„Aber du hast doch gesagt!“ – Empathie und das Unterbewusstsein in der Kommunikation
Aus gegebenem Anlass: Diesen Artikel habe ich heute morgen um 6 Uhr geschrieben. Und ich war heute dann in einer Situation, wo ich erkannt habe: Ich bin gerade nicht achtsam genug, um in Konflikten wirklich auf mein Gegenüber einzugehen. Manchmal ist alles, was ich zum Thema Achtsamkeit und Gewaltfreie Kommunikation gelernt habe eben auch für den Popo. Weil alte Muster greifen und ich selbst kraftlos bin.
Meine Defensivmechanismen greifen dann voll durch, ohne dass ich mir dessen bewusst bin. Was sich nicht gut auf die Kommunikation auswirkt: Ich mache dicht und verteidige mich. Besonders dann, wenn ich verzweifelt versuche, mich verständlich zu machen. Mein Empathiegefäß ist leerer als ich dachte. Das muss ich verdauen. Eigentlich möchte ich so nicht mit jemandem kommunizieren. Und nun weiter mit dem Artikel von heute Morgen:
Heute möchte ich wieder mal ein wenig über Kommunikation und Selbstreflexion schreiben. Und über das Unterbewusstsein.
Ganz offen: Ich bin gerade „empathiemüde“ und leer. Hier spielen viele Dinge mit rein, persönlich und gesellschaftlich. Was ich vor allem für mich gelernt habe: Meine Empathie und damit die Fähigkeit, hinter die Worte anderer Menschen zu schauen – hüte ich momentan wie einen Schatz. Ich entscheide ganz bewusst, wer dieses Geschenk von mir bekommt. Und oftmals habe ich keine Kraft mehr dafür.
Empathie ist nichts, was wie durch Zauberhand nachwächst. Wie mit einem Gefäß: Wo abgeschöpft wird, muss auch wieder etwas reinkommen.
Nach der Traumatherapie und als ich die Gewaltfreie Kommunikation für mich entdeckt habe, war ich wie verzaubert: Mitgefühl, wirkliches Verstehen, Selbstreflexion, Empathie! So wichtig in zwischenmenschlichen Beziehungen und in der Kommunikation.
In Konfliktsituationen oder wenn sich etwas nicht gut in mir anfühlt, mir bewusst machen: Wenn jemand etwas sagt oder schreibt, schaue ich erst, was es in mir auslöst. Reflektiere meine Gefühle, schaue, was in mir vorgeht und woher das kommt: aus meiner Vergangenheit, meinen Prägungen und Erfahrungen. Dann schaue ich mit genau der gleichen Empathie hinter die Worte des anderen Menschen. Was spielt sich in ihm ab? Darauf reagiere ich dann. Nicht auf meine Gefühle oder auf die bloßen Worte des Menschen, sondern auf das Dahinter bei uns beiden. Und ja, das kostet Energie.
Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen das eben nicht können. Sie hören oder lesen lediglich die Worte und reagieren dann oft auf sich selbst. Also auf das, was in ihnen ausgelöst wird. Sie halten sich an den Worten fest.
Kennt ihr das?
In der Kommunikation (schriftlich oder mündlich) geht es hoch her, Emotionen kochen hoch und ein Konflikt entsteht. Und dann wiederholen Menschen Wort für Wort das, was ihr gesagt habt oder in schriftlicher Kommunikation wird zitiert.
Ihr versucht zu erklären, wie ihr es gemeint habt und benutzt andere Worte dafür.
Von der anderen Seite kommt dann: „Aber vorhin hast du gesagt!“ Und dann werden die Worte genau wiederholt.
So oder so ähnlich: Der Fokus liegt komplett auf den Worten.
Auch in Social Media Kommentaren fällt mir das immer wieder auf.
Empathische Vermutungen, mich in den anderen hineinversetzen: Möchtest du xy damit sagen? Fühlst du vielleicht xy? Brauchst du xy? Statt auf Sätzen zu beharren, die ausgesprochen oder geschrieben wurden.
Worte sind ein Mittel, um mich verständlich zu machen. Sie sind nicht der Inhalt der Botschaft. Die Botschaft ist: „So fühle ich mich gerade! Das brauche ich! Das geht in mir vor!“ Nicht immer ist das so einfach zu erklären. Besonders dann nicht, wenn die Gefühle aufgewühlt sind oder ich mir selbst noch nicht ganz klar bin.
Wo dann nur Worte aufeinandertreffen, ohne Empathie: Das kann schnell nach hinten losgehen.
Hilfreicher statt „Erkläre mir das so, dass ich es verstehe!“ wäre eben gleichzeitig: „Ich versuche zu erkunden, was in dir vorgeht.“
Das schreibe ich jetzt besonders für diejenigen, denen beim Lesen durch den Kopf geht: Wenn der andere will, dass ich ihn verstehe, soll er sich auch so ausdrücken. Kommunikation ist keine Einbahnstraße.
Übrigens, Mimik und Gestik spielen eine große Rolle. In schriftlicher Kommunikation oder am Telefon fehlt das.
Nach wie vor führe ich wichtige Gespräche am liebsten von Angesicht zu Angesicht, wenn das möglich ist.
Zurück zu den Worten: Die Fähigkeit zur Selbstreflexion, das Wissen darum, was in mir ausgelöst wird und Empathie. Das sind für mich Schlüssel einer wertvollen Kommunikation.
Jetzt möchte ich euch einen Artikel der Psychotherapeutin Dunja Voos ans Herz legen: Zu den Schwierigkeiten in der Kommunikation aus psychoanalytischer Sicht. Den fand ich unheimlich spannend und habe wieder etwas für mich mitgenommen. Sie beschreibt aus analytischer Sicht, wie eine „gute“ Kommunikation funktioniert. Und eben auch, warum es manchmal nicht gelingt. Passend zu meinem heutigen Artikel hat mich diese Passage besonders angesprochen. Nicht als Schuldzuweisung an andere Menschen, ich kenne das auch von mir. Das Unterbewusstsein ist eben doch stark. Wenn ich nicht reflektiert genug bin oder unachtsam dann:
„Oder der andere nimmt das, was ich ihm gebe und „dreht mir die Worte im Mund herum“. Der andere fällt vielleicht über mein Gesagtes her wie ein hungriger Wolf über seine Beute. Das ist dann so etwas wie ein „parasitäres Containment“: Der andere versucht, Nutzen von dem zu haben, was ich ihm gebe. Er will Macht darüber haben und es kontrollieren. So wird „echter Kontakt“ nicht möglich.“
„Macht darüber“ klingt sicher für einige befremdlich. Da können jede Menge Ängste und eigene Hilflosigkeit dahinter stecken. Was auch immer es ist: Es macht Kommunikation und die Verbindung halten in dem Moment schwer bis unmöglich.
Hier habe ich viel Empathie reingebuttert, wenn ich das bei anderen Menschen bemerkt habe. Manchmal konnte ich die Verbindung finden. Manchmal jedoch, wenn dieser Defensivmechanismus zu stark ist, fühlt sich das an, wie mit dem Kopf gegen eine Mauer zu rennen. Das kostet enorme Kraft. Die ich nicht mehr bereit bin, zu investieren.
Auch wenn das jetzt hart klingt: Ich investiere derzeit Empathie da, wo ich sie bekomme. Oder wo ich die Bereitschaft dazu fühle.
„Kommunikation ist nie einfach. Oft müssen wir uns fragen: Was inszenieren wir? Warum trotzen wir und zeigen wir Widerstand? Vor welchen Gefühlen haben wir Angst? Welche Phantasien haben wir vom Gegenüber? Wie sehen unsere „inneren Objekte“ aus und wie kommunizieren wir mit ihnen? “ schreibt Dunja Voos.
Wenn ihr also mehr darüber wissen möchtet, wie sehr das Unterbewusstsein die Kommunikation steuert: Unbedingt den Artikel lesen! Denn sonst wiederholt sich:
Das größte Problem in der Kommunikation ist die Illusion, sie hätte stattgefunden.
George Bernard Shaw
Mein Fazit:
Wenn immer mehr Menschen reflektieren, bereit und fähig, sind hinter Worte zu schauen: Würden sich wohl auch immer mehr Menschen authentisch und verletzlich zeigen. Sichere Kommunikation, in der wir uns wohlfühlen, auch wenn es mal knallt: Gesehen werden, mit all unseren Gefühlen und Bedürfnissen. Das ist so wichtig.
Ich gebe gerne zu: Das war und ist ein hartes Stück Arbeit. In der Therapie habe ich viel Wissen erlangt. Gelingen tut es auch nicht jedes Mal. Es heißt ja nicht umsonst: Unterbewusstsein.
Was ist Projektion? Wann projiziere ich meinen Kram auf andere? Was ist Übertragung und Gegenübertragung?
(Manche verwenden Übertragung und Projektion auch synonym.)
Wann nehme ich mir etwas von dem anderen an? Ich wünschte mir, das würden alle Menschen schon in der Schule lernen. Wieder mal plädiere ich für einen Grundkurs: Wie funktioniert meine Psyche? Das Unterbewusstsein spielt so eine enorm große Rolle. Und viele Menschen kennen das Ausmaß nicht oder achten bei sich darauf.
Jetzt erst mal heißt es für mich: Innerlich auftanken. Vielleicht finde ich irgendwann wieder die Kraft dafür, mehr Empathie aufzubringen. Denn eins habe ich auch erfahren: Das anderen Menschen nahe zu bringen, wenn sie den Zauber der wirklichen Empathie spüren können, verändert sich manchmal etwas in ihnen. Und sie geben es wieder weiter und so weiter …
mindfulsun
PS: Manchmal genügen Worte auch nicht, um etwas auszudrücken. Dann wird es vielleicht eine lange, innige Umarmung. Eine, in der stumm mehr rübergebracht wird, als tausend Worte zu sagen.
- 24. Sep 2022
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- Empathie, Hinter den Worten schauen, Kommunikation, Projektion