Wie sehr zeigen wir beim Streit unser „wahres“ Gesicht?


Wir alle kennen es, eine Situation spitzt sich zu, und dann bricht ein Konflikt aus, der manchmal ziemlich emotional ist. Aber wer ist eigentlich diese Person, die so laut rumschreit und völlig außer sich ist? Wie sehr zeigen wir beim Streit unser „wahres“ Gesicht?

Gar nicht…

Denn der Mensch ist facettenreich. Starten wir mal damit zu sagen, dass niemand von uns nur lieb, nur gut, nur gütig, oder nur böse ist. Unser Charakter ist wie ein Puzzle, das aus ganz vielen Teilen besteht, und erst zusammengesetzt unser wahres Selbst ergibt.

Selbstverständlich gibt es auch viele Momente im Leben, in denen wir unauthentisch auftreten. Manche von uns schaffen es, ihr „wahres Gesicht“ jahrelang in der Schule oder am Arbeitsplatz zu verbergen. Das ist natürlich anstrengend, aber möglich.

Mir geht es jedoch um etwas anderes – um die Momente, in denen wir voller Gefühl sind und manchmal über die Stränge schlagen.

Zum Beispiel beim Streit.

Ich erinnere mich noch sehr oft an den Vorwurf einer Person:

„Beim Streit kommt dein wahres Gesicht raus.“

Dieser Vorwurf traf mich damals sehr, denn Tatsache war, dass ich bei unseren Streitereien etwas furienmäßig unterwegs war. Ich heulte rum und schrie und schlug Türen zu – das volle Programm.

War das etwa ich? Mein wahres Ich?

Sehr, sehr lange dachte ich über diesen Vorwurf nach, und nahm mir vor, bei zukünftigen Streitereien etwas „ruhiger“ zu sein. Das Problem war, dass es bei anderen Menschen gar nicht zu dieser Situation kam. Nur bei dieser einen Person.

Wir holten das Schlechteste voneinander heraus.

Kennt ihr das, wenn bestimmte Menschen das Beste in einem rausholen können? Nun, bei uns war es genau andersherum. Zwischen uns war von Beginn an eine ungesunde Dynamik, ein ungleiches Machtverhältnis. Unsere Beziehung war ungesund, und das zeigte sich auch darin, wie ich in Anwesenheit dieser Person wurde.

Diese Erkenntnis war ziemlich einschlagend, aber im positiven Sinne. Es lag nicht an mir. Ich war keine Furie und auch kein schlechter Mensch. Und die Person war es auch nicht. Wie bereits erwähnt, holten wir das Schlechteste in uns raus.

Keine Kontrolle über die Emotionen

Überhaupt habe ich das Gefühl, dass wir Menschen in besonders emotionalen Momenten nie wirklich „wir“ sind. Zwar machen uns Gefühle aus, aber die richtig heftigen Emotionen verändern uns im jeweiligen Moment. Noch heute ist es so, dass ich in Streitmomenten irgendwie ganz anders werde als ich sonst bin. Viel weinerlicher, und manchmal auch etwas schnippischer. Letzteres tut mir im Nachhinein immer besonders leid, denn eigentlich bin das so gar nicht ich. Aber in besonders heftigen Momenten entgleitet mir die Kontrolle über meine Emotionen.

Das gilt übrigens auch für positive Gefühle. Manchmal sprudele ich über vor Emotionen, bin aufgedreht, kann nicht aufhören zu quasseln, und lache, bis mir die Tränen kommen. Doch auch das ist nicht mein „wahres“ Gesicht – so sehr ich es mir manchmal gern einreden würde. Es ist lediglich ein Teil von mir, der manchmal stärker zum Vorschein kommt.

Gibt es überhaupt so etwas wie das „wahre Gesicht“?

Ich würde sagen, nein. Manche von uns tragen vielleicht mehr Freude, mehr Wut, mehr Trauer oder Angst in sich, aber nichts davon ist unser wahres Selbst. Überhaupt glaube ich daran, dass der Mensch sich auch fortlaufend ändert. Vieles kann uns prägen – sei es eine Beziehung, eine Reise, eine Elternschaft, ein Verlust usw.

Deshalb finde ich es auch so schwer, Menschen einzuschätzen. Es braucht lange, um sie wirklich kennenzulernen, zumal manche verschlossener sind als andere. Oft überrascht es mich, wenn ich etwas über einen Menschen herausfinde, den ich ursprünglich ganz anders eingeschätzt habe – und das meine ich sowohl im positiven als auch negativen Sinne.

Ausnahme für Soziopathen und skrupellose/manipulierende Menschen …

Ich würde dennoch eine Ausnahme bei Menschen machen, die sich ganz bewusst anders geben, um zu bekommen, was sie wollen. Menschen, die skrupellos und manipulativ sind, und ihrem Gegenüber Dinge einreden, sodass es an seiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln beginnt (Stichwort: Gaslighting).

Ja, der Mensch ist facettenreich, und niemand ist nur gut oder schlecht, aber ich glaube daran, dass einige Menschen zunehmend negative Eigenschaften haben, und keine Skrupel haben, anderen wehzutun. Vielen von ihnen ist es vermutlich selbst nicht klar, und darum, warum sie so geworden sind (Persönlichkeitsstörung, Trauma etc.) geht es auch nicht. Dennoch bin ich überzeugt, dass es Menschen gibt, die mir einfach nicht gut tun.

Wie seht ihr das? Wie sehr verändert ihr euch in emotionalen Momenten? Glaubt ihr an das „wahre Gesicht“?

Falls euch das Thema „Konflikte“ und vor allem ihre harmonische Bewältigung interessiert, kann ich euch Béas Beitrag stark ans Herz legen!

Zwischen Diskussionen und Kontern – Warum müssen wir einen Streit überhaupt „gewinnen“?

Liebe Grüße
Mounia

Mounia
About me

Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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