Buchenwald mit Kindern: Wie Yvonne mit Ängsten ihrer Kinder umgeht.


Ich möchte euch von einer Begebenheit vor ein paar Wochen erzählen, in der vor allem mein Großer Angst äußerte. Im Nachhinein habe ich mich etwas näher mit Angst bei Kindern auseinander gesetzt. Ich habe überlegt, wie ich und mein Mann in den vergangen Jahren den Ängsten unserer Kids immer wieder begegneten. So habe ich einfach ein paar Beispiele analysiert und unsere wichtigsten Punkte niedergeschrieben.

Ich finde, ganz bedeutende Aufgaben des Elternsein ist das Begleiten, Erklären und gegebenenfalls auf Ängste eingehen. Sicher, gibt es im Verlauf des Textes einige Stimmen, die sagen: „Wie kann sie nur mit ihren kleinen Kindern nach Buchenwald fahren. Die verstehen das doch überhaupt noch nicht.“ Mit kindgerechten Erklärungen sind, aus meiner Sicht, alle Themen erklärbar. Auch weniger Schönes!

Nun aber zum Kerntext:

Neulich war ich mit meinen Kindern in Buchenwald.

Schon während der Fahrt hinter Weimar, hoch zum Ettersberg wurden die Stimmlein auf der Rücksitzbank leiser. Bis sie gar verstummten. Auf dem Parkplatz zwischen den ehemaligen Offiziershäusern angekommen, griff mein Großer plötzlich meine Hand und schaute mich mit ungewohntem Blick an. Er bat, im Auto bleiben zu dürfen, er bat, nicht mitkommen zu müssen. Ich beugte mich zu ihm und seiner Schwester hinunter, fasste ganz fest seine Hände und versicherte ihm, dass wir Nichts ansehen würden, was sie verstören würde. Dass ich alles vorab ansehen würde, bevor die Kinderaugen etwas wahrnehmen würden. Dass ich auf sie aufpassen würde und ich ihre Furcht verstehen würde.

Und damit habe ich wohl etwas ganz Wichtiges getan und gesagt. Ich habe meine Kids und deren Ängste ernst genommen und habe ihnen versichert, auf sie aufzupassen.

Wir gingen nicht in die Ausstellungen.

Wir gingen auch nicht durch das Tor des Konzentrationslagers mit der bekannten Inschrift „JEDEM DAS SEINE“. Wir blieben draußen. Gingen entlang des unüberwindbaren Zaunes, schauten in die Weite des Lagers, auf die Grundmauern der Baracken.

Wir nahmen uns viel Zeit am „Zoo“, in dem 2 russische Braunbären zum „Vergnügen“ der Angestellten und deren Familien gehalten wurden. In Wurfweite des Krematoriums, dessen Schornstein noch immer erhalten ist.

Die Kinder waren sehr nachdenklich. Sehr traurig. Sie stellten viele Fragen, die ich alle versuchte zu beantworten.

Sie wollten nicht hinein. Und ich drängte sie nicht hinein.

Und das war gut so. Denn für einen ersten Eindruck zum Grauen der Nazizeit und eventueller Parallelen in die heutige Zeit in anderen Ländern, dafür habe ich sie mit dieser kindgerechten Stippvisite sensibilisiert.

Sie kannten bereits die Thematik „KZ“ oder auch „Vernichtungslager“, denn auch vor den Toren Berlins kann man der Nazigeschichte begegnen. Aber vor Ort, so hautnah, haben sie dieses Grauen noch nie gespürt.

Auch Wochen nach unserem Ausflug sprechen sie vom Bärengehege neben der Gaskammer. Was mich nicht beunruhigt.

Es soll in ihnen arbeiten, wir sprechen darüber.

Sie sollen sich dessen bewusst sein, was Menschen anderen Menschen antuen können. Und sie sollen sich auch darüber klar sein, dass sie in einem Land leben, in dem sie – unsere Kinder – die Zukunft in der Hand haben. Sie entscheiden. Sie wählen.

In ein paar Jahren werden wir auch den Schritt durch das Tor wagen. Wir werden uns viel Zeit nehmen. Wir werden auch zum Glockenturm, hinunter an die Massengräber, gehen. Sie werden geschockt bei den Bild- und Tonaufnahmen, bei den Zahlen sein. Es werden sich auch bei ihnen Bilder im Kopf einbrennen, die für das ganze Leben bleiben. Und sie sollen bleiben.

Ich denke nicht, dass meine beiden Großen zu jung für einen ersten Besuch in Buchenwald waren. (Mini war zwar auch dabei, für ihn hatte es aber eher den Charakter eines Spazierganges..)

Auch Gräueltaten und Tagesnachrichten können Kindern kindgerecht erklärt werden. Das ist unsere Aufgabe.

Nun einige Beispiele, die euch eine kleine Hilfestellung geben sollen, wie ihr auf die unterschiedlichen Arten von Kinderangst eingehen könnt.

Es gibt ganz unterschiedliche Angst von Kindern – phasenweise, oberflächliche oder tiefgreifende. Das Wichtigste ist aber immer: Worte ernst nehmen, das Kind ernst nehmen und den Grund für die Angst finden!

Ich halte sehr viel vom Erklären und Selbständigkeit lernen. Aus meiner Erfahrung festigt das die Kids.

Aber, egal wann und wo! Augen und Ohren sollten jederzeit offen für Gefühlsaussprüche eurer Kids sein!

Z.B. gefährliche Monster hinterm Vorhang oder unterm Bett!

Dann schaut ihr gemeinsam nach und macht den Vorhang etwas auf oder lasst gegebenenfalls ein kleines Lichtlein an. Wenn es zu dunkel ist und die kleinen 2-4-Jährigen sich nicht orientieren können, spielt sehr oft nachts ihre Phantasie verrückt.

Manchmal ist es aber auch ein Zeichen, dass Mini noch etwas Aufmerksamkeit einfordert.

Die Kleinen sind aus meiner Sicht nicht so klein, dass sie nicht Worte verstehen. 2-4-Jährige verstehen durchaus Worte und auch Zeitangaben. Also noch einmal 5 Minuten im Bettchen kuscheln – das wirkt wahre Wunder. Mini ist beruhigt, dass da nirgends etwas ist, hat noch ein wenig Kuschelei bekommen und ist jetzt beruhigt.

Z.B. nicht allein zur Schule gehen – oder den Klassen- oder Kitaraum betreten!

Die Größe, die Menge Menschen oder Unbekannte schrecken manche Kinder ab. Dann sprecht mit den Kids. Ruft schöne Erlebnisse, nette Rituale in ihr Gedächtnis. Oder manchmal hilft auch das Festhalten an einem kleinen Lieblingstier. Das kann in der Schule auch ein kleiner Schlüsselanhänger an der Federtasche sein!

Meine Erfahrung ist, dass ein Überwinden dieser Phase – nicht allein in einen Raum wollen – das Kind nur stärkt. Es erinnert sich an das, was es „geleistet“ hat, ist stolz auf sich und seine Selbständigkeit. Denn das Kind will ja auch ein „Großer“ sein.

Z.B. Angst vor Erschreckendem – Bilder, Nachrichten!

Ob in Tageszeitungen oder in TV-Nachrichten – Bilder können unter Umständen auch 10 -Jährige verschrecken. Ja, selbst Erwachsene. Dann heißt es erklären, sprechen und kuscheln. Meine Großen reagieren ab und an auf aktuelle Bilder verstört. Stellen Fragen, die wir dann erklären. Die Sicherheit – für unsere Kinder – dass sie derlei Dinge – hoffentlich – nie erleben müssen, müssen wir ihnen geben. Ich möchte weiterhin, dass meine Kids ohne Angst über den Alexanderplatz laufen, auch, wenn in mir drin immer das Auge wachsam ist..

Der Mini reagiert momentan stark auf Lautstärke – ob im Kino oder Musical. Er kann seine Angst auf das große Unbekannte noch nicht in Worte fassen. Denn dort sind die Handlungen, Töne und Bilder extrem für ihn. Aber auf unserem Schoß fühlt er sich besser. Er kann sich ankuscheln, wenn ihm danach ist oder hinsehen, wenn er sich traut. Er entscheidet. Aber wir geben ihm jede Möglichkeit. (genauso, wie das Bauch-an-Bauch Tragen – aber das ist eine andere Story..)

Z.B. Angst vor Kribbelkrabbeltieren, vorm Fliegen oder der Höhe. 

Angst vor derlei Dingen ist nicht angeboren und aus meiner Erfahrung Nachahmung des elterlichen Verhaltens sind.

Haben wir Eltern Schiss vor Spinnen, dann auch die Kinder. Bibbern wir Eltern vor der Höhe oder vorm Fliegen, dann auch die Kids. Das ist einfach so. Denn es ist äußerst unwahrscheinlich, dass auf einem Turm oder gar in einem Flugzeug etwas passiert. Und, dass Spinnen und Käfer in unseren Breiten grundsätzlich harmlos sind, steht außer Frage. ( Anders verhält es sich in anderen Ländern, wo es auch gefährliche Tiere gibt – aber ich schreibe hier für unsere Breiten. )

Was ist sagen will: Angst kommt in jedem Alter vor. Nicht nur bei Kindern. Erkennt den Grund und sprecht darüber – oft verschwindet der Grund dann in einer Wolke Zuckerwatte. Im besten Fall seid ihr oder eure Kids nach überstandener Angstphase sicherer, denn je.

Wie sind eure Erfahrungen mit kindlicher Angst? Wie begegnet ihr ihr?

Eure Yvonne

Yvonne Petzke
About me

Berliner Mom of 3 * zert. PersonalTrainer * Laufcoach * Beckenbodenkursleiter (M/W) * * noch mehr Sport-/ BewegungsThemen und Persönliches über mich und mein Leben auch als UltraLäuferin findet ihr auf Instagram unter @yvonnepetzke

DAS KÖNNTE DIR AUCH GEFALLEN

Zeichnung einer Frau, die widersprüchliche Gefühle balanciert. Liebe und Verwirrung, Wut und Freude
Sind widersprüchliche Gefühle normal?
29. Apr 2023
Deflektion – Strategie der Ablenkung zum Schutz des eigenen Ego
19. Apr 2023
„Ich hatte Angst, dass ich meine Familie hassen würde, weil mir keiner geholfen hat“ – Gastbeitrag über Traumatherapie nach Missbrauch in der Kindheit
28. Oct 2022
Verteidigungshaltung in der Kommunikation – Ich doch nicht!
27. May 2022
Angst, andere zu enttäuschen? Was ist FODO?
23. Feb 2022
Wie sehr zeigen wir beim Streit unser „wahres“ Gesicht?
15. Feb 2022
Corona und Freundschaften – Brücken bauen
25. Jan 2022
Menschlichkeit, einer meiner wichtigsten Werte – eine Reflexion zum Jahresende
29. Dec 2021
„Danke Angst, ich habe deine Botschaft verstanden…“ – über meinen Umgang der Angst
24. Nov 2021

4 Kommentare

Jennifer Anders
Antworten 14. September 2017

Ich wollte nur kurz darauf hinweisen, dass Buchenwald keine Gaskammer hatte.
Der Schornstein, der neben dem Zoo zu sehen ist, stammt vom Krematorium.

Ich würde NIEMALS vor dem 14. Lebensjahr ein KZ mit meiner Tochter besuchen.
Ja, Kinder müssen die grausame Wahrheit kennen, aber erst wenn sie alt genug sind sie auch zu verstehen.
Liebe Grüße.

    Yvonne Petzke
    Antworten 14. September 2017

    Liebe Jennifer,

    vielen Dank für die Verbesserung. Ich habe schon berichtigt.

    Selbst für Erwachsene ist ein Besuch in einem KZ sehr erschreckend. Da ich mit meinen Kindern nur umher gelaufen bin und wir viel gesprochen haben - ohne ein einzelnes Bild oder Video anzusehen, kann ich sagen, dass es ihnen gut geht. Und ich diesen Besuch altersentsprechend fand.

    Besten Gruß, Yvonne

Ka
Antworten 18. Januar 2018

Ich bin in dem Zusammenhang erschreckt über “auch weniger Schönes“.

Ich bin auch der Überzeugung, dass man Kinder in einem Alter, in dem sie nicht einmal den Tod eines Menschen begreifen, mit dem Tod von Zigtausenden Menschen konfrontieren muss.

    Yvonne Petzke
    Antworten 18. Januar 2018

    Liebe Katharina,
    den Tod begreifen ist selbst für Erwachsene eine schwieriges Thema. Es ging mir bei dem Besuch des Außengeländes von Buchenwald viel mehr um den Versuch einer Erklärung des ideologischen Fanatismus' und der damit verbundenen allgegenwärtigen Gefahr. Und eben, dass es viele Möglichkeiten für uns Menschen gibt, sich gegen etwas zu stellen und offene Augen und Ohren zu haben.
    Ich denke, dass ich dies meinen Großen sehr gut dargestellt habe und jederzeit darstelle. Seien es Nachrichten in der Zeitung, im Radio oder im TV.
    Alles Liebe, Yvonne

Einen Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem Stern (*) markiert.