Traumatische Erlebnisse: Über die schweren Dinge im Leben kann man manchmal nicht sofort reden


Wir alle wissen, wie wichtig es ist, sich bei Problemen anzuvertrauen. Aber in vielen Fällen geht das nicht sofort. Ich möchte heute über ein Phänomen sprechen, das meiner Meinung nach oft missverstanden wird.

„Vertrau dich anderen an.“
„Mach das nicht mit dir allein aus.“
„Rede mit jemandem darüber.“

Wir alle kennen diese Kalendersprüche zur Genüge, und die Botschaft ist immer dieselbe. Wenn uns was beschäftigt, sollen wir das kommunizieren, damit andere Bescheid wissen und uns helfen können. Mit einem Problem allein zu sein kann einen sehr einsam machen und den Zustand sogar verschlimmern. Der Appell, darüber zu reden, ist also völlig richtig.

Aaaaber: Manchmal geht es eben nicht.
Und genau das ist das Phänomen:

Wenn etwas Traumatisches geschieht, fehlen uns im ersten Moment oft die Worte.

Körper und Geist sind in heller Aufruhr, und wollen das Geschehen am liebsten von sich schieben. Sie tun das, um sich zu schützen. Darüber zu reden würde das Trauma nur an die Oberfläche spülen, und unser System versucht das zu verhindern.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass man sich „danach“ niemandem anvertrauen kann.

Genauso ist es nicht ungewöhnlich, einfach weiterzumachen, als wäre nichts. Wenn wir etwas verdrängen, dann wollen wir uns nicht bewusst selbst quälen, sondern die dazugehörigen Emotionen nicht zulassen. Außerdem wissen wir ja nicht, wie die Person überhaupt reagieren wird. Was, wenn sie mir nicht glaubt? Was, wenn sie mich nicht ernstnimmt? Was, wenn sie mich nicht versteht?

Also schweigen wir, weil es uns in diesem Moment als richtige Lösung erscheint.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass man erst viel später den Mut findet, sich anzuvertrauen.

„Warum hast du nicht einfach darüber geredet?“

Wir alle kennen diesen Spruch, und haben ihn bestimmt selbst schon mal gehört. Die Antwort lautet meist: Weil ich nicht konnte. Der Moment selbst war zu frisch, noch mehr Verletzlichkeit wollte der Körper nicht. Es ist also nicht ungewöhnlich, erst viel später den Mut zu finden, sich anzuvertrauen. Das kann Tage, Wochen, Monate oder auch Jahre später sein.

Neulich habe ich meiner Mutter im Plauderton von einer Anekdote erzählt, die sich während meiner Schulzeit zugetragen hatte. Damals war es mir sehr unangenehm, aber inzwischen kann ich darüber lachen. Meine Mutter war jedoch völlig entsetzt, dass das einfach an ihr vorbeigegangen war, und sie verstand einfach nicht, wie ich das all die Jahre für mich behalten konnte.

„Warum hast du mir nichts erzählt??? Ich wäre nicht böse gewesen, im Gegenteil. Ich wäre für dich da gewesen!“

Ja, das wäre sie. Und ja, vermutlich wäre es einfacher gewesen, wenn ich mich anvertraut hätte. Aber das eben ist das Phänomen: Darüber reden ging einfach nicht.

Nichtsdestotrotz ist es essenziell, den Ballast herauszulassen – das möchte ich hier noch mal ganz deutlich betonen. Traumatische Erlebnisse nicht zu verarbeiten kann einen in tiefe Abgründe reißen.
Je eher man sich Hilfe holt, desto besser.

Andere Kommunikationsformen:

Tagebuch schreiben
Mein Lieblingsventil, denn auch wenn  ich nicht sofort darüber reden kann, so teile ich es zumindest mit mir selbst und schiebe es nicht weg.

Brief schreiben
Damals habe ich meiner besten Freundin in einem Brief von meiner Essstörung erzählt. Ich konnte es nicht von Angesicht zu Angesicht tun, daher war der Brief ein guter Mittelweg.

Frage – Antwort Spiel
Meine Schwester ist ein Mensch, der nie von sich selbst aus etwas erzählen würde. Sie antwortet jedoch, wenn man konkret nachhakt und es ihr quasi aus der Nase zieht. Die Antwort besteht dann manchmal nur aus einem Nicken oder Kopfschütteln, doch auch das ist eine valide Kommunikation.

Anteasern, z.B.: „Mir geht es nicht gut, aber ich kann gerade noch nicht darüber reden.“
Damit kommunizieren wir, dass da was ist, das uns beschäftigt, setzen aber zugleich auch unsere Grenze, nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen. Unser Gegenüber weiß trotzdem Bescheid und nimmt aufgrund dieser Tatsache vielleicht mehr Rücksicht auf uns und unser aktuelles Verhalten.

Kommunikation mit dem Körper – zum Beispiel Sport
Egal, wie lange wir über dem Laufband rennen, vor den Gedanken und Erinnerungen in unserem Kopf können wir nicht fliehen. Es kann aber trotzdem helfen, den Frust vorerst in einen Boxsack zu schlagen oder es herauszuschreien. Mir hilft Tanzen immer besonders – ich stelle mir dann vor, wie ich alle blöden Gedanken herausschüttele.

Aber zurück zum Ursprungspunkt, das zugleich auch das Fazit ist:

Über die schweren Dinge im Leben kann man manchmal nicht sofort reden.

Wenn uns anfangs die Worte fehlen, dann ist das okay, und wir sollten uns nicht zusätzlich dafür fertigmachen, dass wir nicht darüber reden können. Aber wenn wir doch eines Tages bereit sind, dann ist es schön, wenn da jemand ist, der uns zuhören möchte. Und bis dahin könnten wir uns an einer anderen Form der Kommunikation versuchen, um nicht völlig allein und hilflos zu sein.

Hier findet ihr ein bisschen Schwärmerei fürs Tagebuch schreiben:

Das Tagebuch – mein Freund, Ventil und Begleiter in der Jugend

Liebe Grüße
Mounia

Mounia
About me

Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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