Verteidigungshaltung in der Kommunikation – Ich doch nicht!


Dieser Beitrag ist mit einem tiefen Blick in den Spiegel geschrieben. Ja, Selbstreflexion ist für mich dann effektiv, wenn es sich nicht gut anfühlt. Der Blick in den Spiegel ist manchmal erschreckend und mir gefällt nicht, was ich da sehe. Hier ist es dann mir, mir mit Selbstmitgefühl zu begegnen. Und dann an mir zu arbeiten.

Dazu gehört auch das Thema: Verteidigungshaltung in Kommunikationen (mündlich oder schriftlich), in denen in mir Gefühle von: Scham, Schuld, Wut, Angst oder Selbstzweifeln entstehen. Was dann passierte? Ich habe ausgeteilt und war unfähig, auf den anderen Menschen einzugehen.

Das Gegenteil von der Verteidigungshaltung in der Kommunikation ist nicht Austeilen.

Es ist:

Offenheit, Vertrauen, Empathie, Respekt, Wertschätzung, Neugier und noch so einiges mehr.

“I think you’ll find people to be less threatening if you hear what they’re needing rather than what they’re thinking about you”

„Ich denke, du wirst Menschen viel weniger bedrohlich finden, wenn du hörst, was sie brauchen, statt was sie über dich denken.“  Marshall B. Rosenberg

Dieses Zitat ist aus dem Buch: Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens

In zwischenmenschlichen Beziehungen kommt es zu Reibungen und Konflikten: Ob das nun im Job, in der Familie, in Freundschaften oder Partnerschaften ist.

Und die meisten von uns sind so aufgewachsen: Kritik üben! Ich kritisiere mein Gegenüber für das, was dieser Mensch gesagt oder getan hat. Und das oftmals in einer Art und Weise, die voll mit Schuldzuweisungen, Verurteilungen, Anklagen ist. Ich nehme mich hier nicht aus.

Genauso haben viele von uns dann für sich als Reflex angenommen: Ich muss mich verteidigen!

Und obwohl dieser Reflex der Verteidigung ein Schutzmechanismus ist: Wenn mir jemand sagt, wie er sich fühlt und was er denkt: Ist Verteidigung nicht verbindend. Und auch nicht nötig. Was ich damit meine? Wenn Menschen mit mir kommunizieren, versuche jetzt ich auf das dahinter zu hören.

Was fühlt dieser Mensch, was bewegt ihn, was braucht er?
Ich höre oder lese seine Worte UND gehe da mit viel Empathie ran.

Ich habe gelernt: Was ich unter Kritik verstanden habe, ist ein Ausdruck von Bedürfnissen und Gefühlen. Dieser Mensch versucht, sich mir verständlich zu machen. Was ich als Angriff empfunden habe, ist keiner.

Was noch Gründe für defensives Verhalten in der Kommunikation sein können?

Angst vor Veränderungen (auch und gerade in mir selbst), Vermeidung von unangenehmen Gefühlen, Angst vor Eskalation des Konfliktes, Schwierigkeiten mit Selbstreflexion, Erfahrungen aus der Vergangenheit, keine Verantwortung für den eigenen Anteil übernehmen wollen, die Stimme meines eigenen inneren Kritikers, mich nicht emotional stabilisieren können, keine Pause zwischen Reiz und Reaktion setzen können.

Und wenn ich schreibe: Nicht können – ist das leider etwas, was viele von uns eben nicht wirklich gelernt haben.

„Das ist nicht meine Schuld!“
„Das liegt bei dir!“
„Aber du hast …!“

Kennt ihr? Sofort Hände hoch und zum Gegenangriff. Halali! (Hier gerne mental ein Jagdhornsignal einfügen)

Kurzer Einschub: Ich habe mir schon lange abgewöhnt, „aber“ zu sagen. Und ganz oft kommt mir diese Aussage von Marshall B. Rosenberg dazu in den Kopf. Es ist ein Wortspiel im Englischen, das in der deutschen Übersetzung keinen Sinn macht: but bedeutet aber. Butt bedeutet Hintern.

„Never put your butt in the face of an angry person.“

In der Therapie habe ich gelernt, mein(en) „butt“ in keiner Kommunikation in das Gesicht von irgendwem zu halten.

„Ich verstehe dich ABER…“
Bämm: Eskalation. Es ist ein UND!
„Ich verstehe dich UND…“

Ausführlich habe ich hier dazu geschrieben. Was ganz wichtig ist: Die Haltung dahinter.
Einfach nur ein „aber“ gegen ein „und“ auszutauschen, bringt es leider nicht.

Zurück zur Verteidigungshaltung.

Wenn ich etwas höre und lese, sofort innerlich in die Verteidigung gehe, sich in meinem Kopf Rechtfertigungen bilden, in meinem Körper unangenehme Gefühle ausbreiten: Höre und lese ich nicht wirklich, was mir der andere Mensch da sagt oder schreibt. Ich bin mit mir beschäftigt! Und ich reagiere eher auf das, was sich in meinem Kopf jetzt als Gedanken formt. Die Geschichte, die ich mir erzähle. Ich bin unfähig, wirklich auf das einzugehen, was der andere Mensch mir da kommuniziert hat. Ich lese oder höre etwas in die Worte hinein.
Das passiert alles meistens unbewusst.

Wenn ich mit Empathie zuhöre, dann schaue ich auch auf die Gefühle und Bedürfnisse des anderen.

Sobald ich in der Verteidigungshaltung stecke, gelingt mir das nicht. Wenn ich aus dieser Verteidigungshaltung dann zurück kommuniziere, ist die Verbindung verloren. Weil ich kommuniziere nicht mit dem anderen. Ich reagiere auf mich selbst. Ich lehne vielleicht mein Gegenüber und den Inhalt seiner Nachricht ab. Der andere Mensch spürt das, ihm fehlt dann womöglich mein Verständnis, die Empathie, das gehört werden, das respektvolle aufeinander eingehen und wird vielleicht selbst defensiv. Und dann haben wir einen destruktiven Kreislauf. Kommunikation nicht mehr möglich. Wenn sich das zwischen zwei Menschen dauerhaft wiederholt, wird auch die Beziehung leiden oder irgendwann zerbrechen.

Wenn ich jetzt an dieser Stelle Gefühle schreibe, wie:

Ich bin enttäuscht, entsetzt, traurig, verärgert, erschüttert, empört, fassungslos, peinlich berührt, verzweifelt, bedrückt, resigniert, genervt, gereizt…

Wenn ich diese Gefühle also von jemandem in einer Nachricht an mich höre oder lese: Dann fühlt sich das erst mal nicht so gut an. Auch in Ich-Botschaften ausgedrückt, kann das passieren. In mir wird etwas Unangenehmes ausgelöst.

Was ich gelernt habe: Wenn mir jemand seine Gefühle mitteilt, ist das ein Geschenk an mich.
Eine Bitte, sein Leben zu bereichern.

Wenn mir jemand mitteilt, wie er sich mit etwas fühlt, was ich gesagt oder getan habe: Ist das kein Angriff auf meine Person. Ich brauche mich nicht zu verteidigen.

Was sich hier vielleicht in mir abspielt: Ich schäme mich. Ich fühle mich schuldig. Ich möchte nicht für die Gefühle eines anderen Menschen verantwortlich sein. Und dann kommt vielleicht das aus mir rausgesprudelt:

„Liegt bei dir!“

Das ist meine innere Verteidigung. In mir spielt sich etwas ab. Ich habe nicht wirklich gehört, was der andere Mensch da zu mir gesagt hat.

„Ich bin nicht schuld!“ Das ist meine Abwehrreaktion.

Weil viele von uns so geprägt sind: schwarz-weiß, falsch-richtig, gut-schlecht, Schuld, Scham.

Ich mag auch das Wort Kompromisse nicht: Es ist möglich, die Bedürfnisse aller gleichwertig zu erfüllen! Ohne, dass jemand irgendwas aufgeben oder nachgeben muss. Darüber schreibe ich einen extra Artikel. Ich weiß, das ist vielleicht erst mal für einige womöglich befremdlich oder neu. Und doch ist es bahnbrechend. 🙂

Denn auch das spielt für mich bei mancher Verteidigungsreaktion eine Rolle: Die Angst, etwas aufzugeben! 
In meiner Verteidigungshaltung reagiere ich dann womöglich genau auf meine Angst: Die Angst meine Autonomie zu verlieren!

Perspektivenwechsel war hier für mich:

Aus einer inneren Haltung des Respektes, der Wertschätzung und der Verbindung heraus kann ich empathisch zuhören. Hier ist es allerdings auch verdammt wichtig, meinen Auto-Piloten auszuschalten, mir bewusst werden, wie ich reagiere und was sich in mir abspielt.

Zur Praxis:

Wenn ich also merke, ich gehe in eine Verteidigungshaltung, kann ich mir als Erstes klarmachen:

Was spielt sich in mir ab?

Welche Gefühle habe ich in meinem Körper, wenn ich etwas höre oder lese, was sich für mich unangenehm anfühlt? Hier kann ich mir bewusst machen: Das ist gerade in mir! Hier braucht es meine Aufmerksamkeit, und zwar bevor ich antworte. Tiefes Atmen nicht vergessen! 🙂

Liste erstellen von Dingen, auf die ich reagiere – Selbstfürsorge

An meiner Verteidigungshaltung zu arbeiten, ist für mich zur Selbstfürsorge geworden. Ich habe mir angewöhnt,  Dinge aufgeschrieben, auf die ich besonders stark reagiere. Und dann in der Selbstreflexion erforscht: Warum ist das so? Wenn ich also verärgert auf etwas reagiere (Gefühl im Körper), verbinde ich mich mit meinem Bedürfnis: z. B. eben mein Bedürfnis nach Autonomie.
Gleichzeitig kann ich auf der Liste auch aufschreiben: Als die Person xy zu mir sagte, welches Bedürfnis wurde in dem Moment bei dem anderen Menschen nicht erfüllt?
So konnte ich mich selbst besser kennenlernen, gleichzeitig mehr auf die anderen achten und bin nicht mehr automatisch in alte Muster verfallen.
Und ja, das ist ein langer Prozess! An dem sitze ich nach wie vor und es gelingt mir nicht jedes Mal.

Indem ich hinter die Worte schaue, auch bei Dingen, die sich für mich wie Kritik anfühlen: Wenn ich mich mit den Bedürfnissen dahinter verbinde, brauche ich keine Mauer der Verteidigung und der Rechtfertigungen. Ich kann darauf eingehen.

Selbstmitgefühl!

Ganz besonders in Situationen, wenn jemand vielleicht hilflos und verzweifelt Worte wählt, die in mir eine Verletzung auslösen und ich mich dann verteidigen möchte: Klar fühlt sich das nicht so gut an. Mich erst um mich selbst kümmern, Selbstmitgefühl. Nicht zurückschießen, sondern mir mit Empathie und Selbstmitgefühl begegnen. Dann erst in die Kommunikation gehen!

Nachfragen, statt interpretieren!

Wenn ich also merke, ich gehe in eine Verteidigung / Ablehnung kann ich auch nachfragen: Habe ich das richtig verstanden? Empathie und Verständnis füreinander!

Der andere Mensch ist nicht mein Feind! (Hier setze ich im Kopf bewusst meine Giraffenohren auf)

Selbstschutzmechanismen sind dafür da, mich zu schützen. Und dann sehe ich den anderen als Angreifer.
Diesen Moment in mir zu erwischen: Der andere ist nicht mein Feind! Der ist für mich sehr, sehr wichtig geworden.
Das ist etwas, was sich unbewusst abspielt.

Freundschaften, Partnerschaften, Familien, KollegInnen: Es ist ein Miteinander!
Für mich schwierige Nachrichten sind etwas, was mir die Möglichkeit gibt, an mir zu arbeiten und zur jeweiligen Beziehung beizutragen.

Selbstreflexion, Achtsamkeit, Gewaltfreie Kommunikation helfen mir, daran zu arbeiten.
Es klingt leichter, als es ist. Die Muster sitzen tief. Und ich musste auch die andere Seite für mich lernen:

„Wir können noch so liebevoll, rücksichtsvoll und respektvoll mit jemandem kommunizieren: Auf welchen Boden das beim Gegenüber fällt, können wir nicht beeinflussen.“ Das ist etwas, was mir mein Therapeut mitgegeben hat.

Ich kann meinen Teil beitragen und so kommunizieren, dass die Verteidigungshaltung überhaupt nicht beim anderen entsteht. Letztendlich liegt es bei der Person selbst. Hier ist es an jedem selbst herauszufinden: Worauf reagiere ich hier wirklich? Was spielt sich in mir ab?

Manchmal ist das nicht möglich, unser inneres System ist überlastet.

Bevor ich allerdings Beziehungen gefährde, kann ich das genauso kommunizieren: „Ich sehe, du bist verletzt. Ich kann gerade nicht darauf eingehen, weil ich zu sehr mit mir beschäftigt bin. Ich komme in ein paar Tagen auf dich zu. Ist das ok für dich?“
Das ist eine Möglichkeit.

Authentizität, Verletzlichkeit, Offenheit, Respekt und Empathie anstatt: Mauern, Verteidigung, Gegenangriff – so wachse ich selbst und so wachsen meine Beziehungen. Verteidigung entfernt mich davon.

Falls meine Worte bei jemandem eine Verteidigungshaltung ausgelöst haben:
Ich lade euch ein, in euch zu schauen. Was regt sich in mir? Was verteidige ich gerade in diesem Moment?
Und ich freue mich darauf, mit euch in einen Austausch zu gehen. 🙂

mindfulsun

PS: Ausführlicher zum „dahinter“ und zur Empathie in der Kommunikation habe ich vor zwei Jahren auf meinem eigenen Blog geschrieben.

 

mindfulsun
About me

Mensch, Mama zweier Jungs, die versucht ihre Werte zu leben und die innere Balance zu halten. Ich schreibe über Achtsamkeit, vegane Ernährung, Nachhaltigkeit und verbindende Kommunikation von Herzen. Was ich mir wünsche? Einander mit mehr Mitgefühl und Empathie zu begegnen, überall auf der Welt.

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