interpretieren sie auch viel.

Denn das ist es doch, was Empathie ausmacht. Wir können keine Gedanken lesen, sondern nur anhand von Gesten, Blicken oder Bemerkungen anderer einschätzen, wie eine Person sich gerade fühlt. Wer besonders feine Antennen hat, spürt die innere Unruhe eines anderen manchmal sogar, wenn die Person es nicht zeigt. Empathische Menschen können ziemlich gut andere Menschen analysieren.

Überempathische Menschen tun das allerdings ein bisschen zu sehr …

Über-interpretieren

Ein Beispiel für Überempathie ist, wenn man in eine Situation gerät, in der man glaubt, dass jemand anders verärgert oder traurig ist, aber keine konkreten Anhaltspunkte dafür hat. In diesem Fall kann es leicht passieren, dass man zu viel in die Situation hineininterpretiert und beginnt, mögliche Gründe für das Verhalten der anderen Person zu suchen, die überhaupt nicht existieren.

Ein Beispiel:

Ein Junge und ein Mädchen treffen sich. Das Mädchen bemerkt, dass er ziemlich erschöpft aussieht und weniger sagt als sonst. Als sie ihn darauf anspricht, behauptet er, dass er nur müde sei, doch das Mädchen ist nicht sicher, geht im Geiste noch mal durch, worüber sie gesprochen haben und fragt sich, ob er vielleicht deshalb so kurz angebunden ist, weil er irgendwie sauer auf sie ist. Schließlich hat er sich einmal ähnlich so verhalten.

Und wenn sie so darüber nachdenkt, hat er sich auch nur widerwillig auf das Treffen eingelassen. Der Impuls kam von ihr, vielleicht wollte er sie ja gar nicht sehen. Bestimmt, weil er sauer ist! Aber warum? Hat sie irgendwas falsch gemacht? Hat sie irgendwas Blödes gesagt, das ihn verletzt hat?

Sie geht noch mal ihre alten Chats durch, sucht nach einem Hinweis, der sein Verhalten erklären könnte, findet aber nichts, zumindest nicht so richtig. Oder doch? Normalerweise schreibt er doch immer mit Smileys, aber heute hat er das nicht getan. Er ist ganz bestimmt sauer! Oder interpretiert sie zu viel rein? Nein, sie kann sich die Stimmung nicht einbilden. Bestimmt hasst er sie! Aber warum bloß???

Overthinking

Overthinking“, auf Deutsch „Überdenken“, bedeutet, dass eine Person zu viel über eine Situation nachdenkt und mögliche Szenarien durchspielt, anstatt sich auf die Realität zu konzentrieren. Dies kann dazu führen, dass sie sich in einer Welt der Vermutungen verliert. Menschen mit Überempathie neigen besonders stark dazu, Dinge zu überdenken und in jede mögliche Geste etwas hineinzuinterpretieren. Aber natürlich kommt das nicht von ungefähr.

Über-verantwortlich für die Gefühle anderer

Menschen, die in einem Haushalt aufgewachsen sind, wo ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle weniger wichtig waren als die anderer, haben schon früh eine hohe Sensibilität und Empathie entwickelt, um die Emotionen anderer zu erkennen und darauf zu reagieren. Doch auch das hat seine Folgen, denn wer überempathisch ist, empfindet nicht nur sehr viel, sondern fühlt sich auch für die Gefühle anderer verantwortlich. Aus diesem Grund nimmt sie das Ganze ja auch so mit.

Empathisch mit allen, nur nicht mit sich selbst

Wer immer nur auf andere achtet, vernachlässigt häufig sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse. Viele überempathische Menschen sind so sehr mit den Gefühlen anderer beschäftigt, dass sie gar nicht wissen, wie sie selbst empfinden. Manchmal sind ihre eigenen Gefühle kaum spürbar, so stark werden sie verdrängt. Kein Wunder, wenn sie bereits voll mit den Gefühlen anderer sind.

Emotionale Überforderung

Und genau aus diesem Grund können Überempathie und Overthinking schwerwiegende Folgen für einen selbst haben. Wer sich ständig um die Gefühle anderer sorgt und übermäßig mitfühlt, überschreitet ständig die eigenen Grenzen, Bedürfnisse und Wünsche. Aber niemand von uns ist eine Maschine. Wir können nicht von uns erwarten, so viel zu geben, ohne irgendwann ausgebrannt zu sein.

Ich weiß, dass es für überempathische Menschen besonders schwer ist, die „Anzeichen“ zu ignorieren, da sie sich, wie bereits erwähnt, häufig verantwortlich für die Gefühle fühlen, und teilweise selbst unter ihnen leiden. Aber es ist trotzdem wichtig, die eigenen Grenzen zu respektieren, denn wir können nur geben, wenn wir die Kapazitäten dazu haben.

Abgesehen davon ist es manchmal sinnvoll, einen Schritt zurückzutreten und das Geschehen objektiv zu betrachten. Wer das nicht tut und zu viel zerdenkt, leidet nicht nur darunter, sondern verliert den Fokus auf die Realität.

Fazit

Empathie ist wichtig, aber es ist ebenso wichtig, eine gewisse Distanz zu wahren und sich auf die Realität zu konzentrieren. Wenn wir uns bemühen, uns in andere Menschen hineinzuversetzen, sollten wir auch bereit sein, unsere Gedanken und Annahmen zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie auf tatsächlichen Fakten basieren. Zudem sollten wir darauf achten, uns selbst nicht zu sehr zu vernachlässigen und unsere eigenen Bedürfnisse und Gefühle nicht zu ignorieren, wenn wir uns um andere kümmern.

Seid ihr überempathisch? Wie fühlt ihr euch dabei? Könnt ihr euch von den Gefühlen anderer gut distanzieren?

Liebe Grüße
Mounia

P.S. von Béa. Ich fand zu diesem Thema einen spannenden Thread auf Twitter – und ich glaube, dass die Grenzen dazu sehr fließend sind. Jemand im „hypervigillant-status“ kann dennoch sehr empathisch sein, und ein aufgeregter Empath kann durchaus auch etwas im emotionalen Strudel geraten. Doch ist es gut, die Unterschiede zu kennen:

 

Mounia
About me

Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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