Wir dürfen beginnen, Trennungen zu ent-schrecklichen! Plädoyer von Mareike Fell
Ihr Lieben, ihr habt von Mareike Fell von der Sinn-Stiftung schon einiges hier im Blog gelesen, in diesen ersten Tagen des neuen Jahres schreibt sie über Trennungen. Und wie die Idee zu ent-schrecklichen ist. Bin gespannt, wie eure Erfahrungen dazu sind:
Trennungen ent-schrecklichen
Eine Trennung kommt meist nicht Knall auf Fall – sie kündigt sich an. Vor allem, wenn Kinder im Spiel sind, wird nicht einfach aufgegeben: Es wird gekämpft, festgehalten, gelitten, kontrolliert, es werden Vorwürfe gemacht und Beleidigungen ausgesprochen. Es wird für alle Beteiligten unaushaltbar – und doch wird weit über die eigenen Grenzen ausgehalten; für die Kinder.
Hier irgendwo steigt einer von beiden aus. Entweder innerlich oder äußerlich. In beiden Fällen hat das klassische Konzept Familie nun keine Chance mehr.
Spätestens jetzt heißt es: Wie nun auseinander? Dieses Plädoyer ist für Eltern, denen es miteinander nicht mehr gut geht. Denen der Gedanke, noch viele Jahre mit der oder dem anderen zusammenbleiben zu „müssen“, Bauchschmerzen bereitet. Denen aber auch die Idee einer Trennung Kummer bereitet. Ein Plädoyer also für die, die meinen, nicht mehr vor und nicht mehr zurückzukommen, begleitet von Gefühlen der Ohnmacht, der stillen oder auch offenen Wut, der Verzweiflung und der Aufopferung. Ein Plädoyer für die, die zu zerbrechen drohen an dem Ideal, mit dem sie einmal angetreten sind – und für die es scheinbar nur noch zwei Wege gibt: Die totale schreckliche Trennung oder das Aufgeben ihrer selbst.
Es wird Zeit, an alten Trennungsmythen zu rütteln! Neue Wege zu gehen!
Trennungen zu ent-schrecklichen.
Als systemische Familienberaterin begleite ich Trennungen seit vielen Jahren. Meist kommt erst eine Person allein, mit vielen Ängsten im Gepäck: Wie sage ich es der anderen Person? Worauf achten? Und vor allem: Wie sage ich’s dem Kind? Gerade Letzteres führt bei den Eltern zu vielen Sorgen. Was wird mit meinem Kind passieren? Geht das Kind womöglich kaputt? Und so sind auch Schuldgefühle immer mit dabei: Darf ich mich trennen, nur weil es mir persönlich in der Konstellation nicht mehr gut geht? Ist das nicht vermessen? Sollte ich nicht lieber weiter aushalten?
Denken wir die Entscheidung, weiter „auszuhalten“, mal zu Ende – kann man machen, sie hat aber einen hohen Preis: unsere Gesundheit.
Auszuhalten bedeutet, die eigenen Bedürfnisse zu begraben, bis sich eine bessere Gelegenheit bietet. Der konstante emotionale Stress kann – kurz gesagt, zu einer Verschiebung unserer Biochemie führen, was im bekannten „Mütter-Burnout“ enden kann, ein tiefgreifender psychosomatischer Erschöpfungszustand, in dem eine Mutter weder die Mutter ist, die sie sein will, noch ist sie dazu körperlich in der Lage.
In der Folge leidet auch diese Mutter unter massiven Schuldgefühlen – aber das ist ein andres Thema.
In meiner Arbeit versuche ich nun, diese beiden Optionen für meine Klientin gegeneinander abzuwägen: Gehen und sich schuldig machen oder bleiben und aushalten, bis zur Aufgabe des Selbst? Denn am Ende ist es diese eine Frage, die viele Mütter vor einer Trennung zurückschrecken lässt:
Wenn ich gehe, mache ich mich dann nicht schuldig?
„Woran denn?“, frage ich dann.
Es kommen immer wieder ähnliche Antworten:
Ich mache mich schuldig am Kind.
Ich bringe das Kind um seine Familie, um seine heile Welt.
Das Kind wird wegen meiner Entscheidung später beziehungsunfähig sein.
Das Kind wird wegen meiner Entscheidung für mich und mein Selbst leiden.
Wegen mir wird das Kind unglücklich.
Vermutlich wird das Kind wegen mir im Leben versagen.
Eine Trennung wird mein Kind brechen.
„Wie kommen Sie darauf?“, möchte ich dann wissen. Und es zeigt sich, dass es das Schreckensbild von Trennung ist, die dem zu Grunde liegt:
Wir werden Knall auf Fall auseinander ziehen.
Wir werden vor Gericht landen.
Ich werde meinem Kind nichts mehr bieten können.
Es wird vernichtend werden.
Das Kind wird zwischen den Fronten zerrissen werden.
Es wird Loyalitätkonflikte haben, sich entscheiden müssen.
Es wird vor Gericht aussagen müssen.
„Was, wenn das alles nicht stimmt?“
Es ist dieser kleine Satz, der alles verändern kann. Durch den eine Mutter plötzlich den Mut fassen kann, für sich zu sorgen und endlich zu gehen, und dann die Mutter sein zu können, die sie war. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Die Zeiten haben sich geändert. Trennungen müssen nicht mehr schrecklich sein!
In meiner Arbeit schaue ich auf emotionale Barrieren, die einer friedlichen Trennung im Weg stehen: Ängste, Schuldgefühle, falsche Ideale, an denen festgehalten wird – und vor allem auf diese seltsamen veralteten Annahmen über eine Trennung. Wie wir uns trennen, wird uns leider nicht beigebracht, dabei gibt es 5 einfache Schritte, die eine friedliche Trennung ermöglichen, die – wenn sie beachtet werden, eine Trennung auf Augenhöhe möglich machen. Die einen Weg heraus bieten aus dem Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben.
Es geht in einer Trennung nicht einfach nur um die Trennung von zwei Menschen, sondern genauer gesagt darum, gemeinsam raus aus der Ohnmacht auf Paar-Ebene und rein ins aktive Gestalten der Eltern-Ebene zu kommen!
Diese beiden Ebenen gehören getrennt, nicht die beiden Menschen. Die Paar-Ebene lässt sich trennen, die Eltern-Ebene nicht. Niemals.
Für diesen Trennungs-Prozess sind nicht nur emotionale Faktoren nötig wie eine gute Kommunikation auf Augenhöhe, Dankbarkeit, Abschiednahme und Individualität. Ich meine damit auch unbedingt die Entscheidung für eins der vielfältigen Trennungskonzepte heutzutage, die bei einer ent-schrecklichten Trennung möglich werden, sei es das Nestmodell, die ElternWG oder das gut organisierte klassische Modell.
Bei der Entscheidung für das Nestmodell oder die ElternWG haben Schuldgefühle keinen Raum, denn für die Kinder ändert sich nicht viel. Bestenfalls leben die Eltern ihnen vor, dass wir uns nicht aufgeben müssen für die Familie oder die Kinder. Aber auch in anderen wertschätzend gestalteten Konzepten liegt viel Kraft.
Genau das ist für mich der Punkt:
Kinder sollten sich nicht schuldig fühlen müssen, dass Eltern „nur wegen mir“ noch zusammenbleiben.
Das ist in meinen Augen die eigentliche Schuld, die Eltern auf sich nehmen, wenn sie zusammenbleiben und aushalten. Was lernt das Kind dann über Beziehungen und Familie? Wie viel Schuld bürden wir ihm beim Aushalten auf, da es sieht, wie schlecht es den Eltern geht? Zeigen wir dem Kind doch mit diesem Modell z. B. neue Wege für Familie! Und noch ein Zauber liegt in der Entscheidung gegen das Aushalten und für eine Trennung:
Haben wir uns auf Paar-Ebene getrennt und die Eltern-Ebene aktiv und konstruktiv gestaltet, haben wir nichts mehr zu verlieren. Das Rudel-Gefühl bleibt für immer.
Wichtig für diesen Weg ist die Dankbarkeit gegenüber allem Guten, was war und die bewusste Abschiednahme von der Paar-Ebene. Gerne gebe ich den Eltern dazu eine Hausaufgabe mit: Sie dürfen sich gemeinsam überlegen, was genau sie aus ihrer Paarzeit mitnehmen wollen in die Eltern-Zeit. Das ist oft so viel!
Diese Hausaufgabe hilft ganz automatisch, die Angst, die Trennungen oft hinderlich im Weg steht, zu lindern, denn letztlich steht bei existenziellen Veränderungen immer der Verlust des Alten im Raum – egal, wie unerträglich es war. Solange die Seele nicht weiß, wie sich eine bessere Zukunft anfühlt, will sie das Alte nicht hergeben. Deswegen auch die zweite Aufgabe für meine Eltern: Wie soll ihre gemeinsame Zukunft auf Eltern-Ebene aussehen? Was ist ihnen wichtig?
Auch wichtig, in dem Kontext Trennung zu wissen: Kinder sind kleine Egoisten – im besten Sinne!
Wissen sie, dass für sie gesorgt ist, und dass es Mama und Papa mit der neuen Entscheidung gut geht, ist ein großer Schritt getan. Was nicht heißt, dass es ihm dabei immer gut geht und so frage ich vorsichtshalber immer gleich nach: Darf es dem Kind mit der Entscheidung auch nicht gut gehen? Darf es trauern? Denn immerhin haben die Eltern sich schon lange Zeit vorher mit der Idee auseinandergesetzt, das Kind wiederum soll die Veränderung bestenfalls einfach durchwinken…
Hier knüpft die Kommunikation gegenüber dem Kind an: Das Kind wird nicht überredet, die Entscheidung „gut“ zu finden oder dass es „keine Angst zu haben“ braucht. Alles darf sein. Auch Angst und Unsicherheit. Gut begleitet gehen Kinder so ziemlich jede Entscheidung mit!
Mit dem neuen Wissen um Trennungen und den fünf brauchbaren und leicht anwendbaren Tipps dürfen Angst und Schuldgefühle beim Thema Trennungen gehen. Und es lohnt sich. Wir dürfen das Beste für die Zukunft erwarten. Und ich möchte darüber hinaus gehen:
Sei DU doch der Circle-Breaker bei dem Tabu-Thema Trennungen!
Gestalte Deine Trennung neu, aktiv, kreativ und angstfrei. Sei damit der Leuchtturm für die, die von Dir lernen dürfen – und verändere so die Gesellschaft. Anders geht es nicht.
Lass uns die Welt verändern.
Mareike Fell
Anbei meine 5 Tipps für eine entschrecklichte Trennung:
1. Aktives Gestalten:
„Ich sage was (wir trennen uns), aber Du darfst sagen wie (unter welchen Bedingungen ist es dir möglich?)“. Grundlage hierfür ist eine genaue Ist-Analyse. Welche der vielen Möglichkeiten des weiteren Zusammenlebens auf Eltern-Ebene ist für genau uns beide möglich? Finanziell und emotional?
2. Kommunikation auf Augenhöhe:
Was brauchst Du, was brauche ich? Wie geht es Dir mit der Entscheidung? Niemand wird überredet, sondern alle Gefühle dürfen sein.
3. Dankbarkeit:
Was aus unserer gemeinsamen Zeit wollen wir BEHALTEN? Dieser Punkt ist einer der wichtigsten, denn Trennung bedeutet für viele, alles was war zu verlieren. Was aber, wenn alles bleibt, was gut war? Wir trennen uns nur von all den Erwartungen an einen Liebespartner und lassen uns frei? Umarmt und dankt euch! Kümmert Euch umeinander in dieser Zeit.
4. Abschied:
Auch dieser Punkt wird gerne unterschätzt. Aber Neues kann nur entstehen, wenn wir das Alte würdig und bewusst verabschiedet haben. Allzu oft erlebe ich, dass etwas „ja wohl klar sein sollte“ – aber nicht ausgesprochen wird. Nein! Eine entschrecklichte Trennung braucht sehr viel Klarheit und Ehrlichkeit.
5. Vom Ideal zum Individual:
Verabschiede des Familienideal, an dem du so hängst – aber nicht ohne Grund verzweifelt bist. Ein Ideal kann und sollte immer nur eine Orientierung sein, die man auf genau die eigene Situation übersetzen darf. Was gefällt mir so an dem Ideal? Wie bekomme ich das anders hin?
Disclaimer: Eine ent-schrecklichte Trennung braucht natürlich zwei. Wenn einer nicht will, kann es keine friedliche Trennung geben. Und trotzdem helfen diese Punkte auch dann, Brücken zu bauen über die der andere gehen kann, wenn er soweit ist. Sollten Sie sich fragen, wofür Sie sich diese Mühe machen, schauen Sie in die Augen Ihrer Kinder – und in den Spiegel. Es lohnt sich immer.
Folgt Mareike auch auf Instagram, es lohnt sich!
- 04. Jan 2023
- 1 Kommentar
- 3
- Brief an Eltern, einvernehmliche Scheidung, Gute Mutter, Scheidung, Schuldgefühle, schuldig, Trennungen
Nelly
13. Oktober 2023Als Scheidungskind kann ich Folgendes dazu sagen: Kinder merken immer! wenn es den Eltern in der Beziehung nicht gut geht. Ich hätte mich im Nachhinein gefreut, wenn sich meine Eltern früher getrennt hätten anstatt diese Streitigkeiten und alles aushalten zu müssen. Das hat mir (und meiner älteren Schwester) echt einen Treffer verpasst und ich habe sehr lange gebraucht, um für mich einen gesunden Umgang in meiner Paarbeziehung zu finden (inklusive Therapie).
Meiner Meinung nach ist eine Trennung besser für die Kinder als das vergiftete Familienleben auszuhalten.