Wie Kinder lernen, selbstständig zu denken – ein Zwiegespräch über Extinction Rebellion zwischen Yvonne und Béa


Die Grundsätze dieser Diskussion: Wie Kinder lernen, selbstständig zu denken

Yvonne: Was seht ihr als das Wichtigste in der Erziehung eurer Kinder? Für mich ist es, die Kids zu selbstständig denkenden Individuen zu erziehen, die sich differenzierte Meinungen über Themen bilden können.

Ich möchte keine Kinder erziehen, die blind Parolen nachgrölen oder ferngesteuert mitlaufen. Ich möchte Kinder, die laut werden, wenn sie Unrecht erkennen. Kinder, die für ihre Ideale einstehen. Das müssen nicht meine eigenen sein, darüber können wir jederzeit liebend gern diskutieren. Und ja – das tun wir! Aber sie sollen jederzeit Argumente aufzählen können, die sie für glaubwürdig halten.

Béa: Für mich ist das auch ein Bildungsziel. Ich setzte mich schon bevor ich Schulgründerin wurde dafür ein, dass Kinder vor allem lernen zu denken, zu recherchieren, zu hinterfragen. Ein Schulsystem, das kein gehorsames Lernen vorgefertigter Lösungswege abverlangt, sondern das die Neugier der Kinder fördert. Und ihnen eigenständiges Denken abverlangt.

Und von meiner Tochter erwarte ich, dass sie sogar meine Regeln in Frage stellt und mich herausfordert. Mit Argumenten.

Das Thema heute und Beispiel: XR

Yvonne: Meine Große ging in der Vergangenheit mit unserer Erlaubnis zu FfF-Demonstrationen.

Das Thema Klimaschutz ist bei meinen – oder vielen älteren – Kindern ein tägliches Thema. Nicht selten werde ich ermahnt. Nicht selten ermahnen wir Eltern aber auch. Momentan hält sich das Verhalten der Eltern und der Kinder in unserem Haushalt die Waage. Wir alle lernen zur Zeit, uns umzustellen: hier und dort wirksame Kleinigkeiten zu ändern.
Komplett radikale Veränderung will niemand von uns.

Oder doch? Gerade in den vergangenen Tagen häufen sich die Aktionen von Extinction Rebellion. In den vergangenen Tagen wurden wichtige Straßenkreuzungen Berlins blockiert, der Öffentliche Nahverkehr wurde an diesen Stellen für Tage unterbrochen. Und ich wurde hellhörig. Habe hier gelesen, habe da gelesen – was verbirgt sich hinter den momentan in Berlin überall zu findenden Zeichen?

Für mich als Mutter wirft diese weltweite, 2015 gegründete Gruppierung ein gewisses Fragezeichen auf. Sie ist mir persönlich z.B. zu radikal. Parolen wie „Beyond Politics“ – mehr Bürgerversammlungen, „Act Now“ – NettoNull der TreibhausgasEmission oder Taten wie Verkehrsblockaden, Flashmobs in Innenstädten – das alles unter dem Vorsatz, nur mit zivilem Ungehorsam in Erscheinung zu treten – verwirren mich. Und was ich von Extinction Rebellion mitbekomme, fühlt sich für mich auch verschwörerisch an. Das Symbol soll nach meinen Recherchen die Erde und eine Sanduhr symbolisieren, dass die Zeit für die Erde abläuft…

Béa: Längst habe ich erkannt, dass Angst- und Panikmache ein sehr polemisches Politik-Instrument ist. Psychologen haben in Studien nachgewiesen, dass negative Motivation – sprich Verlustangst – stärkere Anreize setzt, sich in Bewegung zu setzen als eine Belohnung oder eine positive Erwartung…

Ich finde es wichtig und richtig, dass die jungen Menschen und Greta sich Gehör verschaffen. Dass Millionen von Menschen den Willen zur Rettung unseres Planeten bekunden und die Notwendigkeit von Maßnahmen dagegen – inklusive ein Lebensstil-Wandel. Und jetzt kein Aber. Ich habe ein UND.

UND ich bin für Kreativität, für Innovation, für Bildung. Radikalität und die Haltung „wer eine andere Meinung hat, ist gegen uns und gehört bekämpft“ sehe ich als sehr problematisch an.

Yvonne: Nun gibt es auch Stimmen, die sagen, dass nur Radikalität diese eine Erde am Leben hält. Wir die erste UND letzte Generation sind, die die Zukunft der Erde beeinflussen.

Aber durch Blockaden? Durch zivilen Ungehorsam? Und wieder steht da die Frage vor meinen Augen: Was will diese Gruppierung?

Dazu möchte ich weder Panik verbreiten, noch hetzen. Sondern das Gegenteil davon: Als Mutter spreche ich mit meinen beiden großen Kindern (9 und 12 Jahre) über meine Bedenken, auch dieser Gruppierung gegenüber. Wir diskutierten, ob das ein Weg wäre. Einig sind wir uns, dass etwas getan werden muss. Dass viel mehr getan werden muss. Aber was sind die richtigen und wichtigen Wege?

Hier in Berlin ist das Zeichen von XR überall gegenwärtig. Aufkleber an Rutschen auf dem Spielplatz (siehe Titelbild), die stilisierte Sanduhr auf dem Boden – ständig fallen sie ins Auge. Kinder sind schnell zu mobilisieren. Kinder glauben schnell, wenn ihnen etwas plausibel erscheint. Unsere Aufgabe ist es aber auch unsere Kinder vor zu schnellem Glauben zu schützen.

Béa: Genau. Hier gilt es, unsere Kinder auch dafür zu sensibilisieren. Ihnen beim Recherchieren und Reflektieren zu helfen.

Zum Beispiel können wir uns mit dem Mechanismus der Proteste beschäftigen:

„Die Logik dahinter ist simpel und von entsprechender Wucht. Die wissenschaftliche Tatsache der fortschreitenden Vernichtung unserer Lebensgrundlagen wird begriffen als das absolut Böse. Im Umkehrschluss steht, wer sich radikal gegen diese Entwicklung stemmt, auf der Seite des absolut Guten. So einfach ist das. Und so ausweglos.“

Oder wir können überlegen, ob es auch möglich wäre, eine positive Wende herbei zu führen. Mich hat ganz besonders eine britische Forscherin überzeugt: z.B. könnt ihr hier in einem wunderbar verständlichem British English Dr. Emily Shuckburgh, Director Research an der University of Cambridge, wie sie die unternehmerische Innovationskultur befürwortet, um die Klimakatastrophe abzuwenden – ab Minute 11:10:

https://www.bbc.co.uk/sounds/play/w3csy7k7

Und wir können unseren Kindern auch zeigen, dass auch wir bereit sind, nicht auf vorgefertigten Meinungen aus unseren geistigen Schubladen zu greifen, sondern bereit, mit ihnen zusammen mit-zu-denken. Co-Learning sozusagen.

Daher auch die Frage an euch – und keine vorgefertigte Antworten: Wer von euch ist bereit, sich mit den Kindern auf Recherchen zu begeben und in einem offenen Diskurs zu stehen? Und wer hat Kinder, die dazu mit euch bereit sind?

Wie lernen eure Kinder, selbständig zu denken?

Alles Liebe,

Eure Yvonne und eure Béa

Yvonne Petzke
About me

Berliner Mom of 3 * zert. PersonalTrainer * Laufcoach * Beckenbodenkursleiter (M/W) * * noch mehr Sport-/ BewegungsThemen und Persönliches über mich und mein Leben auch als UltraLäuferin findet ihr auf Instagram unter @yvonnepetzke

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