Die Kraft der Erstbegegnungen und die Gefahr von Schubladendenken


Heute möchte ich mit euch etwas teilen, was für mir ganz besonders wertvoll in menschlichen Beziehungen ist. Und was mir als Mutter ganz außerordentlich geholfen hat, mit den Lehrkräften meines Kindes ein gutes Miteinander aufzubauen. Oder als Mitgründerin einer Kette von Privatschulen mit allen involvierten Menschen umzugehen.

Erlaubt mir eine Frage vorab:

Ist es euch schon mal passiert, dass ihr einen Menschen in eine bestimmte Schublade innerlich gesteckt habt (typisch Ami, typisch Alleinerziehende, typisch XXX) und ihr hinterher gemerkt habt, dass ihr komplett falsch mit dieser Einschätzung gelegen habt?

Ich habe bei Twitter gefragt und sehr viele konnten sich augenblicklich an solches erinnern: Ob es die Kommilitionin in der Klasse mit starkem Dialekt, die sich später als „eloquent und klug“ erweist oder…

Kennt ihr aber auch das Andere, dass ihr jemanden begegnet seid und irgendwann später Mühe hattet, euch überhaupt zu erinnern, dass diese Begegnung überhaupt stattgefunden hat? Dass ihr plötzlich merkt, dass die ganze Zeit ein spannender Mensch da war, den ihr noch nicht wahrgenommen habt? Wie lassen sich diese Extreme vermeiden. Ich möchte mit euch eine besondere Form der Achtsamkeit teilen:

Die Kraft der Erstbegegnungen

Die Idee stammt ursprünglich von einem Freund von mir, der Arzt ist. Er arbeitet in einem großen Krankenhaus, und ist sehr gefragt und beliebt, weil er nicht nur nur ein Meister seines Fachgebietes ist. Er ist auch einer der wenigen Meister seines Fachgebietes, die den ganzen Menschen – holistisch sozusagen – im Blick haben. Dass er das schafft, hat mit viel Expertise und jahrelanger Erfahrung zu tun. Und mit einer sehr bewussten, gesteigerten Aufmerksamkeit beim ersten Mal, wenn er einem Menschen begegnet.

Er sagt, dass er bei diesem ersten Erfassen versucht, auf die Ausstrahlung des Menschen zu achten und dabei ihm auch Fachliches gleichzeitig auffällt… eine bestimmte Körperhaltung, eine Art zu schauen, die Gestik und Mimik. Er bewertet das nicht rational, sondern – und an dieser Stelle entschuldigt sich fast der gestandene Wissenschaftler, dass es möglicherweise „esoterisch klingt“ – er lässt dabei seiner Intuition freien Lauf.

Ich habe die Kraft der Erstbegegnungen für mich adoptiert und mache das sehr bewusst.

Na gut. Wenn ich daran denke.

Und ich denke immer öfter daran.

Denn diese ersten Augenblicke, wenn ich einen Menschen kennenlerne, sind wertvoll.

Der Spruch „there is no second chance for a first impression“ trifft in diesem Fall auch zu.

Nur, dass ich mir keinen Kopf mache, welchen Eindruck ich hinterlasse. Sondern ausschließlich meine Aufmerksamkeit auf mein Gegenüber voll fokussiere. Ich erfasse alles, was ich sehen kann – versuche aber, dahinter zu sehen. Ich versuche nicht zu bewerten im Sinne von „schön-hässlich“. Ich öffne meine Intuition für alles, was diesen Menschen ausmacht. Ich nehme WAHR.

Als ich am Anfang das ausprobiert habe, war ich sehr mit Bewerten und Interpretieren beschäftigt. Siehe oben.

Da ich eine Berufsoptimistin bin, habe ich zunächst das so betrieben, wie in dem Spiel, was Steph und ich in unserem Buch „Gemeinsam schlau statt einsam büffeln“ vorschlagen.

Das ist hilfreich: Denn einen positiven Blick zu haben statt der Frage nachzugehen „was könnte hier nicht stimmen?“ kann beiden involvierten Menschen gut tun. Und dennoch: Unsere Kolumnistin mindfulsun hat sich viel Mühe gegeben, mir und uns allen das Thema Gewaltfreie Kommunikation (GfK) hier näher zu bringen. Von ihr habe ich erfahren, dass in dieser Lebensphilosophie Bewertungen jeglicher Art uns im Weg stehen können, eine wahre Verbindung zu den Menschen zu erschaffen. Sie hat mir den Unterschied erklärt zwischen „Beobachtungen“ und „Bewertungen“. Ein wenig davon hat sie bereits hier verraten mit dem Beitrag über Bewertungen und wie wir sie auflösen können.

So habe ich mich darauf besonnen, bei den ersten Begegnungen einfach nur zu beobachten. Den Menschen, der mir gegenüber ist, einfach nur wahrzunehmen, wie eine Kamera. Wie wenn ich mir ein inneres Video machen könnte an dem ich mich immer erinnern könnte. Ich sehe. Punkt. Ich halte fest. Für später. Für meine Intuition. Ohne rationale Schlüsse und vor allem, ohne diese Menschen in vorgefertigte Schulbaden zu stecken, nach dem Motto: „Typisch XXX“. Dieses XXX kann ja für alles stehen: Reich, arm, Hippie, Amerikaner, POC, Emanze, Alleinerziehender Vater, Transgender, Unternehmensberaterin, Pflegekraft, Müslifresser… wie eingangs erwähnt.

Was hilft das, werdet ihr jetzt fragen? Die Antwort ist kurz:

Mir hilft das, den Moment der Begegnung mit einem menschlichen Wesen mit all seiner Vielfalt und Schönheit als etwas Besonderes und besonders Bereicherndes festzuhalten. Der Anfang einer möglicherweise guten Beziehung.

Dem anderen Menschen mache ich vielleicht das Geschenk des Gesehenwerdens. Wenn ich ihm Offenheit entgegenbringe, lade ich ihn ein, sich auch zu öffnen. Und auch mich wahrzunehmen.

Und dann kann der Austausch stattfinden. Hoffentlich frei von Vorurteilen und Schubladendenken.

Was meint ihr? Ist für euch diese „Kraft der Erstbegegnungen“ eine mögliche Inspiration?

Liebe Grüße,

Béa

 

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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