„Mindestens vier Lösungswege!“ – wie mir mein Mathelehrer Gedankenfreiheit eingeimpft hat
Leute, ich habe euch versprochen, mehr aus meiner Kindheit zu erzählen… Ihr wisst ja, ich bin im Kommunismus aufgewachsen, im Ceausescu-Rumänien der 70er und 80er Jahre, also in einer Diktatur. Und ich habe mich heute in einem Gespräch mit Lehrern daran erinnert, dass mein damaliger Mathelehrer mir etwas fürs Leben geschenkt hat:
Die Denkfreiheit mehrerer Lösungswege!
Ich erlebe oft, dass Lehrer in Schulen auf den „richtigen Lösungsweg“ bestehen und nur diesen gut benoten, auch wenn es andere gibt.
Mein Mathelehrer damals in Rumänien hat genau den gegenteiligen Ansatz gehabt: Er hat darauf bestanden, dass wir mehrere Lösungswege für jede Aufgabe finden. Mit vier Lösungswegen war er glücklich, mindestens zwei wollte er sehen.
Ungewöhnlich für einen Mathe-Lehrer, nicht? Er hat uns damals immer gesagt, dass das eine Lebensphilosophie sein kann: Wenn man gewohnt ist, für ein Problem (so heißt übrigens eine Mathe-Aufgabe auf Rumänisch: „problemā“) mehrere Lösungswege zu finden, dann entsteht Gedankenfreiheit. Das erweitert das Suchfeld im Kopf. Das erweitert den Optionsraum, den man in Betracht zieht:
„Leute, wenn ihr wisst, dass nur ein Lösungsweg richtig ist, dann versteift ihr euch darauf und findet unter Umständen nix. Wenn ihr wisst, dass es mindestens vier Lösungswege gibt, dann entspannt sich euer Hirn und denkt: Na mindestens einen werde ich schon finden.“
Er kam gern ins „Predigen“, wie wir damals schmunzelnd sagten… aber ich merke, dass mich das sehr geprägt hat. Im Nachhinein betrachtet war es auch eine subtile Form von politischem Widerstand. Denn in einem politischen System, in dem es nur die „eine richtige“ Denke gab, machte er uns das Geschenk der Pluralität.
Mir hat die Suche nach mehreren Lösungswege bis heute noch gut getan:
Wenn etwas nicht klappt oder nicht funktioniert, denke ich mir: „Wahrscheinlich funktioniert eben dann was anderes! Ich finde ein Lösungsweg! Eines von vielen.“ Und finde meistens eine Lösung. Das macht mich recht entspannt und angstfrei.
Ich kann mir mehrere Wege vorstellen, wie ich mein Geld verdiene. Ein Job ist schön, aber ich kann mir meinen Job auch selbst erschaffen. Ich blogge. Ich berate. Ich habe schon mal Schulen gegründet. Ich wüßte noch viel mehr, was mir Spaß macht und Geld bringt.
Mit meinen Lieblingsmenschen bin ich glücklich, und möchte sie nicht missen im Leben. Aber ich bin auch glücklich mir mir selbst und bin auch gern alleine, für mich.
Ich mache gern Kochexperimente, und koche meistens ohne Rezept und nach Gefühl… ja, auch hier gibt es mehrere Wege, ein Essen gelingen zu lassen. Oder halt auch mißlingen zu lassen! Denn: Der nächste Pizza-Dienst ist nicht weit. Und Brot mit Butter und Salz ist auch lecker und macht satt.
Auto besitzen? Als ich ein Leasecar von meiner Firma hatte, war das super. Inmitten von Berlin brauche ich das jedoch nicht unbedingt. Ich komme weit mit Sharing und Öffis, mit Taxi und Fahrrad. (Übrigens kleine Carsharing-Werbung, falls jemand DriveNow Kunde werden will: Mit dem Gutschein-Code HLMRFGCWYZ zahlt ihr eine reduzierte Anmeldegebühr und 15 Min Startguthaben)
Auch mit meinem Kind bin ich so umgegangen. Kreativ-Parenting und Ablenkungsmethoden haben mir den Alltag oft gerettet.
So, und jetzt noch eine Live-Demonstration: „Mindestens vier Lösungswege!“
Ich stelle mir vor, wie ihr genau diesen Beitrag lest und denkt: „Na toll, Béa. Die Lehrerin meines Kindes besteht immer auf den einen Lösungsweg, mit ihr ist einfach nicht zu diskutieren, sie blockt alles ab, wir pampig und gibt dann noch schlechtere Noten. Wat nu?“
Das heißt, die Lösung Nr. 1, die wir kennen und schätzen, die „Wir suchen das Gespräch“-Patentlösung ist schon mal nix.
Tja, so eine Schreckschraube hatte meine Tochter in der 3. Klasse. Sie machte Elterngespräche mit einer Küchenuhr, nach 5 Minuten war die Zeit abgelaufen und es gab kein Ergebnis.
So habe ich den Optionsraum verändert mit 3 weiteren Lösungswegen.
2. Ich habe mich als Sherlock Holmes verkleidet (ein Trenchcoat und eine Lupe tun es völlig) und habe mit Carina und ihrer besten Freundin Laura manche Aufgaben spielerisch nachbearbeitet – nicht für die Schule, sondern für uns. Zu Hause. Das hatte den Vorteil, dass die Mädchen das Gefühl hatten, sie haben Spaß hinter dem Rücken der doofen Lehrerin und das haben sie gern gemacht.
3. Ich habe für einen Sommerfest der Schule Polaroid als Sponsor organisiert. Es gab üppig Kameras und Film-Munition zu gewinnen. Ratet mal für was: Für mehr Lösungswege für kleine Aufgaben. Der Direktor fand das großartig.
4. Wir haben im darauffolgenden Jahr die Schule gewechselt.
So, und jetzt seid ihr dran: Ob ihr Eltern oder Lehrer*Innen seid, was könnt ihr tun, um euren Kindern auch das Geschenk des Denkens in mehreren Lösungswegen mitzugeben?
Ich bin gespannt…
Liebe Grüße,
Béa
- 17. Jun 2018
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