„Die Krankheit hat mich an den Rand des Machbaren gebracht“ – Nicole Beste-Fopma im Interview


Heute habe ich ein Interview mit einer ganz besonderen Frau und Unternehmerin: Nicole Beste-Fopma kenne ich über die sozialen Medien, als Herausgeberin/ Chefredakteurin von Lob, der Zeitschrift für berufstätige Mütter und Väter. Sie hat sich dem Thema Vereinbarkeit verschrieben – und dann stand sie vor der Situation, dass sie etwas noch viel Größeres für sich in Einklang bringen musste… eine bedrohliche Krankheit. Lest aber selbst. Nicole ist beeindruckend und mutig!

Liebe Nicole, wenn du dich selbst in drei Worten beschreibst, welche Worte sind das?

Lebenslustig, familienorientiert, freiheitsliebend

Was haben diese drei Worte mit deinem Lebensweg zu tun? Woher kommst du, und was hat dich zu dem Menschen gemacht, der du jetzt bist?

Was mich zu einem lebenslustigen Menschen gemacht hat, weiß ich nicht so genau. Ich weiß aber, dass ich schon immer neugierig war. Auf alles. Ich habe schon immer gerne gelesen – Neues erfahren. Gleichzeitig bin ich aber auch gerne mit Menschen zusammen. Ich habe also zwei Gesichter: Das „laute“, extrovertierte, wenn ich in Gesellschaft bin und das „leise“, eher introvertierte, wenn ich zum Beispiel mal wieder ein ganzes Wochenende an der Nähmaschine oder hinter einem Buch verbringe und es genieße, mit mir alleine zu sein.

Sehr geprägt hat mich meine Zeit im Ausland. Erst als Austauschschülerin in Australien, dann als Werksstudentin in Mexiko. Ganz alleine ans andere Ende der Welt zu reisen, bzw. in eine ganz andere Kultur einzutauchen, beeinflusst das ganze weitere Leben. Ich habe gelernt, auf andere Menschen zuzugehen. Dass anders nicht besser oder schlechter bedeutet, sondern einfach nur anders. Dass es immer irgendwie weiter geht. Sowohl in Australien als auch in Mexiko war es nicht immer einfach, aber ich habe immer einen Weg gefunden und die Zeit dort war mit die schönste Zeit meines Lebens.

Wie familienorientiert ich bin, habe ich eigentlich erst rückblickend erkannt. Ich habe mein ganzes bisheriges Leben auf meine Familie ausgerichtet. Ich bin noch im Studium Mutter geworden. Ich kenne also kein anderes Leben als das der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In meinem Fall die ersten Jahre: Alleinerziehend und Beruf. Mein Berufsstart fiel damals zusammen mit den letzten Lebensmonaten meines Vaters. Auch hier habe ich die Entscheidung zugunsten der Familie getroffen. Ich hatte ein tolles Jobangebot in NRW, wollte aber meinen Vater nicht „zurück“ lassen und auch meiner Mutter in dieser schweren Zeit zur Seite stehen.

Als ich dann etliche Jahre später meinen jetzigen Mann kennengelernt habe, war es wieder eine Entscheidung für die Familie: Um uns als Patchworkfamilie zusammen zu führen – er ist verwitwet und hat drei Söhne mit in die Ehe gebracht – habe ich meinen Job in München gekündigt und bin nach Alzenau gezogen. In der festen Überzeugung, dass wenn ich mich bewerbe, ich wieder einen Job finden werde. Ich hatte ja bereits viele Jahre lang gezeigt, dass ich vereinbaren kann. Die potentiellen Arbeitgeber haben das aber anders gesehen. Sobald ich die Kinder erwähnte, war das Gespräch quasi vorbei.

In dieser Situation hat es mir geholfen, so lebenslustig zu sein. Ich habe zwar mit der Situation gehadert – auch ein Grund, warum LOB entstanden ist – aber ich habe nach einer Lösung gesucht. Die logische Schlussfolgerung: Selbständigkeit. Auch deshalb optimal, weil ich freiheitsliebend bin. Wo hat man mehr Freiheiten als in der Selbständigkeit? Wenn auch mit Einschränkungen.

Lob Magazin und eigentlich auch ein Verlag… War das deine Idee? Wie kam das in die Welt? 

LOB ist mein Baby, das ich mit einem total verklärten Blick in die Welt gesetzt habe. Ich wollte ein Printmagazin. Eine total irrwitzige Idee in einer Welt, in der gerade alle Printprodukte um das nackte Überleben kämpfen. Hat nicht geklappt, aber dafür entwickelt sich das Onlinemagazin sehr gut.

LOB ist auch so eine logische Folge, wenn man sich mein Leben anschaut. Früh Mutter, immer berufstätig, aktiv im BPW (Business Professional Women) und hier ganz besonders beim Equal Pay Day, schreibafin.

Ich stamme aus einer Familie, in der die Gleichberechtigung gelebt wurde. Beide Eltern Vollzeit berufstätig und beide haben sich an der Kindererziehung und der Hausarbeit beteiligt. Wahrscheinlich ein Grund für meine feministische Ader. Zeitschriften fand ich auch schon immer toll. Als ich dann das Sonderjournal für den Equal Pay Day entwickelte und einige Jahre auch verantwortet habe, habe ich gemerkt, dass die Lohnungerechtigkeit ganz viel mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun hat. Und schwups war die Idee zu LOB geboren. Dann noch eine gute Portion Mut dazu und LOB war real.

Du hast in den letzten Jahren auch eine schwere Phase mitgemacht. Magst du etwas dazu erzählen?

Klar, erzähle ich Euch (gerne) davon. Am 16. Mai 2014 wurde bei mir Brustkrebs diagnostiziert. Von einer Sekunde auf die andere war mein Leben ein anderes. Es folgten viele Untersuchungen, etliche OPs, noch mehr Chemos und Bestrahlungen. Alles lief super gut. Ich habe die Chemos sehr gut vertragen und der Tumor ist geschmolzen. Leider wurde aber bei der Tumor OP festgestellt, dass noch lebendes Tumorgewebe da war. Also bin ich in die „Verlängerung“ gegangen. Bis Ende November habe ich noch ein ganz neues Chemomedikament bekommen, das nur die Krebszellen angreift. Meine Haare blieben mir dieses Mal also erhalten. Soweit zur körperlichen Seite der Krankheit.

Die andere ist die Seele und die weist große Wunden auf, aber ich habe mir Hilfe geholt und bin sehr optimistisch, dass diese Wunden heilen werden. Auch hier werden Narben zurückblieben, aber … Narben sind Kunst (nicht nur) am Körper.

Die Krankheit hat mich an den Rand des Machbaren gebracht, was sich schlimmer anhört, als es ist. Ich weiß jetzt, wie viel ich (er)tragen kann und das ist sehr viel. Ich weiß jetzt, was mir wichtig ist und wofür es sich lohnt, Energie aufzuwenden. Ich weiß jetzt, was für wahnsinnig tolle Freunde ich habe. Ich weiß jetzt, wie sehr mich meine (Patchwork-)Kinder lieben.

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Und dank meiner fantastischen Kollegin konnte LOB die ganze Zeit am Laufen gehalten werden. Wobei wir hier selbstverständlich die Arbeit auf das Notwendigste reduzieren mussten. Ein Prozess, der, die Zukunft wird es zeigen, sowohl LOB als auch Lydia und mir sehr gut getan hat.

 Wie hast du dir das mit der Vereinbarkeit eingerichtet? Was funktioniert gut, was bringt dich immer wieder auf 180?

Ich bin zum Organisationsgenie geworden. Zwar habe ich schon immer gerne und gut organisiert, aber seit ich einem 6-Personen-Haushalt „vorstehe“, habe ich es perfektioniert.   Als ich alleinerziehend war, hatte ich ein Au-Pair. Seit ich selbstständig bin, arbeite ich von Zuhause aus.

Ich habe unsere Kinder aber auch zu selbständigen, eigenverantwortlichen Menschen erzogen, die mit anpacken. Sie kennen ihre Grenzen und innerhalb dieser können wir alle super gut leben. Kontrollen gab es nur stichprobenartig.

Auf 180 bringt mich eigentlich im Augenblick nichts mehr. Eine Folge meiner Krankheit. Ich wüsste nichts, wofür es sich lohnt, sich so sehr aufzuregen. Wenn es ein Problem gibt, suche ich eine Lösung. Und wenn mein Gegenüber mit mir streiten will, dann gehe ich einfach joggen. Natürlich immer mit der klaren Ansage, dass ich zu einem ruhigen Gespräch gerne bereit bin.

Bitte ergänze:

Social Media ist für mich….. Mittel zum Zweck

Mein Entspannungsort ist…. mein Nähzimmer

Mich kann man ärgern wenn…. Zeit verschwendet wird.

Etwas, was ich für völlig überflüssig in der Welt halte ist…. Neid

Von Politik erwarte ich…. dass sie die Bürgerinnen und Bürger darin unterstützt, ein zufriedenes Leben zu führen.

Ich habe noch ein ganz großes Ziel und das ist…. gesund noch ganz alt zu werden!

Vielen Dank für dieses Interview, liebe Nicole, und für deine ungebändigte Lust am Leben! 

Update von Oktober 2016 – ich darf dieses Foto für sich sprechen lassen:

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Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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