Vergeben, verdrängen, vergessen? Wie verarbeite ich Enttäuschung?
Das Wort „nachtragend“ ist in unserem Wortschatz sehr negativ konnotiert. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass viele Menschen in besagtes Phänomen reinrutschen, was daran liegen könnte, dass Enttäuschung nicht richtig verarbeitet wird.
Vergeben und vergessen?
Folgt ein Streit, spricht man sich aus, entschuldigt sich und lässt ihn hinter sich. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht brodelt es insgeheim immer noch in einem. Monate, vielleicht Jahre. Es wird nicht vergeben und schon gar nicht erst vergessen.
Konfliktscheu?
Ich erlebe dieses Phänomen vor allem dann bei Menschen, die besonders harmoniebedürftig sind und ungern streiten. Das führt dann dazu, dass ein Problem entweder nicht angesprochen, sondern runtergeschluckt wird, oder angesprochen, aber nicht ausreichend diskutiert und schließlich verdrängt wird.
Verdrängt und vergessen?
Doch nur weil etwas verdrängt wird, verschwindet es nicht. Die Emotion ist da, brodelt tief in einen und kommt hin und wieder zum Vorschein.
Ich entlarve mich mal und gestehe euch, dass ich mich selbst als nachtragend bezeichnen würde. Das bedeutet nicht, dass ich dauerwütend bin, im Gegenteil. Ich lasse mir die Enttäuschung selten anmerken. Manchmal ist mir meine eigene Wut nicht einmal bewusst, weil ich mich lange nicht mit meinen eigenen Gefühlen auseinandergesetzt habe. Manchmal merke ich es erst, weil mein Magen sich so verkrampft, weil ich allen Frust mit mir selbst ausmache.
Story Time über Enttäuschungen und das Verdrängen
Ich hatte einmal eine Freundin, die sich mir gegenüber immer wieder aus meiner Sicht nicht „korrekt“ verhielt (für mich sehr herrisches Auftreten, rassistische „Witze“ etc.) Als Reaktion darauf zog ich mich immer mehr zurück. Ich fühlte mich nicht mehr so wohl mit ihr und hatte immer weniger Lust, sie treffen. Das unkorrekte Verhalten blieb nach wie vor bestehen und summierte sich, da ich nie etwas sagte. Wir gerieten in eine ungesunde Machtdynamik, in der sie viel entschied und ich mich vielem ergab – oder mich zurückzog.
Irgendwann stellte sie mich zur Sprache. Sie warf mir vor, sie sei dir einzige, die sich noch meldete (was stimmte) und sie das Gefühl habe, dass kaum etwas von mir zurückkomme (was ebenfalls stimmte). Ich fühlte mich daraufhin jedoch derart angegriffen, weil ich nicht fassen konnte, wie ausgerechnet SIE auf die Idee kam, mir, nach all den Jahren, wie sie mich behandelt hatte, auch nur irgendwas vorzuwerfen.
Und dann sprudelte alles aus mir heraus. All die angestaute Wut, all der verdrängte Zorn – alles kam in einem Ausbruch zur Sprache. Natürlich war meine Freundin vollkommen überfordert. Ich, die sonst nie etwas sagte, warf ihr nun Dinge vor, die teilweise schon Jahre zurücklagen. Und das nur, weil ich nicht früher den Mund aufgemacht hatte.
Als wir unsere Freundschaft ein paar Jahre später auflösten, war einer der Gründe, dass ich ihr viel Vergangenes einfach nicht verzeihen konnte. Auf dieser Basis kann man keine gesunde Freundschaft führen, abgesehen davon empfand meine Freundin mich als völlig neuen Menschen, weil ich ihr all die Jahre eine andere Version von mir gezeigt hatte. Diese Version mochte sie offenbar nicht so gern.
Was ich hätte anders machen können
Im Nachhinein würde ich vieles ändern. Trotz meiner Schüchternheit hätte ich unsere Probleme gleich ansprechen sollen. Dann hätten wir uns gestritten und vielleicht vertragen oder auch nicht vertragen. Vor allem aber hätte ich meiner Freundin die Chance zu geben, an ihrem Verhalten zu arbeiten oder gar darauf zu reagieren. Mit meinem Schweigen entschied ich jedoch für uns beide. Das war definitiv falsch, nicht zuletzt, weil ich es war, die am meisten darunter litt. Nachtragend zu sein bedeutet nämlich, immerzu diese beißende Enttäuschung zu spüren.
Enttäuschung ist menschlich und ich sollte (müsste?) immer zulassen.
Enttäuschung ist eine sehr negative Emotion, die ich am liebsten von mir wegschieben würde. Ich habe für mich jedoch erkannt, dass es besonders wichtig ist, auch die ganz harten Emotionen zuzulassen und vor allem auch auszuhalten. Es mag vielleicht leichter erscheinen, etwas zu verdrängen, doch das ist es nicht.
Raum und Abstand für sich finden
Inzwischen ziehe ich mich bei Konflikten immer ganz bewusst zurück. Ich möchte mein Gegenüber damit nicht bestrafen, sondern brauche meinen Raum, um die Gefühle zuzulassen und mich zu sortieren. Ich muss nicht sofort verzeihen, ich kann mir Zeit geben und in Ruhe überlegen, wie ich zukünftig damit umgehen möchte. Wichtig ist es aber die Person in Kenntnis zu setzen, dass ich sie nicht bewusst ignoriere, sondern einfach Zeit brauche. Tue ich das nicht, würde es so wirken, als wollte ich sie mit Liebesentzug oder Schweigen bestrafen.
Nach dem Motto: Du hast mich verletzt, jetzt verletze ich dich – nur eben still und leise.
Früher dachte ich immer, dass es ungesund sei, immerzu zu streiten. Ein Teil meiner Familie macht das nämlich sehr häufig, während ein anderer Teil die Dinge nie anspricht. Aber drei Mal könnt ihr raten, welche Partei harmonischer miteinander umgeht: Natürlich die, die sich Konflikten stellt.
Streiten ist wichtig und gehört bei jeder Beziehung dazu. Man muss nicht gleich rumschreien und mit Tellern um sich werfen, aber Hauptsache man spricht sich aus.
Hier also mein Fazit:
Wie verarbeite ich also Enttäuschung?
Indem ich sie zulasse, das Gegenüber zu Rede stelle, und mir genügend Zeit nehme, um sie verrauchen zu lassen!
Soweit meine ehrlichen Gedanken dazu. Was sind eure?
Liebe Grüße
Mounia
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