Sommer – Sonne – Lästern über das Aussehen von anderen Menschen


Es ist heiß in Berlin und mit der Hitze kommen sie vermehrt wieder: Die bewertenden Kommentare zum Aussehen anderer Menschen. Unsere Gastkolumnistin mindfulsun hat sich vor einiger Zeit Gedanken zu diesem Thema gemacht und eine Situation geschildert.

Allerdings vorerst ein Vorwort:

Mein Nachtrag heute (2022) wird nun das Vorwort und zwar fast genau drei Jahre nachdem ich diesen Artikel geschrieben habe (2019). Mittlerweile habe ich mich weiterentwickelt. Einige Dinge in diesem Artikel würde ich heute anders formulieren. Damals steckten meine Kenntnisse zur Gewaltfreien Kommunikation noch in den Kinderschuhen. Mittlerweile lebe ich sie ja als Wert.

Um mich selbst an meine Entwicklungsschritte zu erinnern, lasse ich alte Artikel auch unverändert stehen. Was mir noch wichtig ist, bevor ihr jetzt in den Artikel startet:

1. Ich werde mich nicht mehr für meine PTBS rechtfertigen und ich schäme mich auch nicht dafür. Hier ist meine Grenze, die ich bitte zu respektieren.
2. Zivilcourage. Darüber werde ich demnächst einen eigenen Artikel schreiben. Zivilcourage (wenn ich körperlich und seelisch in der Lage bin) bedeutet für mich nicht, andere verbal anzugreifen. Auch wenn ich dann wütend bin und mein Bedürfnis nach Gerechtigkeit nicht erfüllt ist und ich anderen Menschen beistehen möchte. Hier spielt Empathie für mich eine Rolle, nicht zu verwechseln mit Verständnis.

Und jetzt zum Original-Artikel:

Sommer – Sonne – Lästern über das Aussehen von anderen Menschen

Montag 35 Grad, im Backofen Berlin stand ich an der Bushaltestelle. Dann hörte ich plötzlich ein Kichern, gefolgt von: „Schau dir mal die Fette in den kurzen Hosen an. Wie das aussieht, kann die sich nicht lange Klamotten anziehen? Das ist ja eine Beleidigung fürs Auge.“

Die junge Frau, die da so beleidigt wurde, stand neben mir und hatte Tränen in den Augen.

Sofort empfand ich Mitgefühl für sie. Ich lächelte ihr zu und stellte mich näher neben sie. Denn auch ein Lächeln ist für mich Hilfe und Aufmunterung. Mehr konnte ich mit meiner Posttraumatischen Belastungsstörung nicht tun. Ich drehte mich um, um mir die beiden jungen kichernden Frauen anzuschauen, die da solche Bemerkungen aussprachen.

Update von mindfulsun: Ja, ich habe danach bedauert, nichts zu den beiden Mädchen gesagt zu haben. Ich konnte es mit der PTBS nicht. Was ich allerdings nicht getan hätte: Sie laut beschimpfen.
Sondern ich hätte ein Gespräch mit ihnen gesucht.

So, an dieser Stelle Béa: Wer das hier liest und anfängt, über die Schreiberin zu urteilen, der lese weiter bitte und auch das P.S. von mir am Ende! Dankeschön! 

Und dann passierte etwas, womit auch ich nicht gerechnet habe: Ich hatte auch ein wenig Mitgefühl für die beiden.

Warum ich das empfand und zum Bewerten von Äußerlichkeiten anderer Menschen möchte ich heute meine Gedanken mit euch teilen.
Jemanden zu bewerten, passiert ziemlich schnell. Ein Blick auf einen Menschen und viele von uns bewerten bzw. beurteilen: Sei es nun die Frisur, die Figur, das Gesicht, die Klamotten. Selbst ein „Der oder die ist attraktiv“ ist eine Bewertung. Denn wie durch einen Filter in unserem Gehirn, nach unseren Maßstäben, fällen wir ein Urteil.

Und genau das ist für mich der wichtige Punkt, gerade auch mit dem Vorfall an der Haltestelle:
Die jungen Frauen, die sich so über das Aussehen einer anderen Frau äußerten, haben hier womöglich ihre eigenen Maßstäbe angelegt. Und ich gehe noch einen Schritt weiter, denn wer sich so abwertend über einen anderen Menschen äußert, hat für mich ein Problem mit sich selbst. Vielleicht fühlen die beiden sich selbst unsicher und unwohl mit ihrem Äußeren?

Viele Menschen werten andere ab, um sich besser zu fühlen.

Erwartungen scheinen eine Rolle zu spielen. Social Media ist voll von vermeintlich lustigen Äußerungen und Bildern zu unrasierten hässlichen Beinen, fetten weißen Armen und Beinen in kurzen Sachen, mangelnde Pediküre in Sandalen usw. usw. (Anmerkung: Alles selbst gelesen. Nicht meine eigenen Worte.)

Sind es die Erwartungen dieser Menschen an sich selbst? Sie müssen vielleicht ihre Beine rasieren, um sich gut zu fühlen. Sie finden pedikürte Füße schön. Sie würden niemals kurze Sachen tragen. Warum also eigene ästhetische Vorlieben auf andere Menschen übertragen und erwarten, dass andere diese erfüllen?

Haben diese Menschen selbst ähnliche Abwertungen erlebt und teilen nun aus?

Ich glaube, es ist viel Projektion dabei. Weg von sich selbst – auf andere Menschen!
Ist es möglich, diesem Kreislauf zu entkommen? Ja!

1. Achtsamkeit dafür entwickeln

In dem Moment, in dem ich merke, ich bewerte das Aussehen anderer Menschen – ist es mir wichtig, mir dessen bewusst zu werden, dass ich bewerte.

2. Perspektivenwechsel durch Hinterfragen

Beispiel: Ich sah eine Frau mit einem langen, eleganten Kleid und dazu trug sie Laufschuhe. Das sieht merkwürdig aus. Ich würde das wohl nicht so anziehen. Diese initiale Bewertung habe ich ersetzt durch: „Interessant! Vielleicht hat sie eine Abmachung mit ihrem Kind und hat versprochen, diese Schuhe zu diesem Kleid anzuziehen? Vielleicht sind es auch die einzigen Schuhe, in denen sie laufen kann, weil sie Schmerzen hat?“
Der Möglichkeiten gibt es viele und an diesem Beispiel möchte ich zeigen, ich bin auch nicht frei von initialen Bewertungen. Mir ist es wichtig, diese zu bemerken und damit umzugehen.

3. Die eigenen Emotionen und Gedanken beobachten

Was geht in mir vor, wenn ich bewerte? Wie fühle ich mich dabei?
Vielleicht kommen hier auch innere Bilder und eigene Erinnerungen. Wurde mein eigenes Äußeres in der Vergangenheit negativ bewertet und ich schäme mich noch dafür? Möchte ich mit negativen Äußerungen gegenüber anderen, eigentlich von mir ablenken?

4. In die Ich-Form gehen und bewusst denken

„Ich empfinde das nicht schön! Ich würde das so nicht anziehen. Ich würde so nicht rumlaufen.“
Die Ich-Form hilft dabei, in die Selbstreflexion zu kommen und zu merken: Es liegt bei mir!

Irgendwann werden die Bewertungen weniger und auch diese Gedanken verschwinden immer mehr.

Mein Fazit: Wenn im Sommer über das Aussehen anderer gelästert wird, dann liegt es an den Menschen, die lästern. Und ich empfinde mittlerweile auch etwas Mitgefühl mit diesen Menschen.

eure mindfulsun

Sprecht ihr mit euren Kindern darüber, wenn ihr merkt, dass sie über andere lästern?

P.S. von Béa: Es kamen Kommentare, die mangelnde Zurechtweisung und Zivilcourage bei mindfulsun moniert haben. Leider hat unsere Autorin eine PTBS (PostTraumatische Belastungs-Störung) und nicht immer die Kraft, mit Menschen direkt zu reden – geschweige denn offen in eine Konfliktsituation zu gehen. Sie hat mir gesagt, dass sie dem Opfer verbindlich und nett zugelächelt hat. Und die junge Frau hatte eine Freundin dabei. Und ich bin sehr froh und dankbar, dass sie diesen Beitrag geschrieben hat. Denn nur so können wir viele Menschen zu Reflexion bewegen… Und Mitgefühl mit Menschen, die solche Äußerungen machen, bedeutet KEINE ZUSTIMMUNG: Es bedeutet Verstehen. Nicht Verständnis.

Hier mehr dazu:

Nachtrag zum Beitrag übers Lästern – mit einem besonderen Dank auch an die Kritiker

 

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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