Kindern Wahrnehmung und Gefühle nicht absprechen
„Du musst überhaupt keine Angst haben.“
„So schlimm war das doch nicht!“
„Stell dich doch nicht so an.“
„Es gibt überhaupt keinen Grund traurig zu sein.“
„Das wird überhaupt nicht wehtun.“
Habt ihr das schon mal gehört oder gesagt? Ich schon.
…. schreibt unsere Kolumnistin mindfulsun (Anm. Béa)….
Ich habe es gehört, als Kind und als Erwachsene. Und ich hatte das eine oder andere leider ganz unreflektiert auch zu meinen Söhnen gesagt.
Diese Zeiten sind vorbei!
Es geht mir mit diesem Artikel nicht nur um körperliche Schmerzen, sondern auch um seelische. Es ist mir wichtig, niemandem – und schon überhaupt nicht Kindern! – die eigene Wahrnehmung abzusprechen. In meinem Empfinden kann das passieren, wenn leichtfertig solche Aussagen getätigt werden.
„Ist doch nicht so schlimm!“ – hörte ich letzte Woche von der Podologin, als mein Sohn einen schmerzhaften Eingriff am Zeh hatte und er stumm weinte. Als ich sie dann später ansprach, warum sie das sagte, kam die Antwort: Er tat ihr leid und eigentlich wollte sie sich auch selbst damit überzeugen.
Und hier glaube ich, liegt der erste wichtige Punkt:
1. Meine Wahrnehmung von Schmerz ist nicht die gleiche, wie die von anderen Menschen, auch nicht die von meinem Kind!
Jeder Mensch hat ein anderes Schmerzlevel und was für den einen ein kleiner Pieks ist, fühlt sich für den anderen vielleicht an, wie von einer Horde Wespen gestochen werden.
Sätze wie „Ach, das kann doch überhaupt nicht wehtun!“ empfinde ich sehr anmaßend und übergriffig.
Sei es nun, wenn sich das Kind verletzt hat oder wenn es wegen einer Sache traurig ist: Es ist in dem Moment real für das Kind. Auch wenn ich mir vielleicht nicht vorstellen kann, dass es schmerzt oder ich nicht deswegen traurig wäre, spreche ich es meinem Kind nicht ab. (niemandem!)
Es ist für mich sehr wichtig, dass meine Jungs ihrer eigenen Wahrnehmung vertrauen können.
2. Anstatt auf meine Kinder einzugehen – auf etwas reagieren, was in mir liegt:
Ich gebe es zu: Ich hatte ein wahnsinniges Problem damit, meine Kinder impfen zu lassen oder beim Blut abnehmen dabei zu sein, als sie noch klein waren. Ich konnte selbst nicht ruhig sein, konnte nicht mit ihrem Schmerz umgehen und konnte sie nicht richtig bestärken. „Das ist nur ein kleiner Pieks und geht schnell vorbei.“ Ja, das habe ich zu ihnen gesagt, vor allem um es mir selbst schön zu reden.
Gerade was medizinische Dinge angeht, die nun mal auch wehtun, habe ich mit der Zeit gelernt, selbst damit umzugehen und auch offen mit meinen Kindern zu sein und ihnen alles zu erklären. Dieser Tweet eines Kinderarztes fasst es gut für mich zusammen:
Please don’t lie to kids about whether a medical procedure will hurt.
Tell them, in developmentally-appropriate language, what to expect. What it will feel like. How long it will last. Why it’s necessary. That it’s ok to be afraid and ok to cry.
— Chad Hayes, MD (@chadhayesmd) April 16, 2019
Zurück zu Emotionen, da ist es ähnlich. Ich reflektiere: Was liegt bei mir und dann erst kann ich dem Kind beistehen. Denn darum geht es ja. Mir ist wichtig, dass die Jungs in der Lage sind ihre Emotionen zu erkennen und auch damit umzugehen.
„When little people are overwhelmed by big emotions, it’s our job to share our calm, not join their chaos.”
L.R. Knost
Gerade also wenn es um schwierige Emotionen geht, ist es besonders wichtig, was ich zu meinen Kindern sage. Es kann sie aufbauen oder Schaden anrichten. Es kann ihr Vertrauen in mich und sich selbst zerstören. Und sie merken, wenn ich lüge oder sie nicht ernst nehme. Das ist ein Grundpfeiler für mich: Jegliche Emotion ist valide! Ich spreche sie niemandem ab! Es ist anmaßend und verletzend einem Menschen in seinem Erleben zu invalidieren, Gefühle zu negieren und ihn dadurch vielleicht auch zu beschämen.
„Du musst überhaupt keine Angst haben.“. Das zu jemandem zu sagen, der Angst hat, geht für mich überhaupt nicht. Auch über Ängste und das Warum zu sprechen, ist mir wichtig. Und Wege zu finden, damit umzugehen.
„Ich sehe dich! Was brauchst du? Ich bin da für dich!“
Das sind Leitsätze im Umgang mit meinen Jungs.
„Das kann überhaupt nicht sein!“, „Reiß dich mal zusammen!“ sind für mich Sätze, die in keine Kommunikation gehören.
Auch unter Erwachsenen höre ich so was oft, Menschen sprechen anderen Menschen ihr Erleben und ihre Wahrnehmung ab, indem sie von sich auf andere schließen. Hier bringe ich meinen Söhnen auch bei, Grenzen zu setzen.
„Das kann überhaupt nicht wehtun!“
„Doch, mir tut das weh!“
An dieser Stelle auch die Bitte um mehr Empathie, Verständnis und Mitgefühl im Umgang miteinander, auch unter Erwachsenen! Vielleicht auch mal reflektieren: Warum sage ich das?
Schaut bitte noch mal die Sätze am Anfang des Beitrags: Habt ihr schon solche Sätze geäußert oder gehört?
Eure
mindfulsun
P.S. Diesen Text habe ich verfasst, bevor ich zur gewaltfreien Kommunikation gefunden habe. Einiges würde ich heute anders formulieren. Und Worte wie „anmaßend und übergriffig“ versuche ich auch nicht mehr zu verwenden.
Jetzt kommuniziere ich in „Ich-Botschaften“. Diesen Text möchte ich allerdings nicht ändern, als Zeichen meiner persönlichen Entwicklung.
Und die Grundaussage bleibt auch: Bitte niemandem die Gefühle absprechen!
- 17. Aug 2019
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