„Geht’s dir gut oder hast du Kinder in der Schule?“ – Leseprobe aus dem Buch von Anke Willers


Die Schule kann nicht nur für Kinder, sondern auch für Eltern hart und stressig sein.  Anke Willers kennt das genau, und lässt euch in einer Leseprobe kurz in ihr Werk „Geht’s dir gut oder hast du Kinder in der Schule?“* reinschnuppern!

Was ihr gleich zu lesen bekommt, beinhaltet großen Elternfrust und die rhetorische Frage: Müssen Eltern nun auch Lehrer sein? Ein „Hilfslehrerinnenjob“ haben, wie Anke Willers diese Aufgabe nennt? Die Journalistin war jahrelang Textchefin der Zeitschrift ›ELTERN‹ und hat dort als Kolumnistin über ihren Familienalltag geschrieben. Heute ist sie leitende Redakteurin bei ELTERNfamily. Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter im Teenageralter und macht aus einschlägigen Erfahrungen wertvolle Gedanken – für alle.

Viel Spaß bei der Leseprobe von
„Geht’s dir gut oder hast du Kinder in der Schule?“*:

Realschuljahre: Lernst du noch – oder brüllst du schon?

Bevor ich selbst Kinder hatte, war für mich klar: Es gibt ein ziemlich gutes Mittel gegen schlechte Noten – und das ist gute Vorbereitung. Meine Grundschuljahre als Hilfslehrerin hatten mich eines Besseren belehrt. Sollte sich das mit der Realschule ändern?

»Wenn sie regelmäßig selbstständig die Hausaufgaben machen, dürfte das kein Problem sein«, hieß es beim Elternabend in der Fünften. »Wir teilen ja Übungen aus – und wer die kann, schafft auch die Schulaufgaben.«

»Wir sind ja auch noch da«, sagten die Erzieherinnen im Hort. »Bei uns gibt es nach dem Mittagessen Studierzeiten. Und wenn Ihre Töchter dann um vier nach Hause kommen, sollten sie das meiste erledigt haben.« Vor meinem geistigen Auge brachen paradiesische Zeiten. Endlich würde das eintreten, was ich vor der Grundschule eigentlich mal für normal gehalten hatte: Schule ist vor allem Kindersache.

Doch ich irrte erneut.

Wir hatten zwar den Übertritt geschafft, aber jetzt ging es erst richtig los: Meine Töchter mussten lernen, wie man alleine lernt. Das aber lernten sie offenbar nicht von alleine. Das musste ihnen jemand beibringen. Und mein Gefühl war: Dieser Jemand war ich. Zwar machten die Mädchen immer ganz zuverlässig ihre Hausaufgaben. Für die Schulaufgaben und Prüfungen reichte das aber nicht. Ihnen wurde einfach nichts geschenkt. Nichts ging leicht. Und schon gar nicht von alleine. Gib ihnen Zeit, dachte ich, das ruckelt sich zurecht.

Doch dann, als sich die Vieren und Fünfen häuften, wurde ich doch wieder nervös.

Am Elternabend erzählten manche Mütter, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass sie für die letzte Erdkundearbeit zu Hause Probe-Prüfungen konzipiert hätten und außerdem extra ins »Deutsche Museum« gegangen seien. Ein paar Väter waren auch da und fragten, ob das denn richtig sei, dass die Kinder jetzt schon die Dezimalzahlen bis zur dritten Stelle in Brüche umrechnen können müssten. Eigentlich komme das doch erst später dran. »Oh«, dachte ich betreten, »die kennen sich aber gut aus.« Und dann überlegte ich reflexhaft, wie das noch mal ging: mit den Dezimalzahlen und den Brüchen.

Ich begriff:

Bis auf ein paar Ausnahmen lernten alle mit ihren Kindern. Auch auf der Realschule.

So kam es, dass ich meinen Hilfslehrerinnenjob wieder aufnahm. Beim Autofahren nervte ich die Kinder mit Sprüchen wie »Die Klammer sagt: Zuerst komm ich. Denk ferner dran: Stets Punkt vor Strich!« oder »In fourteen hundred ninety two Columbus sailed the ocean blue.« Und fortan gab es – mal abgesehen von den Ferien – wieder kaum ein Wochenende, an dem nicht einer von uns mit einem Kind am Wohnzimmertisch saß, abfragte, erklärte, Tabellen laminierte. Ich befasste mich mit dem Treiben der alten Ägypter im Nildelta, mit dem der Fruchtfliegen im Sechstklasslehrplan und mit der Frage, ob Mrs Walter »after the dog looked« – oder »at the cat«. Am Wohnzimmertisch drosch ich Phrasen wie: »Es können nur Potenzen, die die gleiche Basis und denselben Exponenten haben, addiert und subtrahiert werden. Und das macht man, indem man die Koeffizienten addiert und subtrahiert.«

Manchmal erzählte ich dazu wilde Geschichten von berühmten YouTuberinnen, die so erfolgreich posteten, dass sie damit 10 hoch 10 Follower kriegten. »Hallo«, sagte das Siebtklässlerkind, »bloß 100 Follower, das ist ja total unfame!«

»Nicht: mal 10 – hoch 10«, sagte ich mit einer Stimme, die irgendwie nicht zu mir gehörte, »10 mal 10 mal 10 mal 10 mal …« »Also doch mal«, sagte das Kind. In Momenten wie diesen kriegte ich regelmäßig Schnappatmung.

Warum musste ich das machen? Oft kam ich mir vor wie eine Beauftragte für Homeschooling. Und dachte im Stillen:

Warum gehen die Kinder überhaupt noch in die Schule? Zu Hause muss ich ja sowieso alles noch mal erklären und mit ihnen durchkauen. Eigentlich ist die Schule überflüssig, sie macht nur Stress mit ihrem ständigen Geprüfe. Und je mehr Gedanken dieser Art mir in den Sinn kamen, umso mehr potenzierten sich mein Ärger und mein Frust. Und das, was dann meistens am Ende dabei herauskam, war nicht nur mathematisch gesehen regelwidrig:

Ich flippte aus.

Und ich brüllte: »Verdammt noch mal, jetzt reicht’s mir aber. Setzt euch gefälligst auf den Hosenboden. Und passt in der Schule auf. Ich bin doch nicht eure Nachhilfelehrerin. Und überhaupt, wo ist das verdammte Lösungsheft von diesem verdammten Übungsbuch?« »Irgendwo unter dem Bett«, murmelte das Kind, nichts Gutes ahnend. »Was heißt irgendwo?«, fauchte ich noch wütender zurück. »Ich kaufe doch nicht ständig irgendwelche Arbeitsbücher, damit die unbenutzt in die Ecke geknallt und verschlampt werden. Ich mache das doch nicht zum Spaß. Es ist eure Mathearbeit.«

Und so weiter und so fort. Das eine oder andere Kind brüllte zurück: »Du bist eine scheißblöde Mama. Scheißblöd hoch vier: Scheiß mal blöd mal scheiß mal blöd!«

Und ich: »Hör auf zu brüllen – sonst sagt der Nachbar morgen wieder: ›Na, deine Kleine hat aber eine ziemlich kurze Zündschnur. Die hört man ja im ganzen Hof.‹« An dieser Stelle machte ich meistens hektisch alle Fenste. Aber das Kind brüllte noch lauter: »Mir doch egal, was die Nachbarn denken.« Und es schien eine heimliche Freude daran zu haben, dass ich immer mehr die Fassung verlor. Und schließlich aufgab. (…)

Ich verzweifelte an meinen Kindern, aber auch an mir selbst.

Ich weiß nicht, wie viele Male ich aus der Wohnung rannte, nach unten in unseren Hof. Das jeweilige Lernopfer Kind blieb oben und trat je nach Temperament mit dem Fuß gegen die Tür und warf die soeben beschriebenen Zettel aus dem Fenster (Ida) oder heulte und rief Schimpfwörter (Greta).

Ich saß dann irgendwann auf der Bank im Hof, haderte mit mir und unserem Schuldrama und versuchte meinen Puls wieder runterzuregeln. Manchmal beobachtete ich von meiner Bank aus die Nachbarinnen mit ihren kleinen Kindern, die mit roten Rutscheautos unterwegs waren. Ich dachte: »Wenn ihr wüsstet, was noch auf euch zukommt…

Na, habt ihr euch in den ein oder anderen Zeilen wiedererkannt? Kam euch der Frust von Anke bekannt vor? Habt ihr vielleicht Ähnliches erlebt, bei dem ihr nicht mehr weiter wusstet?

Falls ihr wissen wollt, wie es weitergeht, dann schaut gerne selbst in ihr Buch rein! 

Hier der Link zum Buch: Geht’s dir gut oder hast du Kinder in der Schule?: Was der Schulwahnsinn mit uns und unseren Kindern macht und wie wir ihn überlebe *
(*Affiliale Link – Mini Werbung!)

Liebe Grüße

Anke & Béa

(Zur Transparenz, wie immer: Dieser Blogbeitrag ist nicht gesponsert, aber wir finden dieses Thema sehr wichtig und wollten die Leseprobe unbedingt mit euch teilen!)

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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