Social Media Therapie – TikTok, Instagram & Co.


Heute mal locker vom Hocker (ok… Relaxsessel): Meine Gedanken zu Social Media Therapeut:innen (vor allem Instagram und TikTok).

Ja, ich habe TikTok für mich entdeckt. Gerade für neue Rezeptideen und Katzenvideos.
Ich hatte vor einiger Zeit einen kleinen Kater zur Notfall-Pflege und er fehlt mir doch sehr.

Und dann kamen immer mehr Therapeut:innen oder Menschen, die sich dafür halten, in meinen Algorithmus.

Anfangs fand ich das noch spannend. Dann stellte ich irgendwann fest: Vieles ist ziemlich einseitig und bleibt an der Oberfläche.
Vor allem wurde mir irgendwann bewusst: Entgegen jedem Wissen aus meiner Therapie und der Arbeit, die ich in den letzten 3 Jahren in mich gesteckt habe: Fühlt es sich doch richtig angenehm an, es mir einfach zu machen.

Was mir natürlich klar ist: Wie viel kann ein Therapeut in ein kurzes Video packen oder in ein schön gestaltetes Schildchen für Instagram? Das ist begrenzt.

Vorab: Das wird kein Artikel, der zerreißt, was Therapeut:innen da auf die Beine stellen.  Ja, ich werde auch auf die Schattenseiten aufmerksam machen, die ich da sehe. Mir ist wichtig, dass Menschen achtsam und reflektiert mit dem Thema umgehen und es kann ja auch unsere Kinder betreffen. Ich bin durch meine Söhne auf TikTok aufmerksam geworden.

Social Media an sich ist ja schon eine Medaille mit zwei Seiten:

Ich kann mich mit Menschen verbinden, die meine Interessen teilen, ich kann mich informieren, unterhalten und entspannen. Und es gibt da Menschen, die gerne Geld machen möchten, berühmt werden wollen und die quasi meinen (unreflektierten) Konsum von Social Media nutzen, um mich zum Produkt zu machen. Es liegt also an mir, hier auf mich zu achten. Die Inhalte stelle ich mir so vor: Wie ein riesiges Einkaufszentrum für seelisch hungrige Menschen, die mit knalligen Auslagen am Fenster in den Laden gezogen werden.

Wie, die machen mich zum Produkt?

Nun ja, wenn ich nicht aufpasse, dann finde ich vielleicht Probleme bei mir, die vorher nicht da waren. Schließlich sind das ja Expert:innen, die das ansprechen! Und genau das ist einer meiner Punkte:

Diese Experten produzieren Content für eine breite Masse! Sie sprechen nicht mich direkt an!

Auch wenn sich das manchmal so anfühlen mag. Ob ich nun ein Horoskop lese oder die TikTok und Instagram Sachen auf meine persönliche Situation beziehe, ist ähnlich. Es liegt bei mir und wie reflektiert ich damit umgehe.

Was Instagram und TikTok „Therapie“ vor allem von wirklicher Therapie unterscheidet:

Therapie ist eine Beziehung zwischen mir und meinem Therapeuten. Hier geht es alleine um meine Belange. Sie ist auf mich zugeschnitten. Diese therapeutische Beziehung basiert auf Vertrauen und sie ist harte Arbeit. Therapeut:innen geben keine Ratschläge, so wie sie auf Social Media zu finden sind: Sie reflektieren mit ihren Klient:innen, damit jeder die Lösung für sich finden kann. Und hier spielt eben Selbstreflexion eine wichtige Rolle.

Wie empfinde ich das nun mit den Instagram-Bildchen und den TikTok Videos mit therapeutischem Inhalt?

Ich empfinde sie mehrheitlich eindimensional und plakativ. An dieser Stelle: Auch ich habe mich davon einige Male leiten lassen. Es ist einfach vor dem Smartphone zu sitzen, mir die immer gleichen Affirmationen anzuschauen, die sagen: Ich bin gut genug.

Alles, was ich mache, ist toll. Und ich würde das nur zu gerne glauben in manchen Momenten!

Was ich allerdings in der Therapie gelernt habe: Es ist eben nicht so! Auch ich bin manchmal das Arschloch und nicht immer „die Gute“. So wie es jeder Mensch eben ist. Auch ich tue und sage Dinge, die andere verletzen. Und hier ist es wichtig, dass ich an mir arbeite! Dass ich in den Spiegel sehe und auch diese nicht so angenehmen Dinge wahrnehme.

Instagram und TikTok-Therapie fühlt sich für mich oftmals an, wie einen rosa anstreichen, Menschen wiegen in: „Ach, egal was du tust, verzeihe es dir einfach.“

Auf der anderen Seite: Je nachdem, in welchem seelischen Zustand jemand gerade ist, nimmt er sich diese Botschaften vielleicht ganz anders an: „Mit mir stimmt gravierend etwas nicht! Ich mache alles falsch!“

Und dann sitzt da niemand und spricht das mit diesen Menschen durch. Auch wenn ein Mensch mit therapeutischem Hintergrund diese Botschaften veröffentlicht: Mit dem Ergebnis sind „die Konsumenten“ dann alleine.
Gerade bei Teenagern, die womöglich gerade eine schwere Zeit durchmachen, halte ich das teilweise auch für gefährlich.

Mein Therapeut hat mal zu mir gesagt, dass er oftmals sehr erstaunt war, was Menschen aus den Dingen machen, die er zu ihnen sagt. Und ich schließe mich hier nicht aus! Aus diesem Grund war es wichtig, dass ich auch wiedergebe, was ich verstanden habe und wie ich das auf meine Situation beziehe. Das funktioniert natürlich nicht bei Social Media Therapieinhalten. Ich nehme das und egal, wie ich es verstehe, so ist es dann für mich.

Hier spielt für mich auch der Punkt „Pathologisierung“ mit rein.

Natürlich sind die Inhalte der Therapeuten auf Social Media einfach gehalten, wenn auch viel mit Fachsprache unterlegt. Vor allem werden jede Menge Informationen komprimiert. Besonders fällt mir auf, dass Menschen und Situationen hier manchmal in Schubladen gesteckt werden:

Wenn xy das tut, ist er womöglich ein Narzisst!
Wenn du diese Situation xy empfindest, deutet das auf soziale Ängste hin!
Wenn deine Eltern  xy gesagt haben, hast du ganz bestimmt ein Trauma. Hier musst du dran arbeiten.

Ähm! Vorsicht! Nicht einfach so für mich übernehmen!

Wenn ich, als einfache Userin, einen Kommunikationspsychologen als Antwort auf sein TikTok Video darauf hinweise, dass Ghosting nicht in jedem Fall ein Zeichen dafür ist, dass jemand nicht besonders persönlich entwickelt ist, dann bleibt mir da die Spucke weg. (Dieser Psychologe hat das bestätigt und meine Punkte auch dankbar angenommen. Im betreffenden Video allerdings bleibt der Inhalt gleich.) Bei vielen Themen empfinde ich die Inhalte einfach eindimensional, sie pathologisieren und sie regen nicht zur Reflexion an.

Ich mache den Therapeut:innen hier keinen Vorwurf!

Sie versuchen auch Themen, die ihnen am Herzen liegen, an die Menschen zu bringen. Nur wünsche ich mir hier: Aus mehreren Sichtweisen und vor allem stets mit Hinweisen versehen: Bitte schaue, ob es zu dir passt. Nicht alles, was sich im ersten Moment so anfühlt, ist auch passend für mich und meine Situation.

Auch der Hinweis: „Bitte diagnostizieren und therapieren Sie jetzt nicht die Menschen in Ihrem Umfeld!“ fehlt mir mehrheitlich.

Wie viele Menschen „spielen“ denn Hobbypsychologe? Ah! Da habe ich was im Internet gesehen. Der Mensch ist bestimmt ein Narzisst, Borderliner, Autist etc. Diese Diagnosen obliegen allerdings dem Fachpersonal, dass diesen Menschen behandelt!
PS: Ich habe in meiner Therapie gelernt, dass jeder irgendwelche Züge (zum Beispiel narzisstische Züge) von etwas hat, ohne gleich in eine Schublade gesteckt zu werden. Dazu hat mein Therapeut zum Beispiel mit mir etliche Tests gemacht, um zu sehen, was bei mir tatsächlich da ist.

Wo mir das mit den Schubladen besonders oft auffällt, sind Inhalte zu Beziehungsthemen.

Hier wird den Menschen erklärt, welche Beziehungstypen es gibt und welche Verhaltensweisen zu den einzelnen Typen passen. Zack! Kann jeder Laie sein Gegenüber in eine Schublade einordnen und vor allem die Schuld an jeglichen Problemen dann dem anderen zuschieben. Schließlich sagt die Internetpsychologie das ja!

Nein! Denkste Puppe! So einfach ist das nicht.

Oder auch gerne: Alle Menschen haben ein Trauma und müssen ihr inneres Kind heilen.
Um meine Söhne zu zitieren: WTF?

Die Moral von der Geschicht‘? Social Media Therapie gibt es nicht.

Ja, manchmal sind Affirmationen und positiver Zuspruch Balsam für die Seele. Ich nehme solche Inhalte auch Jahre nach meiner Therapie noch zum Anlass, in mich zu schauen: Warum genau spricht mich jetzt dieser bestimmte Beitrag so an? Bei welchen Themen schaue ich lieber weg oder es entwickeln sich unangenehme Gefühle in mir? Das ist übrigens ein Zeichen für mich, dass ein wunder Punkt in mir getroffen wurde, den ich genauer beleuchten sollte!

Ich bin achtsam dafür, was meinen Bias füttert, wo ich unterbewusst Bestätigung suche. Von all den psychologischen Inhalten da draußen, warum suche ich mir genau diesen aus? Mich bestätigen, auch wenn ich vielleicht daneben liege, ist für mich nicht hilfreich! Besonders dann, wenn ich andere Menschen dann verurteile oder beschuldige.

Warum bekomme ich immer und immer wieder ähnliche Sachen angezeigt? Mir hier bewusst machen: Was ich like und wo ich kommentiere, diesen Algorithmus füttere ich. Manchmal bin ich erstaunt, wo ich dann gelandet bin.

Wie bei allen Online Themen ist es also an mir nicht „blind“ zu konsumieren, sondern achtsam und bewusst.

Ja, es ist angenehm, mich nicht meinem Kram stellen zu müssen. Wenn es dann aber ins Gegenteil ausschlägt: Ich mache es mir einfach, denn es liegt bei den anderen: Sagen ja die Social Media Therapeut:innen!
Spätestens wenn mir das bewusst ist: Pause! Oder auf entfolgen klicken.

Anderes Beispiel nur kurz: Die vielen Ernährungsexperten.

Wenn ich mir die Angebote so anschaue und vielleicht sogar kombiniere, dürfte ich überhaupt nix mehr essen oder mich 5x täglich von Magerquark ernähren. Oder ich esse Dinge nur noch, wenn ich mit bunten Fähnchen und ’nem rosa Schlüppi uffm Kopp ums Lagerfeuer tanze. Selbstverständlich nicht in Uhrzeigerrichtung, weil das ja ungesund ist und fett macht!
Haferflocken: Ja! Haferflocken: Um Jottes Willen! Niemals essen!

Mein lieber Schwan! Auch hier: Achtsam sein und mir jemanden suchen, der mit mir an den Dingen arbeitet, die auf mich passen.

Ich sage nicht, dass einiges davon nicht lehrreich und hilfreich ist. Ich sage: Reflektieren, genau hinschauen. Bitte nicht andere Menschen pathologisieren und vor allem: Hilfe im realen Leben suchen, wenn es notwendig ist!

Bei zwischenmenschlichen Problemen: In Kommunikation gehen und gemeinsam arbeiten, statt Social Media therapeutische Inhalte als Anlass zu sehen: Ah! Da haben wir es ja ganz genau, was mit meinem Gegenüber nicht stimmt!

Es gibt kein schwarz-weiß. Es gibt viele Nuancen dazwischen.

mindfulsun

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About me

Mensch, Mama zweier Jungs, die versucht ihre Werte zu leben und die innere Balance zu halten. Ich schreibe über Achtsamkeit, vegane Ernährung, Nachhaltigkeit und verbindende Kommunikation von Herzen. Was ich mir wünsche? Einander mit mehr Mitgefühl und Empathie zu begegnen, überall auf der Welt.

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