Deflektion – Strategie der Ablenkung zum Schutz des eigenen Ego


Deflektion – Ablenkung: Kennt ihr das? Ihr möchtet einem Menschen mitteilen, dass ihr verletzt seid. Und zack: Wird das Ganze umgedreht. „Aber du hast ja…“, „Du bist zu sensibel…“, „Nicht meine Schuld!“, „Das liegt bei dir!“, „Vor zwei Wochen hast du aber auch…“ usw. usw.

PS von Béa bevor ihr loslegt: Wer den Beitrag mit der Originalstimme von mindfulsun lieber hört als liest, hier ist er als Podcast / Blogcast!

Der Fokus wird verschoben und das Thema, worüber ihr sprechen wolltet, rückt ins Abseits.
Das kann Deflektion sein:

Ablenkung oder Umleitung auf andere. Ich habe ja schon über Projektion geschrieben, einem unbewussten Abwehrmechanismus der Psyche. Bei der Projektion werden eigene unliebsame Emotionen, Wünsche, Ängste  abgewehrt und eben auf andere projiziert. Ich erkenne das in mir selbst nicht (ohne Selbstreflexion).

Wie gesagt: unbewusster Abwehrmechanismus.

Deflektion Schutz des eigenen Ego Mensch mit Schutzschild

Die Deflektion ist ein bewusster Akt. Allerdings ist mir selbst manchmal das Motiv hinter der Deflektion (zum Beispiel Angst oder Scham) in diesen Momenten nicht bewusst. Da ich keine Psychologin bin, habe ich hierzu meinen Therapeuten befragt:

Die Deflektion ist eher ein Muster oder eine Strategie und könnte auch als Externalisierung beschrieben werden.
Meine Schuldgefühle zum Beispiel bewusst auf andere Menschen übertragen, weil es für mich zu unangenehm ist: „Du bist zu sensibel!“

Bevor ich jetzt weiter in die Theorie gehe, mal zur Praxis. Denn Deflektion ist etwas, was auch Kinder schon tun:

Stellt euch vor, ihr kommt ins Wohnzimmer und seht eure beiden Kinder. Der Boden und die Wände leuchten in frisch gemalten Mustern. Ein Kind hält den Pinsel in der Hand und ist gerade dabei, das Werk zu vollenden. Hände und Gesicht sind mit Farbe verschmiert. Das andere Kind sitzt sauber auf dem Sofa und schaut fasziniert zu.
„Ich war es nicht!“ Fingerzeig auf das Kind auf dem Sofa: „Er / sie war es!“
(Anmerkung: Auch wenn vielleicht beide Kinder beteiligt waren, wird der eigene Anteil nicht eingestanden.)
Auch: „Der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen!“, wäre eine Deflektion. Ablenken vom Selbst.
Euch fallen bestimmt noch andere Beispiele ein.

Ich war als Kind eine Meisterin der Ablenkung, besonders als meine Schwester noch nicht sprechen konnte.

Und hier komme ich gleich zur Ursache in mir: Ich hatte Angst. Ich hatte Angst vor Strafen und den Reaktionen meiner Eltern. Und mit Strafen meine ich auch Schläge. Liebe gab es zu Hause fürs Funktionieren. Also wollte ich auch die Liebe nicht verlieren. Ich habe nicht wirklich gelernt, gesund mit Schuldgefühlen umzugehen. Schuld und Scham sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Besonders wenn ich mich geschämt habe, habe ich abgelenkt. Mit dem Finger auf andere zeigen: Alle nur nicht ich! Weil das eben verdammt unangenehm war.

Ein weiteres Beispiel von Deflektion:

Im Job bekommt jemand eine Aufgabe und kann sie nicht fristgerecht beenden:
„Ich habe das viel zu spät vom Kollegen bekommen!“ „Ich musste zu lange auf eine Antwort aus einer anderen Abteilung warten!“

Nicht den Anteil der Verantwortung übernehmen! Das ist Deflektion.

Und nun komme ich zum wichtigsten Teil für mich: Deflektion in Konflikten zwischenmenschlicher Beziehungen:

Auf Deutsch habe ich leider nicht so viel zur Recherche gefunden. Dafür auf Englisch:

„The healthiest and most mature reaction we can have when confronted with our own mistakes is to stop, think about the situation, and apologise. However, this can be a difficult and uncomfortable thing to do, which is why we often end up shifting the blame away from ourselves. In psychology, this is called deflection, and it’s one of the most common defence mechanisms.“

Wenn mir jemand sagt, er ist verletzt, fühlt sich das nicht gerade angenehm für mich an. Oft spüre ich schon, wie mein innerer Schutzschild hochfährt. Heute kann ich das stoppen. Ich höre zu, reflektiere, kann mein Bedauern ausdrücken und achtsamer für mein Verhalten sein.

Wenn ich zu jemandem mit einem festen Deflektionsmuster sage, dass ich verletzt bin, kann sich das manchmal sofort anfühlen wie ein Konflikt. Da fühle ich keine Empathie, kein auf mich zugehen.

Ablenkung wie ein Laserstrahl: Ich stehe plötzlich im Fokus.

Mein Verhalten auch gerne etwas aus der Vergangenheit. Meine Gefühle werden nicht anerkannt, stattdessen stehen die Gefühle des anderen im Vordergrund. Manchmal wird auch das Thema vollkommen gewechselt und jeder Versuch, wieder auf meinen Punkt zurückzukommen, scheitert. Der bildliche Vergleich für mich ist stets: Ich versuche einen Pudding an die Wand zu nageln. Vergeblich.

Was für mich nicht mehr harmlos ist, wenn es um Deflektion geht:

Wenn die Ablenkung nicht funktioniert oder die ausgelösten Schuld- / Schamgefühle zu groß werden: aggressiv oder passiv-aggressiv zu reagieren. Auch wenn ich weiß, der andere schützt jetzt quasi sein Selbstwertgefühl oder fühlt sich bedroht von der Aussage, wie ich mich fühle: Toleriere ich solches Verhalten nicht mehr.

Ich habe jede Menge Empathie dafür, wo Muster herkommen und welche Bedürfnisse dahinterstecken. Menschen, die sich emotional nicht regulieren können und in ihrem ablenkenden Verhalten passiv-aggressiv oder aggressiv reagieren, überschreiten bei mir eine Grenze.

Manchmal, wenn die Ablenkung nicht ausreicht, kann dies Hand in Hand mit Vermeidung gehen. Dann wird das Gespräch beendet oder sogar die ganze zwischenmenschliche Beziehung. „Schuld“ ist natürlich der, der etwas angesprochen hat. Die andere Seite der Medaille: Mit einem Menschen, der keine Verantwortung übernehmen möchte –  wo die innere Verbindung miteinander wieder und wieder abreißt, sobald es zu Konflikten kommt –  oder Konflikte komplett vermieden werden: Eine gesunde zwischenmenschliche Beziehung ist hier nicht möglich, wenn nicht daran gearbeitet wird.

Was nun?

  • Wenn ich erlebe, dass jemand dieses Muster hat, versuche ich empathisch zu sein und geduldig.
  • In „Ich-Botschaften“ kommunizieren ohne Schuldzuweisungen
  • „Ich möchte jetzt mit dir über das andere Thema sprechen.“, wenn abgelenkt wird.
  • Meinen eigenen Anteil übernehmen.
  • Nicht auf die Ablenkung eingehen aus einem „Harmoniebedürfnis“ heraus. Dieses Muster führt dann dazu, dass sich das Ganze wieder und wieder wiederholt.

Bei meinen Kindern ist es mir wichtig vorzuleben: Fehler gehören zum Leben dazu! Verletzungen gehören zum Leben dazu! Konflikte sind Teil des Lebens!

Lernen mit unangenehmen Gefühlen umzugehen ist mir wichtig und vor allem eins: Das Verhalten von der Person trennen.

Nicht: „Du bist böse oder schlecht, weil du xy getan oder gesagt hast.“ Verhalten ansprechen, ohne den Menschen zu verteufeln. Sonst werden später vielleicht daraus Erwachsene die ablenken, wenn jemand ihr Verhalten anspricht. „Ich möchte einfach kein schlechter Mensch sein!“ Weil sie es womöglich so verinnerlicht haben.

Konsequenzen statt Strafen! Und vor allem: Lasst uns über Verantwortung sprechen, statt über Schuld.

Für Menschen, die oft deflektieren und die vielleicht sogar bemerken, wie sie ihren Beziehungen schaden und / oder sich selbst:

Selbstreflexion ist ein erster, wichtiger Schritt. Nicht sofort den Fokus auf andere richten. Ich habe gelernt, mit unangenehmen Gefühlen besser umzugehen: Vor allem mit Scham. Ich kann alle meine Seiten annehmen. Jeder Mensch macht Fehler und jeder Mensch verletzt andere, auch Menschen, die er liebt. (Wahrscheinlich besonders oft diese Menschen). Wie wir danach miteinander umgehen, ist auch wichtig.

Weg vom „Ich bin schuld. Du bist schuld.“ Denken.

Es geht um Verantwortung für das eigene Verhalten. Und darum, dass ich dazu beitragen möchte, dass es anderen gut geht. Auch wenn mir das nicht immer gelingt.

Schaut darauf, woher dieses Muster bei euch kommt. Aus der Kindheit? Wie bei mir?
Und vor allem: Mut, in den Spiegel zu schauen und eine große Portion Selbstmitgefühl. Ja, ich habe damit selbst auch anderen weh getan und Beziehungen in den Sand gesetzt. Ich habe mir selbst die Möglichkeit genommen, mich weiterzuentwickeln.

Zum Abschluss mögliche Anzeichen, dass jemand deflektiert:

– Gespräche über Gefühle oder jegliche Kritik wird umgekehrt: „Deine Schuld!“ „Das liegt bei dir!“
– Keine Übernahme der Verantwortung für das eigene Handeln und die Konsequenzen auf andere Menschen: „So bin ich eben!“ „Du bist zu sensibel!“
– Konflikte werden vermieden oder es wird der Fokus von sich selbst abgelenkt.
– Du hinterfragst dich selbst in Konfliktgesprächen mit diesem Menschen und am Ende weißt du überhaupt nicht mehr, warum du das Gespräch überhaupt begonnen hast oder schämst dich sogar.

Beispiele für Deflektion zum Schutz des eigenen Ego

Mir ist sehr wichtig: Ich verurteile hier niemanden! Menschen, die das Muster der Deflektion in sich tragen, haben es aus bestimmten Gründen entwickelt.

Es sitzt tief und ist ja auch eine Strategie, um sich selbst zu schützen: Den eigenen Selbstwert, das eigene Selbstbild. Es aufzulösen, ist ein Prozess. Dieser Prozess beginnt damit, dass sich Menschen dessen bewusst werden und an sich arbeiten. Vielleicht auch mit therapeutischer Hilfe.
Für mich ist das „Gegenmittel“ der Deflektion eben die Reflexion. Statt Ablenkung und vermeintlicher Selbstschutz: Verletzlichkeit zulassen.

Ich wiederhole gerne: Wir sind alle nicht perfekt! Wir alle haben eine helle und eine dunkle Seite. Wir alle machen Fehler und wir alle werden Menschen verletzen. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Und was nach den Verletzungen passiert. Es geht nicht um Schuldzweisungen, sondern um Verantwortung. Und ein Miteinander, in dem jeder seinen Anteil übernehmen kann.

mindfulsun

 

mindfulsun
About me

Mensch, Mama zweier Jungs, die versucht ihre Werte zu leben und die innere Balance zu halten. Ich schreibe über Achtsamkeit, vegane Ernährung, Nachhaltigkeit und verbindende Kommunikation von Herzen. Was ich mir wünsche? Einander mit mehr Mitgefühl und Empathie zu begegnen, überall auf der Welt.

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