„Finger weg von meiner Spülmaschine!“ Umgang mit anderen Gastkulturen


Es ist immer wieder spannend zu beobachten, wie unterschiedlich die Gastkulturen je nach Ort sind. In diesem Beitrag soll es um den Umgang mit den verschiedenen Manieren und Gepflogenheiten gehen – die sich manchmal ganz schön stark von den eigenen unterschieden.

Vermutlich könnte man über das Thema Gastkulturen etliche Dissertationen verfassen. Um das einzugrenzen, bleibe ich bei einem Beispiel. Ein zweiwöchiger Besuch bei der Familie – den einen bei meiner Familie aus Marokko, und den anderen bei der Familie meines Freundes in Bayern.

Umgang mit anderen Gastkulturen

In Marokko …

… wird der Gast so behandelt wie ein König. Er muss sich nicht einmal ankündigen, aber sobald er durch die Tür schreitet,  wird er mit einem Erfrischungsgetränk begrüßt (bei uns war das immer ein frisch gepresster Orangensaft, der manchmal auch auf die Schnelle gepresst wird). Die Sachen werden abgelegt, und man wird in einen Raum geführt, in dem einen nicht nur ein kleiner Snack, sondern ein ganzer Tisch voller Essen erwartet.

Jedes Mal denke ich mir: All die Mühe! Come on, Leute, so besonders sind wir nun auch nicht …

In Deutschland …

… ist die Gastkutlur etwas bodenständiger. Im Regelfall wird der Besuch angekündigt, die Wohnung wird geputzt, eine Kleinigkeit vorbereitet, und dann gibt es ebenfalls ein nettes Beisammensein. Der Gast muss auch hier nichts tun, aber er bekommt trotzdem keinen royalen Status.

Das ist das erste Aufeinandertreffen. Aber wie geht es weiter?

In Marokko …

… bekommt der Gast weiterhin eine Extrawurst, dafür wird er immer weniger wie ein Gast behandelt. Wir sind schließlich eine Familie, kein Grund, da braucht es den ganzen Schnickschnack nicht. Schon bald biete ich meine Hilfe an, gehe mit zum Einkaufen, decke den Tisch, unterstütze bei Kleinigkeiten. Von mir aus sauge ich auch gern durch den Raum – wenn ich das möchte, wird es mir nicht verwehrt. Und um ehrlich zu sein, mag ich es so viel lieber. Ich kann nicht die ganze Zeit still sitzen, wenn alle um mich herum arbeiten, als wären sie meine Diener. Lieber bin ich ein Teil von allem, das stärkt auch das Band der Familie.

In Deutschland …

… bin und bleibe ich Gast. Ich kann natürlich nicht für alle sprechen, aber dort verliere ich meinen Status nicht. Wenn ich frage, ob ich helfen kann, wird abgelehnt. Eine Runde staubsaugen? Nein. Geld fürs Essen dazugeben? Nein. Das Geschirr in die Spülmaschine räumen? Ja, nicht einmal das wird mir gestattet.

Mein Freund findet es super. Seine Mama macht alles und er kann auf der faulen Haut liegen. Ich hingegen fühle mich mit jedem Tag unbehaglicher, weil ich nicht einfach zusehen kann, während die Mama alles tut. Ständig frage ich, ob ich helfen kann, habe aber allmählich das Gefühl, dass es die Mama nervt, nach dem Motto: „Wie oft noch? Nein, lehn dich einfach zurück und entspann dich.“

Als ich einmal doch die Sachen in die Spülmaschine steckte, sah mich meine Schwiegermama an, als hätte ich einen Verrat begangen. Sie bedankte sich, aber es fühlte sich nicht echt an, und mein schlechtes Gewissen wuchs, obwohl ich nur helfen wollte.

Es ist spannend, weil der Besuch bei der deutschen Familie zwar weniger königlich ausfällt, aber man dadurch über den ganzen Besuch Gast bleibt. Ich finde das fast schon schade, dass wir doch alle wie eine Familie sind, und die Gast- und Gastgeberin-Dynamik Distanz schafft.

Wenn Besuch zu uns kommt

Meine arabische Familie ….

… erwartet die üblichen Gastgeber:innenpflichten. Wohnung aufräumen, Essen und Getränke vorbereiten und die Gäste bespaßen. Ich frage im Minutentakt nach, ob sie was brauchen. Ein Glas Wasser? Eine Decke für die kalten Füße? Einen Aschenbecher für meinen Onkel? Sie sollen sich wohlfühlen und wenn sie dafür das Sofa umstellen möchten, können sie das tun. Schon bald fühlen sich meine „arabischen Gäste pudelwohl“, streifen um die Wohnung, sehen sich um, und tun, was immer ihnen beliebt.

Meine deutschen Gäste …

… erwarten gar nichts. Die Wohnung kann ein Chaos sein, es stört sie nicht. Sie gehen nirgendwo hin, wenn sie nicht aufgefordert werden, zwar schauen sie sich auch um, aber mit einer Unaufdringlichkeit. Sie mischen sich nirgendwo ein. Zwar fragen auch sie, ob sie helfen können, aber wenn ich nein sage, widersprechen sie nicht. Sie würden nicht von sich selbst aus das Geschirr in die Spülmaschine räumen, denn es ist nicht ihr Haushalt und sie wollen sich nicht einmischen.

Ich finde beide Gastkulturen unglaublich spannend!

Zwar sind sie sehr pauschalisiert, denn natürlich ist nicht jede Familie (arabische oder deutsche Familie) in einen Topf zu packen. Aber ein paar generelle Unterschiede sehe ich schon.

Ich kann euch gar nicht sagen, welche Kultur ich mehr schätze. Ich mag Grenzen und wenn Leute sich nicht einmischen, aber genauso mag ich es, wenn der Besuch sich anfühlt, als wäre man selbst ein Teil des Haushalts. Ich möchte nicht die ganze Zeit bedient werden, besonders nicht bei der Familie, oder bei Leuten, die sich anfühlen wie Familie.

In mir kollidieren zwei Gastkulturen – die, in die ich hineingeboren wurde, und die, mit der ich über meine deutschen Kreise aufgewachsen bin.

Vielleicht ist das auch ein Generationsding. Bei den Besuchen in meinem Alter sind die Gastgeberpflichten nochmal andere. Vielleicht spielt aber auch die Globalisierung mit ein, die Grenzen wie „Kulturen“ ohnehin immer mehr verschwimmen lässt.

Aber nun zu euch:

Wie sind eure Gastgeberpflichten? Empfindet ihr sie auch als kulturgeprägt? Was fällt euch auf, wenn ihr bei einer ganz anderen Kultur zu Besuch seid?

Mehr zu diesem Thema:

Unangekündigte Besuche? – Andere Kulturen, andere Sitten

Nein heißt nein? Oder doch ja? Andere Esskulturen, andere Ess-Sitten

Liebe Grüße
Mounia

Mounia
About me

Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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