Was wäre, wenn Du Deinen Diabetes jemand anderem geben könntest?
Wieder einmal lag Junior bis tief in die Nacht wach in meinem Bett und schlief auch noch nicht, als ich um Mitternacht schlafen gehen wollte. Also fragte ich ihn: „Was wäre, wenn Du Deinen Diabetes jemand anderem geben könntest?“ Seine erste spontane Antwort war natürlich: „Das geht doch gar nicht!“
Da hat er recht. Aber genau diese Frage stellten sich viele Diabetes-Blogger zu Beginn der Diabetes Blog Woche 2018. Und weil Junior auch um Mitternacht noch ziemlich munter war, war ich neugierig, was einem 10 Jahre alten Jungen wohl dazu einfallen würde.
„Ich würde meinen Diabetes Dir geben“, sagte er schließlich zu mir.
Ich fragte ihn, warum und seine Antwort war ein großes Kompliment:
„Weil Du Dich so gut auskennst und das bestimmt gut hinbekommst.“
Tatsächlich habe ich gerade erst selbst ausprobiert, wie es sich mit Diabetes lebt. Jedenfalls, soweit es einem gesunden Menschen überhaupt möglich ist. Ich habe eine Insulinpumpe getragen, natürlich ohne Insulin. Dazu habe ich einen Glukosesensor getragen, der den Zuckergehalt im Unterhautfettgewebe misst.
Auf der Pumpe konnte ich genau sehen, was in meinem Körper passiert, wenn ich ein Brötchen, Sushi oder Eis esse. Oder Low Carb. Warum man bei manchen Sachen schnell wieder Hunger bekommt oder wo manchmal das Unterzucker-Gefühl herkommt. Das war schon spannend.
Ab und zu habe ich auch einfach vergessen, mir „Insulin“ für das Essen zu geben. Bei meinem Sohn passiert mir das nie. Aber ich verstehe jetzt auch, warum das bei einem spontan genaschten Kinderriegel schon mal passieren kann. Im Gegensatz zu mir hätte das für einen Diabetiker allerdings in den meisten Fällen unangenehme Folgen.
„Wem würdest Du Deinen Diabetes noch geben?“
„Meinen Schwestern, damit sie nicht mehr so viele Schokorosinen essen können.“
Ja, das ist natürlich blöd, wenn man da immer zugucken muss und keine abbekommt. Das heißt aber nicht, dass er sie gar nicht essen kann. Es liegt eher daran, dass für Junior meistens schon Schlafenszeit ist, wenn die große Schwester die Schokorosinen rausholt.
Und dann fragte er mich, wem ich selbst den Diabetes geben würde, wenn es meiner wäre.
Auch mir fiel die Beantwortung nicht leicht, schließlich ist das für mich eine sehr theoretische Frage. Viele Diabetiker möchten ihren Diabetes den besonders schlauen Mitmenschen gönnen, die der Meinung sind, die Diabetiker hätten nur weniger Zucker essen sollen, dann wären sie gesund geblieben. Oder sie bräuchten nur mehr Sport treiben und sich gesund ernähren, dann ginge das wieder weg. Für Typ 1 Diabetiker, die ja nun wirklich gar nichts für ihre Stoffwechselstörung können, muss sich das wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen oder zumindest den Tatbestand schwerer Beleidung erfüllen.
„Hoffentlich begegnen mir solche Menschen nie“, stellte Junior fest.
Und ich hoffe, dass er es dann einfach so handhabt wie ich:
Ich rege mich über das Unwissen, und manchmal auch über die Beratungsresistenz der Leute nicht auf. Aufklärung ist mir wichtiger. Und wer es dann immer noch „besser“ weiß: Ja, das ist dann halt so. Aber das betrifft die meisten zum Glück nicht.
Und dann hat Sohnemann noch überlegt:
„Stimmt es, dass meine Freundin auch Diabetes bekommen kann?“
Seine Freundin hat Mukoviszikose, eine Stoffwechselkrankheit, bei der meistens auch die Bauchspeicheldrüse betroffen ist. Also ja, sie kann auch Diabetes bekommen. Das findet Junior gut. Nicht, dass er jemandem tatsächlich einen Diabetes wünscht, sondern die Gemeinsamkeit, diese Art der Zusammengehörigkeit:
„Wenn ich meine Freundin später heirate und sie dann auch Diabetes bekommt, dann kennen wir uns beide aus.“
Ich glaube, wir haben Juniors Diabetes gut im Griff, auch wenn ich noch eine Weile den Löwenanteil daran haben werde, dass alles gut läuft. Und die meiste Zeit ist es für ihn auch völlig in Ordnung, mit seiner Erkankung zu leben.
Zumindest aus heutiger Sicht haben wir keinen Grund, den Diabetes jemand anderem an den Hals zu wünschen.
Liebe Grüße
Eure Doro