Legasthenie – eine neurobiologische Eigenschaft, mit der es sich gut lernen und leben lässt (enthält Werbung für Novakid)


“Legasthenie” kommt oft über Kinder und ganze Familien wie ein böses Krankheitsurteil und mit dem Beigeschmack von Total-Fail in der Schule. Dabei muss das gar nicht sein! Ich kenne persönlich einige Menschen, die bekennende “Leghasteniker” sind (so der eigene Witz, wenn das schriftlich kommt…

… sie wissen schon, wie es sich richtig schreibt und machen sich einen Spaß damit).
Die meisten gehen mit dieser “Schwäche” um –und sind erfolgreich und zufrieden.

Es gibt ein gutes Leben und Lernen MIT Legasthenie

UPDATE: „Legasthenie ist keine Krankheit – sie ist keine Diagnose in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10).“ – hatte ich hier mal aufgeschrieben nach einer kurzen Recherche. Daraufhin kam Protest durch die Leserschaft (danke dafür!), offensichtlich gibt es doch im internationalen Verzeichnis ICD-10 Legasthenie – als  Lese- und Rechtschreibstörung mit der Ziffer F81.0 kodiert. Und es gibt auch Unterschiede zwischen derLese- RechtschreibSTÖRUNG  und der Lese- und RechtschreibSCHWÄCHE.. beides mit LRS abgekürzt. Na super… 

Es ist für alle Beteiligten einfacher, Legasthenie so zu erfassen: Es handelt sich um eine neurobiologische Eigenschaft, eine spezifische Wahrnehmung von Informationen, die es einem Kind schwer macht, Lesen und Schreiben zu lernen.

Wissenschaftlich ausgedrückt: Es handelt sich um eine anhaltende Unfähigkeit, das automatische Lesen ganzer Wörter zu beherrschen.

Der Intellekt eines legasthenen Kindes ist nicht beeinträchtigt

Außerdem sind solche Kinder oft auch in anderen Bereichen begabt, können meistens sogar überdurchschnittlich “out-of-the-box” denken und kreativ sein. Die Geschichte kennt viele erfolgreiche Menschen mit Legasthenie: Albert Einstein, Henry Ford, Thomas Edison, Hans Christian Andersen oder Tom Cruise.

Legasthenie wird manchmal vereinfachend als eine Unterbrechung der Verbindung zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte beschrieben.

Die Ursache der Legasthenie ist noch nicht vollständig geklärt. Einige Forscher glauben, dass es an der Vererbung und der besonderen Struktur des Gehirns liegt, andere sprechen von den Besonderheiten der Lage der lichtempfindlichen Zellen im Auge. Der Begriff „Legasthenie“ wurde übrigens erstmals von dem deutschen Augenarzt Rudolf Berlin geprägt. Er beschrieb das Problem als „verbale Blindheit“.

Die Logopädin Natalia Alexandrovna Shakhanova, die an diesem Thema auch mit meinem Kooperationspartner Novakid zusammenarbeitet, hat wichtige Erkenntnisse. Sie hilft Kindern mit dem Erlernen von Sprache, und sensiblisiert auch Lehrkräfte für das Thema im Sinne einer Frühdiagnostik. Ihre These:

“Die Legasthenie beruht in der Regel auf bestimmten Entwicklungsbesonderheiten, die mit den Besonderheiten der kognitiven Informationsverarbeitung zusammenhängen. Insbesondere hat das Kind ein Problem mit der phonologischen Decodierung (phonemische Hörstörung). Dies bezieht sich auf die Fähigkeit, einzelne Laute aus einem Wort herauszuhören. Schon vor dem Besuch eines Logopäden können Eltern feststellen, dass das Kind ähnlich klingende Wörter wie ‘Nägel’ und ‘Ellenbogen’, ‘Käfer’ und ‘Knöpfe’ usw. verwechselt.”

Zweisprachige Erziehung war ein Lebensretter

Maxim Azarov, Vater mehrerer Kinder und der Gründer von Novakid, hat sich mit dem Thema als Vater und Unternehmer auseinandergesetzt: „Wir merkten, dass unserem Kind das Lesen schwerer fiel, als es mit fünf oder sechs Jahren hätte sein können“, sagt er.

“Ich glaube, dass es in dieser Situation sehr wichtig ist, bei einem Kind keinen Minderwertigkeitskomplex zu bilden. Es soll nicht denken, dass es krank ist, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Es ist wichtig, dass das Kind vor seinen Mitschülern nicht zurückweicht. Eltern sollten sich daher überlegen, wie sie den Mangel an Grundfertigkeiten mit anderen, vielleicht fortgeschritteneren Fertigkeiten kompensieren können. Legastheniker sind oft kreativ begabt, und diese Facetten ihrer Begabungen können und sollten gefördert werden.

In unserem Fall war die Tatsache, dass wir unsere Kinder zweisprachig erziehen, ein Lebensretter.

Die Kenntnis einer Fremdsprache als Muttersprache erlaubte es ihm, sich unter seinen Klassenkameraden zu beweisen. Da er aber praktisch von Geburt an ’nach Gehör‘ unterrichtet wurde, gab es keine Probleme. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine nicht gedolmetschte kommunikative Methode mit Muttersprachlern für Kinder, auch für solche mit kognitiven Behinderungen vorzuziehen ist.

Mimik, Gestik und Bilder helfen, sich gegenseitig zu verstehen. Der Versuch, unbekannte Wörter in gedruckter oder elektronischer Form zu lesen, verursacht nur Kopfschmerzen. Solches „unübersetztes“ Englisch wird am besten „im Subkortex“ abgelegt.”

Auch in der Tollabea Facebook Community habe ich nach Erfahrungen mit Legasthenie gefragt und hier sind drei von vielen Kommentaren, die mich zutiefst beeindruckt haben. Denn sie zeigen, dass ein frühes Erkennen der Schlüssel zu einem bewussten und positiven Umgang damit ist.

Lehrerin als Glück

Valentina: Ich habe Legasthenie. Mit Fleiß und Disziplin habe ich sowohl die Schule als auch die Ausbildung und das Studium geschafft, die deutsche Sprache mit 16 von null gelernt und bin eigentlich so gut wie unauffällig (außer ich lese Mal was Neues spontan und laut. Dann gibt es oft großes Gelächter. 🤣)

Mein Glück war meine erste Lehrerin: Sie hat superschnell erkannt, dass bei mir etwas nicht stimmt und hat mich dementsprechend gefördert. Ich musste nie vor der Klasse laut vorlesen. Ich musste nie Gedichte auswendig lernen und aufsagen, sondern musste nur nacherzählen ❤️. Diese Lehrerin war damals noch sehr jung und dennoch schon so toll. Ich liebe sie dafür. Wir stehen bis heute in Kontakt. Sie ist inzwischen auch in Deutschland und darf nicht als Lehrerin arbeiten– das macht mich so traurig. Wer weiß, wie viele Kinder untergegangen sind, weil sie diese eine fantastische Lehrerin NICHT hatten…

Sogar Lehramt als Legasthenikerin studiert

Christine Schiefer: Bei meinen Töchtern wurde es diagnostiziert. In der Grundschule wurde die Diagnose nicht anerkannt. Die Große sollte daher von der Lehrerin auch nur eine Hauptschulempfehlung bekommen.
Sie kam auf eine Gesamtschule. Die hat die Diagnose sofort anerkannt. Die hatten dann auch hauseigene Legasthenie-Lehrer, die den betroffenen Kindern dann Zusatzunterricht gegeben haben.
Zu Hause haben wir viel mit dem PC gearbeitet. Sei es Schreiben, sei es Lernprogramme, aber auch viele Dokumentationen geschaut. Das was „normale“ Kinder sich erlesen haben, haben wir mit Videos, Filmen und Hörbüchern gemacht.
So hat es unsere Tochter auch ins Aufnahmeprogramm für das Hector-Seminar geschafft.
Unserer Gesamtschule verdanken wir viel. Beide Mädels haben Abitur gemacht, die Kleine hat sogar Lehramt studiert.

Bildliche Erinnerungskraft, Tagträume und Vorstellungskraft

Amélie Tusche: Ich habe Legasthenie. Es war ein Horror. In der Grundschule war ich in 5 Klassen. Eine einzige Lehrerin nahm mich ernst. Zwei stellten mich als dumm dar. Einer setzte mich sogar abseits der Klasse mit Sonderaufgaben. Ich habe drei Gutachten von Fachkliniken. Diese hat eine Lehrerin nicht akzeptiert. Sie hat mich ohne das Wissen meiner Eltern auf einer Sonderschule für geistig beeinträchtigte Kinder angemeldet und teilte es mir im Flur mit. Sie meinte, ich solle es doch bitte meine Eltern mitteilen, zudem könne ich froh sein, wenn ich später mal einen Job als ‘Putze’ erlangen würde. Das gab richtig Ärger.
Während der gesamten Grundschulzeit war ich bei Gutachtern, Tomatis (eine Therapieform), bei der Ergotherapie… Irgendwann habe ich geweint und meinte, ich will nicht mehr so oft ins Krankenhaus zu Untersuchungen. Ich kam schlussendlich auf die Gesamtschule.

Alles war super bis zur 9. und 10. Klasse. Ich war im Grundkurs, weil ich Rechtschreibfehler habe… Oh Wunder: Ich hatte immer eine 2 auf dem Zeugnis. In den E-Kurs (Erweiterungskurs) kam ich aber nicht. Der Grund: Ich solle doch an meinen Rechtschreibfehlern arbeiten. Ich habe der Lehrerin erneut erklärt, dass ich es nicht ändern kann. War ihr egal. Andere Schüler mit 3 und 4 auf dem Zeugnis steckte sie aber in den E-Kurs. Meine Mutter wollte das klären, als Tennie lässt man sich aber nicht rein reden und will es alleine machen. Tja. Schade. Denn der E-Kurs hätte mir gefehlt, um an der Schule mein Abi machen zu können…

Studiert habe ich trotzdem. Aber auch in der Uni erlebte ich Spott. Sowohl von Dozenten wie auch von Kommilitonen. Und das in einem Fachbereich, der soziale Kompetenzen aufweisen sollte. 🙈

Heute bin ich Therapeutin. Als ich mal meine alte Schule besucht habe, war ein Lehrer erstaunt und meinte dann im Nebensatz, er hätte schon immer gewusst, dass aus mir mal was wird. Naja…. 😅

Übrigens, Legasthenie und LRS (Lese-Rechtschreibschwäche) ist nicht dasselbe. Sogar Fachpersonal beschreibt dieses gerne als ein und dasselbe. Nein,st es nicht. 🙈

Mein Sohn wird getestet, sobald dies möglich ist. Ich habe es von meiner Oma geerbt. Wir haben die Legasthenie aufgrund eines zentralen Hörfehlers. Das bedeutet nicht, dass wir nicht gut hören. Im Gegenteil. Ich höre Unterfrequenzen. Die Ärzte haben den letzten Test 4x wiederholt, weil sie sich nicht sicher waren, ob ich wirklich so gut hören kann, da es nahezu unmöglich ist 😅
Fakt ist, selbst auf einer Geburtsparty mit mehreren Menschen müsste ich schon einen Hörschutz tragen. Der Hörfehler beruht darauf, dass ich einfach die Frequenzen anders wahrnehme und somit Wörter anders höre.

Daher hat diese Methode ‘Schreiben nach Gehör’ für mich alles schlimmer gemacht und mich zur Verzweiflung gebracht.

Selbst heute bekomme ich oft den Spruch zu hören ‘so, wie man es hört’. Ähm, ja danke… Bitte buchstabiere es! Daher wird mein Sohn so definitiv das Schreiben nicht lernen! Egal ob er Legastheniker ist oder nicht.

Aber ich liebe die typischen Fähigkeiten, die ein Mensch mit Legasthenie aufweist. Ein gelesenes Wort im inneren Auge zu sehen, statt das Wort nur zu lesen. Diese unglaubliche Stärke: bildliche Erinnerungskraft, Tagträume und Vorstellungskraft! 😍Zudem diese Kreativität. Etwas, was ich mit meinem Beruf verbunden habe. Denn ich bin Kunsttherapeutin. Mithilfe der Kunst helfe ich, Unbewusstes bewusst werden zu lassen. Anhand von Kunst aufarbeiten, verarbeiten und an sich arbeiten. Sei es die Psyche, das Gleichgewicht oder einfach nur die innere Ruhe.”

Mit diesem Beitrag möchte ich Menschen Hoffnung machen, die Kinder mit Legasthenie großziehen und/oder beim Lernen begleiten.

Und in einem Video erkläre ich euch, warum das Instrumentarium meines Kunden Novakid beim Erlernen der englischen Sprache einen guten Nebeneffekt auch für Kinder mit Legasthenie hat – und allen anderen auch hilft:

Liebe Grüße,
Béa

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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2 Kommentare

Susan Hoeck-Buehler
Antworten 22. August 2021

I am writing in my mother tongue. I am also dyslexic/Legastheniker. I was a study subject in the first double blind study on SLD, Specific Language Disability, by Slingerland. I met her, later during my university time where I became a teacher for learning disabled children I have no dominant hand, foot, etc… I wrote correctly with my left hand and mirrored with my right. I struggled! As I was only allowed to write with my right had, as the theory was that the right hand patterned language onto the left brain hemisphere. My father and all 3 of my younger siblings were diagnosed Dyslexic. I see a diagnosis not as a label, but as a recipe to guide my steps. I have lived in Germany now for nearly 30 years. I speak German, but never had a class. Writing is still a struggle. My work has always been in English as I was an international school teacher/administrator who married a German national.
I am now retired and COVID has stymied my plans to volunteer. Sadly.

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