Kritische Gegenfragen stellen und vom eigentlichen Thema lenken – „Was ist Whataboutism?“
Wir alle kennen es – ein Gespräch wird hitzig, neue Themen werden in den Raum geworfen und lenken vom eigentlichen ab. Das Phänomen nennt sich „Whataboutism“ – was genau damit gemeint ist, erklären wir hier.
Dieser Blog setzt sich häufig mit Kommunikation auseinander. Das Ziel: Friedliche Gespräche auf Augenhöhe führen, ohne Streit, selbst wenn man mal nicht einer Meinung ist. Whataboutism steht dem Plan jedoch häufig im Weg, daher ist es wichtig, darüber zu reden.
„Was ist Whataboutism?“
„Whataboutism“ oder auch „Was ist mit … ismus“ bezeichnet das Phänomen, dass man bei einer kritischen Diskussion nicht auf das Gesagte eingeht, sondern mit einer anderen ebenso kritischen Aussage argumentiert , die aber vom eigentlichen Thema weglenkt.
Ein Beispiel:
A: „Ich finde es nicht nachhaltig, Fleisch zu essen.“
B: „Ja, aber was ist mit Sojabohnen? Vegan Leben ist ja schön und gut, aber für die ganzen Ersatzprodukte wird der Regenwald abgebaut, das ist auch nicht viel nachhaltiger!“*
*Kleine Fußnote: Dieses Argument ist natürlich nicht stichhaltig, weil die meisten Sojabohnen für die Tierwirtschaft und nicht für Ersatzprodukte verwendet werden.
Schauen wir uns mal an, was passiert ist:
A äußerte ein kritisches Argument, doch B ging gar nicht darauf ein, sondern lenkte vom Thema weg und ging auf Angriff.
B mag mit seinen Worten logisch gesehen vielleicht sogar recht haben, aber durch dieses gekonnte Ablenkungsmanöver setzte es sich nicht mit den Worten seines Gegenübers auseinander.
Täter-Opfer-Umkehr
Wer vom Gespräch weglenkt, räumt keine Einsicht ein und schiebt die Schuld auf etwas oder jemand anderen. Damit dreht er gekonnt den Spieß um, und ist, anstatt Täter, plötzlich das Opfer. Dabei geht bei vielen Diskussionen oft gar nicht um eine Schuldzuweisung, aber wer sich angegriffen fühlt, hat das Bedürfnis, zurückzuschießen.
Aber geht es in Gesprächen nicht genau darum? Nicht nur bei einem Thema zu bleiben, sondern von einem ins Nächste zu hopsen?
Ja und nein. Natürlich folgen Gespräche keinem Leitfaden, aber bei Whataboutism wird der Standpunkt der anderen Person, nicht nur relativiert, sondern teilweise auch abgesprochen.
Als ich neulich mit einem älteren Kollegen über Feminismus sprach, lief es ungefähr so ab.
Mounia: Ich finde, das in Deutschland noch eine Menge getan werden muss, um Gleichberechtigung zu erlangen.
Kollege: Ja, aber was ist mit X,Y und Z? In diesen Ländern dürfen die Frauen ja gaaar nichts. Das sind viel schlimmere Probleme.
Ich hatte daraufhin keine Lust mehr, weiterzureden, denn für mich ging es überhaupt nicht darum, die Menschenrechte in Deutschland mit anderen Ländern aufzuwiegen, sondern nur, dass wir für eine gleichberechtigte Gesellschaft noch eine Menge Arbeit vor uns hatten.
Whatoubitism argumentiert mit Vorwürfen, die das Gegenüber als Heuchler oder Mensch mit Doppelmoral hinstellen soll.
Und das entzieht jedem Gespräch die Harmonie, denn sobald Vorwürfe ins Spiel kommen, verwandelt sich das Gespräch immer mehr in einen Streit.
Aber so muss es nicht sein. Bei einem Gespräch auf Augenhöhe dürfen beide reden, müssen allerdings auch zuhören und auf das Gesagte des anderen eingehen. Das bedeutet nicht, dass wir unserem Gegenüber immer zustimmen müssen. Und es heißt auch nicht, dass wir das Thema nicht ausweiten können. Aber ein Schritt nach dem anderen.
Ich weiß, dass das bei einer hitzigen Diskussion oft vergessen wird. Uns gehen die Argumente aus und wir ziehen uns die wildesten Gegenargumente aus dem Ärmel. Doch in diesem Fall würde ich dazu raten, erst mal tief durchzuatmen und noch mal von vorn zu starten. Oder aber das Thema vorerst auf sich beruhen zu lassen und erst dann wieder darüber zu reden, wenn der Kopf etwas abgekühlt ist. So hat man nämlich auch die Zeit, die Worte der anderen Person abzuspeichern und über sie nachzudenken.
Soweit meine kleine Zusammenfassung. Kanntet ihr den Begriff schon? Habt ihr irgendwelche Ergänzungen zu Whataboutism?
Liebe Grüße
Mounia